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Opfer von Menschenhandel werden oftmals in die Prostitution gedrängt Opfer von Menschenhandel werden oftmals in die Prostitution gedrängt 

Welttag gegen Menschenhandel: Auch in Europa gibt es Opfer

Am 30. Juli erinnert die Weltgemeinschaft an das Phänomen des Menschenhandels, ein Thema, für das auch Papst Franziskus immer wieder um Aufmerksamkeit wirbt. Auch an diesem Sonntag hatte er bei seinem Angelusgebet zu mehr Einsatz gegen diese „Plage der Menschheit“ aufgerufen.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Hier das Gespräch zum Nachhören

Wir haben über das Thema Menschenhandel und moderne Sklaverei mit Felix Neuhaus gesprochen. Neuhaus ist Koordinator für humanitäre Hilfe von AWO International, dem Fachverband für humanitäre Hilfe und internationale Zusammenarbeit der Arbeiterwohlfahrt in Deutschland.

 

Vatican News: Am 30. Juli begeht die Internationale Gemeinschaft den Tag gegen Menschenhandel, 2013 wurde er eingerichtet. Mit was für Zahlen haben wir es bei diesem weltumspannenden Phänomen denn zu tun?

F. Neuhaus: Zahlen zum Menschenhandel zu nennen ist eine komplizierte Angelegenheit, weil dieses Phänomen meistens unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet und man deshalb auch keine offiziellen Erhebungen machen kann. Es gibt allerdings Schätzungen, beispielsweise der NGO Anti-Slavery, die davon ausgehen, dass über 40 Millionen Menschen von Zwangsarbeit und Menschenhandel betroffen sind, die meisten von Ihnen, nämlich über 30 Millionen in Asien und im Pazifikraum, aber auch 9 Millionen in Afrika.

Vatican News: Für wie verlässlich halten Sie denn diese Zahlen?

F. Neuhaus: Es ist zwar eine Schätzung, aber gemessen an der Weltbevölkerung könnte diese Zahl vielleicht sogar noch höher liegen. Ich weiß aus meiner eigenen Arbeit in Südasien, dass dort jedes Jahr etwa eine halbe Million Arbeitsmigranten das Land verlässt, hauptsächlich in die Golfstaaten, wo sie dann beispielsweise auf den Großbaustellen von Dubai oder Katar eingesetzt werden, oder auch in Saudi-Arabien als Hausangestellte oder auf den Palmölplantagen in Malaysia. Wir wissen, dass die Grenze zwischen Arbeitsmigration und Menschenhandel fließend ist. Insofern halte ich diese Zahl schon für realistisch.

„Dass das Phänomen in Asien so verbreitet ist, hat sicherlich auch mit der großen Bevölkerungszahl und mit der Armut zu tun“

Vatican News: Sie haben es angesprochen, Asien ist einer der Hot-Spot für dieses Problem. Warum ist das so?

F. Neuhaus: Das liegt sicher daran, dass wir im Vergleich zu Europa oder Amerika, wo es natürlich Arbeitsgesetze gibt, in Asien traditionell einen hohen Anteil beispielsweise an Kinderarbeit haben oder eine Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen. Zwangsarbeit kommt oft auch von traditionellen Arbeitssystemen her. Darum ist es sehr wichtig, hier Aufklärung zu betreiben und zum Beispiel im Rahmen der Kinderrechtskonvention oder von Arbeitsrechten Standards in den einzelnen Staaten zu setzen.

Dass das Phänomen in Asien so verbreitet ist, hat sicherlich auch mit der großen Bevölkerungszahl zu tun und natürlich mit der Armut. Die Armut ist am größten in Afrika und im asiatisch-pazifischen Raum, und wo es Armut gibt und der Bildungsstandard niedrig ist, da ist einfach die Gefährdung viel viel höher.

Vatican News: Welche Personengruppen sind dieser Gefahr am meisten ausgesetzt?

