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Kardinal Zenari zu Syrien: „Bombe der Armut" zerstört das Land

Nach zehn Jahren Krieg in Syrien zieht Kardinal Zenari, päpstlicher Nuntius in Syrien, im Interview mit Radio Vatikan eine traurige Bilanz: Zerstörung, kein Wiederaufbau, ein stockender Friedensprozess, anhaltende Wirtschaftssanktionen und immer mehr Armut im Land. Dazu die Pandemie und die Libanon-Krise, die auch Syrien trifft. Das jüngste Friedensgebet für den Libanon mit Papst Franziskus im Vatikan macht dem Papstbotschafter aber Hoffnung.

Salvatore Cernuzio und Stefanie Stahlhofen – Vatikanstadt 

Kardinal Mario Zenari war jüngst anlässlich des Treffens der ROACO, der Vereinigung der Ostkirchenhilfswerke, in Rom und im Vatikan. Zenari ist seit zwölf Jahren als Papstbotschafter in Syrien, die zehn Jahre Krieg und die Folgen erlebte er vor Ort. Sobald er aus Damaskus in Rom gelandet war, eilte der Kardinal zum Paulusgrab im Petersdom, um für Syrien zu beten. Im Interview mit Radio Vatikan sagt Zenari:

„Leider hat sich die Lage nicht verbessert. Man kann zwar sagen, dass in einigen Gebieten Syriens keine Bomben mehr fallen, außer im Nordwesten, in der Provinz Idlib, wo es von Zeit zu Zeit zu Zusammenstößen kommt. Aber es ist eine andere schreckliche Bombe im Land explodiert, die - nach UN-Angaben - etwa 90 Prozent der Bevölkerung betrifft: Es ist die Bombe der Armut, ein Leben unterhalb der Armutsgrenze: Denn nach zehn Jahren Krieg gibt es Zerstörung, keinen Wiederaufbau, noch immer keinen wirtschaftlichen Aufbruch - und der Friedensprozess steht still. Die Armut jedoch, die schreitet sehr schnell voran."

Hier im Audio: Kardinal Mario Zenari, Papstbotschafter in Syrien, über die dramatische Lage im Land

„Ein Krieg, der die Bevölkerung wirklich stranguliert“

Krise über Krise - und kaum einer spricht darüber

Das sieht der Kirchenmann auch vor Ort in Damaskus: Die Menschenschlangen vor den Bäckereien, die Brot zu vom Staat subventionierten Preisen verkaufen, da die armen Leute kein Geld haben, seien so lang wie nie zuvor. „Man sieht auch lange Schlangen an den Tankstellen - und es gibt kein Benzin. Ähnliche Bilder gab es selbst in der härtesten Zeit des Krieges nicht. Die Bevölkerung nennt diese kritische Zeit den ,Wirtschaftskrieg`. Und das ist ein Krieg, der die Bevölkerung wirklich stranguliert."

In diesem Zusammenhang kritisiert Kardinal Zenari im Gespräch mit Radio Vatikan auch erneut die anhaltenden Wirtschaftssanktionen gegen Syrien. Zudem klagt er über die weit verbreitete Korruption im Land und eine schlechte Regierungsführung. Und dann sind da natürlich auch noch die Auswirkungen der Pandemie - und der Krise im benachbarten Libanon:

„Syrien wird oft vergessen, über die Lage hier wird eine ,Decke des Schweigens`gebreitet“

„Seit ein paar Jahren trifft die Libanonkrise auch Syrien hart, besonders im Finanzsektor. Das hat auch negative Auswirkungen auf die humanitären Projekte, die jedes Bistum hier versucht voranzutreiben. Hinzu kommen weitere negative Auswirkungen durch die Pandemie. Und es gibt noch ein weiteres Übel: Syrien wird oft vergessen, über die Lage hier wird eine ,Decke des Schweigens`gebreitet. Über Syrien wird sehr selten gesprochen, dabei wäre es dringend notwendig, darüber zu sprechen. Denn wenn es nicht gelingen sollte,  mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen (...), wenn der Wiederaufbau und ein wirtschaftlicher Neustart nicht in Gang gesetzt werden, dann besteht das Risiko, dass Syrien am Ende wirtschaftlich erstickt - mit verheerenden Auswirkungen für seine Bewohner."

Appell an die Weltgemeinschaft

An alle am Friedensprozess beteiligten richtet der Kardinal daher den Appell, „Angebote der Kulanz" zu machen. Für die Vermittlung könnten besonders Washington, Brüssel  - als Europäische Union - und auch Damaskus viel tun, so der Papstbotschafter in Syrien:  

„Wir brauchen ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, eine ausgedehnte und konstruktive Diplomatie“

„Wenn jeder, abgesehen von diesen drei Hauptstädten, darauf wartet, dass der andere anfängt, kommen wir nicht weiter, wir sitzen fest. Und hier brauchen wir ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, eine ausgedehnte und konstruktive Diplomatie, die die Parteien dazu drängt, sich zu bewegen."

Nach dem Libanontreffen ein Syrientreffen?

Bei seinem jüngsten Besuch in Rom und im Vatikan berichtete Kardinal Zenari auch vor der ROACO-Versammlung eindringlich über die Lage in Syrien. Er sprach auch gut eine halbe Stunde mit Papst Franziskus persönlich, der ihm mit großem Interesse zugehört habe und seine Hilfe zusicherte. Die Begegnung mit dem Papst und das von ihm Anfang Juli organisierte ökumenische Friedensgebet im Vatikan machen Kardinal Zenari - trotz der festgefahrenen Lage - Mut: 

„Ich hoffe, dass dieses Treffen ein positives Ergebnis und Früchte bringt, die sich auch auf den Nahen Osten auswirken. Das Treffen der Patriarchen mit dem Papst ist wirklich ein Ereignis. Wir könnten uns auch ein ähnliches Treffen für Syrien vorstellen. Der Nahe Osten hat leider viele Unglücke gemein, und doch hat jede Nation ihre eigenen Besonderheiten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Libanon-Treffen auch zum Nachdenken über Möglichkeiten für Syrien führen kann -  ähnlich oder auf andere Weise. Es könnte im positiven Sinn einen ,Schneeball-Effekt' geben, und so in Zukunft vielleicht auch eine ähnliche oder andersgeartete Initiative für Syrien anregen."

Kardinal Zenari, Papstbotschafter in Syrien, und Papst Franziskus
Kardinal Zenari, Papstbotschafter in Syrien, und Papst Franziskus

Papst ruft zu Gebet und Hilfe für Syrien auf

Papst Franziskus hat Syrien jedenfalls nicht vergessen. Kurz nach seinem Amtsantritt im Jahr 2013 rief er zu einem weltweiten Fasten- und Gebetstag für Syrien und den Nahen Osten auf. Regelmäßig mahnte er auch danach bei verschiedenen Gelegenheiten zu Frieden in Syrien -  2021 etwa mit einem Appell für Syrien nach seinem sonntäglichen Mittagsgebet. 

(vatican news - sst) 

 

 

 

 

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06. Juli 2021, 11:41