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Prof. Dr. Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer von Renovabis Prof. Dr. Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer von Renovabis 

Renovabis bei Friedenstreffen: „In Köpfe und Herzen investieren"

Mit dem Ukraine-Krieg hat sich auch die Arbeit des Osteuropahilfswerkes Renovabis neu ausgerichtet: „Menschen, die wir förderten, sind im Ukraine-Krieg umgekommen“, berichtet Hauptgeschäftsführer Pfarrer Thomas Schwartz, der bis diesen Dienstag am Sant’Egidio-Friedenstreffen in Rom teilnahm. Renovabis wolle angesichts des Krieges „nicht mehr so sehr in Steine investieren, sondern in Köpfe, Herzen und auch in die Seelen“, so Schwartz.

Anne Preckel – Vatikanstadt

Pfarrer Thomas Schwartz war einer der deutschen Teilnehmer beim Sant'Egidio-Friedenstreffen, das an diesem Dienstagnachmittag mit dem Friedensgebet von Papst Franziskus und Religionsvertretern am Kolosseum zu Ende geht. Radio Vatikan wollte zunächst von Schwartz wissen, welche Eindrücke er auf dem Friedenstreffen gesammelt hat.

Frieden muss letztes Wort haben

Pfarrer Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer Renovabis): Ganz positive Eindrücke dergestalt, dass in einer Zeit, in der alle möglichen Gruppierungen und Gruppen von Sieg und Niederlage sprechen, von Frieden gesprochen wird. Etwas, was sozusagen unkonventionell ist, was dennoch notwendig ist. Denn das, was hier in der Ukraine und auch in vielen anderen Gegenden dieser Welt geschieht, kann ja nicht das letzte Wort für die Menschen dort sein. Das letzte Wort, das wir als Christen erstreben, ist der Frieden. Und darüber muss man reden.

Radio Vatikan: Was haben Sie selbst bei der Konferenz als Renovabis-Vertreter beigetragen?

Schwartz:
Ich habe zunächst einmal erklärt, was wir in den letzten 30 Jahren, seit es Renovabis gibt, in der Ukraine versucht haben aufzubauen – Universitäten, Bibliotheken, Kirchengemeinden wieder zu gründen, Sozialakademien, Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre Zukunft in einer pluralistischen Gesellschaft aufzubauen, und dass das jetzt durch diesen Krieg zum ersten Mal anders geworden ist. Dergestalt, dass Dinge, die wir aufgebaut haben, zerstört worden sind. Dass Menschen, die wir gefördert haben, umgekommen sind. Und dass deswegen im letzten halben Jahr seit der Eskalation des Krieges für uns zunächst einmal Nothilfe, Programme und Hilfen zum Überleben an der Tagesordnung gewesen sind. Und dass wir jetzt für die nächsten Jahre eigentlich auch unsere Arbeit völlig neu aufstellen müssen. Es geht darum, nicht mehr so sehr in Steine zu investieren, sondern, wie ich es gesagt habe, in Köpfe, in Herzen und auch in die Seelen. Denn die Seelen der Menschen sind durch diesen dramatischen Krieg wirklich traumatisiert.

Thomas Schwartz (Renovabis) zum Friedenstreffen in Rom. Interview: Anne Preckel, Radio Vatikan

Neue Eskalation des Ukraine-Krieges

„Wenn das nicht an der Grenze zum Kriegsverbrechen ist, dann weiß ich auch nicht mehr...“

Radio Vatikan: Die Lage in der Ukraine hat sich ja auch noch in den letzten Tagen noch einmal zusätzlich zugespitzt. Was können Sie uns über die humanitäre Situation aktuell in der Ukraine sagen?

Schwartz: Wir selber sind nicht vor Ort tätig in dem Sinne, dass wir eine Repräsentanz dort unterhielten. Aber wir sind in engen Kontakt mit unseren Partnerorganisationen von der Caritas, von den Diözesen, von den Pfarreien, haben Partner vor Ort. Es ist schon dramatisch, weil tatsächlich durch diesen zynischen und ganz klar bewussten Angriff auf die Infrastruktur des Landes den Menschen die Lebensgrundlagen für einen schweren Winter entzogen werden soll. Und das ist eine neue Eskalation des Krieges, wie Sie richtigerweise sagen, die im Grunde darauf zielt, die Überlebensmöglichkeit vor Ort zu unterminieren. Wenn das nicht an der Grenze zum Kriegsverbrechen ist, dann weiß ich auch nicht mehr...