F. Neuhaus: Wenn man auf die Zahlen dieser NGO Anti-Slavery schaut, dann wird dort auch die Zahl von 10 Millionen Kindern angegeben, Zwangsarbeit ist ein riesiges Thema, die wird hier mit 25 Millionen Opfern weltweit, allerdings gibt es dort auch verschiedene Stufen der Zwangsarbeit und der modernen Sklaverei, und da könnten diese Zahlen vielleicht auch noch höher liegen.

Ein weiterer Punkt ist die Zwangsverheiratung von Mädchen, ich kann Ihnen da ein Beispiel geben aus unserem Projektland Indien, wo Jungen leider der Vorzug gegeben wird, Mädchen also oft abgetrieben werden und es dann an Frauen im heiratsfähigen Alter mangelt. Und da kommt es dann zu einem relativ großen Anteil von Frauenhandel aus den südlichen Bundesstaaten, die für die Männer herangebracht werden. Das ist ein großes kriminelles Geschäft.

[ Wir haben Zahlen aus Nepal, nach denen jährlich etwa 15.000 Frauen und Mädchen verschleppt werden bzw. gegen ihren Willen im Rotlicht-Milieu in Indien landen ]

Ein weiterer Punkt ist natürlich der Handel von Frauen und Mädchen zu sexueller Ausbeutung. Wir von AWO International haben Projekte in Nepal, aber auch in Indien und in Bangladesch, die auf gefährdete Gruppen wie Frauen und Mädchen abzielen. Wir haben Zahlen aus Nepal, nach denen jährlich etwa 15.000 Frauen und Mädchen verschleppt werden bzw. gegen ihren Willen im Rotlicht-Milieu in Indien landen.

Vatican News: Was tun Sie als Einrichtung in diesen Fällen?

F. Neuhaus: AWO International hat Entwicklungsprojekte in Bangladesch, aber auch in Nepal, wo wir mit Hochrisikogruppen arbeiten. Das sind sehr arme Familien, bei denen beispielsweise auch der Vater fehlt, die wirtschaftlich am Rande der Existenz stehen. Gefährdet sind auch Migranten, vor allem Frauen, die zurückkommen und unter Umständen von ihrer Umgebung nicht mehr aufgenommen werden oder sich wirtschaftlich nicht mehr integrieren können. Diese Zielgruppen unterstützen wir beispielsweise durch beschäftigungsfördernde Maßnahmen oder durch psychosoziale Betreuung, damit eine Wiedereingliederung wieder möglich ist.

Wir betreiben auch Aufklärung mithilfe sozialer Strukturen, zum Beispiel im Grenzgebiet zwischen Indien und Bangladesch, wo immer wieder Frauen und Mädchen verschleppt werden. Dort haben wir Gruppen gebildet, wo verschiedene Repräsentanten des Dorfes, zum Beispiel die Krankenschwester, der lokale Imam, aber auch Vertreter von Frauengruppen oder Jugendclubs zusammenkommen, ausgebildet werden und dann in die Haushalte gehen und dort Aufklärung betreiben und darum bitten, besonders Ausschau zu halten und sich gegebenenfalls bei ihnen zu melden. So wird die soziale Sicherheit erhöht.

Wir haben ebenso Beratungszentren in einigen Ländern, und wir helfen beispielsweise auch in Mittelamerika, Migranten aus Ländern wie El Salvador oder Honduras, die auch vor der Gewalt im Land in Richtung USA fliehen. Denen helfen wir, in verschiedenen Zentren und Schutzhäusern, wo sie beraten werden und Hilfe bekommen und wir versuchen, diese Menschen zu stabilisieren, damit sie nicht Opfer von Menschenhändlern werden.

„Die katholische Kirche ist natürlich ein sehr wichtiger Partner“

Vatican News: Inwieweit ist die katholische Kirche ein Partner beim Einsatz gegen Menschenhandel?

F. Neuhaus: Die katholische Kirche ist natürlich ein sehr wichtiger Partner, in Mittelamerika beispielsweise arbeiten wir auch mit Organisationen zusammen, die mit der katholischen Kirche zusammenhängen, wie die Migrantenherberge Sagrada Familia in Mexiko, wo Menschen auf der Flucht, auf der Durchreise, stabilisiert werden, erste Hilfe und Nahrung bekommen, beraten werden, um sicherer ihren Weg fortzusetzen und nicht Opfer von Menschenhändlern zu werden. Wir sind aber auch in Deutschland Mitglied von „Aktion Deutschland hilft“ und dabei sind natürlich auch kirchliche Organisationen beteiligt und sich intensiv gegen Menschenhandel einsetzen.