Heiliger Stuhl möchte Korridor des Dialogs offenhalten

„Die Kirche will keine Vorteile für sich daraus ziehen, sondern will, dass die Menschen wieder in Würde leben können.“

Radio Vatikan: Sie sind in Kontakt nicht nur mit Partnern in der Ukraine, sondern auch in den Anrainerstaaten, in den Nachbarländern. Wie werden die Friedensappelle des Papstes, die aktuelle Friedenspolitik auch des Heiligen Stuhls dort wahrgenommen?

Schwartz: Das ist sehr unterschiedlich. Sie können sich vorstellen, dass in der Ukraine, selbst in dem Land – das jetzt eigentlich zu einem Märtyrer der freien Lebensformen, wie wir sie im Westen dann auch kennen und schätzen, von denen wir profitieren – sehr, sehr negativ zum Teil gesehen wird als eine, als eine Appeasement-Haltung (Beschwichtigungshaltung, Anm.). Andererseits fängt man langsam an zu verstehen, dass der Heilige Stuhl hier den Korridor für einen offenen und ehrlichen Dialog offenhalten möchte. Dass er und auch das gilt, denke ich, auch für den Heiligen Vater selber, als ein wirklich interessefreier Vertreter eines Dialogs fungieren möchte, der nicht eigene Interessen verfolgt, sondern der im Fokus seiner ganzen Bemühungen den Frieden, das Überleben, die Würde eines jeden Menschen hat. Und dafür ist die Kirche auch berufen. Das ist ihre Aufgabe in dieser Zeit, in der so viele Eigeninteressen auch von Staatsmännern gepflegt werden, sodass man sich fragt: Warum setzen Sie sich plötzlich für Waffenstillstände und Ähnliches ein? Doch nur, um selber wieder Vorteile daraus zu ziehen. Nein: Die Kirche will keine Vorteile für sich daraus ziehen, sondern der einzige Vorteil, den die Kirche sieht, den der Heilige Stuhl sieht, ist, dass die Menschen wieder in Würde leben können.

„Das Volk der Ukraine, das ungerechtfertigter Weise angegriffen worden ist und in seiner Existenz bedroht wird, muss entscheiden, wann der Zeitpunkt für Verhandlungen gekommen ist.“

Radio Vatikan: Sehen Sie denn Chancen für eine Verhandlungslösung noch zu diesem dramatischen Zeitpunkt? Es scheint ja eine fast ausweglose Situation - sehen Sie noch Chancen hingegen für eine vielleicht doch politische Lösung?

Schwartz: Es muss immer einen Weg zum Gespräch geben. Es muss immer einen Weg geben zu Verhandlungen. Allerdings ist es nicht an mir und auch nicht an der Kirche und auch nicht an den unbeteiligten europäischen Staaten zu entscheiden, wann das der Fall sein soll, sondern hier müssen die Menschen in der Ukraine, muss das Volk der Ukraine, das ungerechtfertigter Weise angegriffen worden ist und in seiner Existenz bedroht wird, entscheiden, wann der Zeitpunkt gekommen ist, um tatsächlich für den Frieden am Verhandlungstisch auch zu arbeiten und darum zu ringen. Wir hoffen und wir beten täglich – auch bei Renovabis, wir haben ein Friedensgebet, das wir auch immer wieder anbieten – wir beten darum, dass das bald der Fall sein möge, denn jeder Tag bringt neue Opfer auf beiden Seiten, und jeder Tag bringt Unmenschlichkeiten zu Tage, die wir alle nicht wünschen.

Religionen bringen Universalismus ein

Radio Vatikan: Papst Franziskus schließt das Friedens Treffen an diesem Dienstagnachmittag gemeinsam mit anderen Religionsvertretern ab. Die Idee der Friedenstreffen ist es ja gerade auch, politische Vertreter mit Religionsvertretern zusammenzubringen. Welche Kraft kann von diesem Format ausgehen?