„Es gibt auch hierzulande Menschenhandel“

Vatican News: Ist das Phänomen denn auch in deutschsprachigen Ländern verbreitet?

F. Neuhaus: Wir als Arbeiterwohlfahrt Deutschland haben auch zwei Fachstellen zum Thema Menschenhandel und Frauenhandel, weil das Phänomen keineswegs nur in den Ländern des Südens beheimatet ist. Es gibt auch hierzulande Menschenhandel, es gibt auch hierzulande Zwangsarbeit in den Haushalten, wo Menschen ausgebeutet werden. Das sind Opfer aus Osteuropa, aber auch aus anderen Ländern und wenn man sich die Entwicklungen im Rahmen der Flüchtlingskrise anschaut, dann ist es zu verzeichnen, dass wir auch innerhalb Europas Menschenhandel haben.

Die Zahlen sind leider extrem dünn, aber es gab ja 2015/2016, im Rahmen der großen Migrationsbewegungen, Tausende von Jugendlichen, die einfach verschwunden sind. Ich denke, unbegleitete Minderjährige sind sicherlich eine der Hauptrisiko-Gruppen, das sehen wir auch im Mittelmeer, wo wir ein Projekt mit SOS Mediterranee haben, die Rettung von Geflüchteten, die in den Lagern von Libyen oft monatelang ausgeharrt haben und dort physisch und sexuell, aber auch psychisch missbraucht wurden und wir haben alle die Geschichten über Sklavenmärkte in Libyen. Es ist extrem wichtig, dass wir uns auch als deutsche Organisation bewusst sind, dass wir Menschenhandel auch hierzulande haben.

„Es ist wichtig, auch durch diesen Gedenktag klar zu machen, welche Dimensionen der Menschenhandel hat, sowohl hier als auch in verschiedenen Ländern der Welt“

Vatican News: Kann der Welttag gegen Menschenhandel bei der Bewusstseinsbildung helfen, oder wo sehen Sie hier noch Nachholbedarf?

F. Neuhaus: Es ist auf jeden Fall wichtig, dass wir die Öffentlichkeit sensibilisieren. Wir haben Partner in unseren Projektländern, die das sehr groß zelebrieren, wie beispielsweise in Bangladesch, die dann sehr große Veranstaltungen machen, Umzüge organisieren und Advocay bei der Regierung vorantreiben, um hier ein Handeln zu veranlassen.

Es ist auch wichtig, uns bewusst zu werden, dass dieses Phänomen existiert und wir auch, wie Papst Franziskus betont hat, eine Mitverantwortung haben, wenn wir beispielsweise Billigprodukte kaufen, die unter den schlimmsten Bedingungen hergestellt wurden. In diesem Zusammenhang will ich auch auf einen Projektpartner hinweisen, der auf den Philippinen gegen Kinderprostitution im Internet wirkt. Es gibt auch hierzulande Konsumenten und es ist wichtig, auch durch diesen Gedenktag klar zu machen, welche Dimensionen der Menschenhandel hat, sowohl hier als auch in verschiedenen Ländern der Welt.

Hintergrund

 

Die Arbeiterwohlfahrt in Deutschland betreibt Kindergärten, hilft bei der Resozialisierung von ehemaligen Straftätern und bietet soziale Beratung und Hilfestellung aller Art. AWO International ist der Fachverband der AWO für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit mit Projekten in zwölf Ländern. Seit Jahren hat die Organisation einen besonderen Fokus auf Migration und Menschenhandel und betreibt Regionalbüros in Ländern, die von dem Phänomen Menschenhandel besonders betroffen sind.  Felix Neuhaus hat selbst lange in Asien gelebt und gearbeitet. 

(vatican news)

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29. Juli 2018, 08:21