Schwartz: 
Ich glaube, der französische Präsident Macron hat es in seiner Rede am Beginn des Friedenstreffens sehr treffend in Wort gebracht, als er sagte, die Kraft der Religionen bestünde darin, einen Universalismus in eine Debatte hineinzubringen. Einen Universalismus, der nicht geprägt ist von den Interessen dieser Welt, sondern von einer Verantwortung gegenüber einer Instanz, die nicht von uns abhängig ist, sondern der wir gegenüber dann auch wirklich Antwort geben müssen, wie wir uns angestrengt haben für den Frieden und für die Menschlichkeit, für die Würde des Menschen einzutreten. Und das ist letztlich für jede Religion Gott. Und diese Verantwortung gegenüber Gott, die ein jeder Mensch dann auch auf seine Art zu leben und zu ertragen und zu tragen hat, das ist glaube ich auch das was, was auch den Politikern gut ansteht wieder zu sehen für ihre tägliche Arbeit, dass sie Diener des Friedens für ihre Völker sein sollen und nicht Diener irgendwelcher besonderen Eigeninteressen.

„Wir dürfen nicht nachlassen, den Menschen und dem Land der Ukraine wirklich unsere Solidarität dauerhaft zukommen zu lassen. Und das ist auch eine Aufgabe für die Politik.“

Radio Vatikan: Emmanuel Macron hat gestern auch Papst Franziskus getroffen und war beim Friedenstreffen präsent. Was, meinen Sie, können Politiker wie Macron von solchen Begegnungen mitnehmen? 

Schwartz:
Ich hoffe, dass er eine Motivationssteigerung für sein Tun mitbekommt. Das ist etwas, was ja für uns alle eine tägliche Herausforderung ist. Wir sehen es in Deutschland die Bereitschaft zu Solidarität angesichts der eigenen Schwierigkeiten, Inflation, Ängste um die Zukunft nimmt ab. Wir dürfen aber nicht nachlassen, den Menschen und dem Land der Ukraine wirklich unsere Solidarität dauerhaft zukommen zu lassen. Und das ist auch eine Aufgabe für die Politik. Wie sie das dann gestalten wird, mit Waffen, ohne Waffen, mit dem Wort der Verhandlungsfähigkeit? Das kann ich nicht beurteilen, das ist auch nicht meine Aufgabe als Leiter eines Hilfswerks. Aber ich hoffe, dass die Glieder dieser Welt, die politischen Führer dieser Welt genauso wie wir als einzelne Menschen, als einfache Menschen sich daran orientieren, dass Solidarität keine Eintagsfliege zu sein hat.

Ein offenes Wort entgegensetzen

„Wir sind als Religionsvertreter der Wahrheit verpflichtet. Und zur Wahrheit gehört es auch, unterschiedliche Positionen, auch aus dem Sinn des Glaubens, als falsch bezeichnen zu können und zu müssen.“

Radio Vatikan: Nun haben wir nicht wenige Beispiele in der Welt, auch aktuell im Ukraine-Krieg, wo sich Religionsvertreter eben nicht in den Dienst des Friedens stellen, sondern Gewalt metaphysisch oder ideologisch fundieren oder sogar rechtfertigen. Was können, was müssen Religionen als Fürsprecher des Friedens dem entgegensetzen?

Schwartz: Zumindest das offene Wort. Dialog zwischen den Religionen heißt ja nicht, Du bist lieb, wir sind lieb, alle sind wir lieb, sondern wir sind alle als Religionsvertreter der Wahrheit verpflichtet. Und zur Wahrheit gehört es auch, unterschiedlicher Meinung unterschiedliche Positionen, auch aus dem Sinn des Glaubens, als falsch bezeichnen zu können und zu müssen. Und ich denke, das ist eine gerade in unserer Zeit wichtige Aufgabe, die wir als Weltreligionsvertreter dann auch im Dialog haben, zu sagen: Das, was du hier sagst, ist eigentlich aus christlichem Sinn heraus falsch und kann so nicht stehen bleiben. Wir sind ganz anderer Meinung und wir können es in einem friedlichen, aber offenen Dialog auch begründen.

Radio Vatikan: Herzlichen Dank, Pfarrer Schwarz.

Schwartz: Sehr gerne.

Die Fragen stellte Anne Preckel.

(vatican news – pr)

 

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25. Oktober 2022, 12:04