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Eva Ziedan in ihrer syrischen Heimatstadt Salamiyeh Eva Ziedan in ihrer syrischen Heimatstadt Salamiyeh  Geschichten der Hoffnung

Syrien, ein Land im Umbruch

Eva Ziedan ist eine syrische Archäologin, die seit einigen Jahren in Italien lebt. Im Interview mit Radio Vatikan schildert sie die Situation in ihrem Land, das sich seit dem Sturz des Assad-Regimes in einer sozio-politischen Übergangsphase befindet.

Antonella Palermo und Silvia Kritzenberger - Vatikanstadt

Hoffnung ist etwas, an das sich die Syrer über ein halbes Jahrhundert lang geklammert haben. Und an diese Hoffnung klammern sie sich auch noch heute, etwas mehr als einen Monat nach dem Sturz des Assad-Regimes. Die sozio-politische Übergangsphase ist eine Gratwanderung. Das berichtet Eva Ziedan, die an den Universitäten Damaskus und Udine Archäologie studiert hat, im Interview mit Radio Vatikan. Sie stammt aus Salamiyeh in Zentralsyrien, etwa fünfzig Kilometer von Homs entfernt. Heute lebt sie in Italien, wo sie im Bereich Kulturerbe und Entwicklung der Gemeinden, besonders in Konfliktgebieten, tätig ist.

Eva in Aleppo
Eva in Aleppo

Ein neues Syrien auf der Grundlage der Partizipation

Hoffnung bedeutet, dass man die Probleme beim Namen nennt und den Mut hat, sich ihnen zu stellen. Dazu fordert uns Papst Franziskus immer wieder auf. Und das ist auch die Haltung, mit der sich Eva bemüht, ihren eigenen Beitrag zur Zukunft Syriens zu leisten – wenn auch zur Zeit nur aus der Ferne. Bevor sie nach Italien kam, wo sie heute lebt, war sie als Kulturvermittlerin für den Christlichen Verband italienischer Arbeiter tätig, hat sich im Rahmen der humanitären Notlage in Syrien an internationalen Projekten beteiligt. Heute befasst sie sich mit der Erforschung und Umsetzung von Maßnahmen gegen Marginalisierung in ländlichen Gebieten, Ungleichheit der Geschlechter, Umweltzerstörung und Ausgrenzung. Die junge Archäologin setzt sich auch dafür ein, ohne Fanatismus und mit der gebotenen Seriosität an der Verfassung des neuen Syrien zu arbeiten.

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„Wir müssen dieser Regierung helfen, damit sie nicht scheitert. Ein Scheitern der Regierung würde dem Land ein noch größeres Blutbad bescheren, und es ist ohnehin schon tief zersplittert und hat nicht die Kraft, einen weiteren Krieg zu führen,“ betont die junge Frau aus Syrien. Aber dazu müsse man auch den Willen haben, eine echte Beteiligung aller Bürger am Aufbau des Staates zu gewährleisten. Nur so könne man äußere Gefahren abwehren, die unter dem Vorwand des „Minderheitenschutzes“ oder anderer Rechtfertigungen in die Politik des Land eingreifen und eine Seite gegen die andere aufbringen könnten.

Eva in Damaskus
Eva in Damaskus

Jenseits des elitären Machtbegriffs

Es ist ein Wechselbad der Gefühle, das Eva in diesen Wochen durchlebt. Sie ist überglücklich über den Sturz des Assad-Regimes, vor allem, weil „bis jetzt alles relativ friedlich verlaufen ist, woran nach 14 Jahren Bürgerkrieg in Syrien niemand mehr gewohnt war“.

Zugleich empfindet sie aber auch eine tiefe Traurigkeit, vor allem über die Aufdeckung der Gräueltaten, die in syrischen Gefängnissen begangen wurden und von denen man in den letzten fünfzig Jahren - nicht erst seit 2011 - nur aus den Erzählungen von Familien und Freunden gewusst habe. Eva weiß, dass die Einheit in Syrien auf wackeligen Beinen steht; dass es nicht einfach sein wird, Wege zu finden, die die Rückkehr der Flüchtlinge und die Nachhaltigkeit des Friedens möglich machen. Eine der größten Gefahren besteht ihrer Meinung nach darin, wieder in eine elitäre Vorstellung von Macht zu verfallen. „Der Bezugspunkt für alle Syrer muss eine Verfassung sein, die auf den Grundsätzen der Staatsbürgerschaft beruht und jeden schützt, unabhängig von seiner Konfession und sozialen Zugehörigkeit. Nur in einem solchen Kontext können die Frauen in Syrien – mit den Männern gleichberechtigt – all ihre Fähigkeiten entfalten“, betont Eva.

Eine entscheidende Phase

Mit Blick auf die katastrophale wirtschaftliche Lage in ihrer Heimat betont sie, wie wichtig es sei, das Land von den Wirtschaftssanktionen zu befreien, die es weiterhin zermürben. Auch das Problem der vielen Menschen, die noch immer vermisst werden, müsse angegangen werden. Und hier sei es wichtig, die Familien, auch die der Inhaftierten, einzubeziehen und den syrischen Organisationen, die sich mit diesem Thema befassen, die nötigen Informationen und Instrumente zur Verfügung zu stellen, betont die syrische Archäologin. „Versetzen Sie sich in die Lage einer Mutter, die jeden Tag Namenslisten bekommt: An einem Tag steht ihre Tochter auf der Liste der Toten, am anderen bei den Vermissten. … Damit tut man nichts anderes, als diese Verbrechen fortzusetzen!“

Eva Ziedan
Eva Ziedan

Die Orte gehören den Bewohnern, nicht dem Tourismus

„Das Land hat viele seiner Kinder, viele seiner Ressourcen verloren – darunter auch kulturelle, die zu einem großen Teil zerstört worden sind. Der Krieg hat uns aber auch gelehrt, unser Land und seine Ressourcen mit anderen Augen zu betrachten. Als Archäologin kann ich die Verbindung zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart nicht ignorieren – und ich muss auch die Verbindung zwischen den Ruinen und den Menschen verstehen“, betont Ziedan, die auch in der Wüstenregion westlich von Palmyra im Einsatz war. „Die Stadt Palmyra ist nicht mehr das, was sie einmal war. Viele Archäologen, die selbst aus diesem Ort stammen, fordern, dass zuerst das sozioökonomische Gefüge der Stadt rekonstruiert wird, und dann der Rest. Das Konzept sieht vor, dass die Orte zuerst den Bewohnern gehören – und dann erst für den internationalen Tourismus genutzt werden dürfen. Nur so können wir eine wirklich nachhaltige Erhaltung der archäologischen Stätten und des kulturellen Erbes gewährleisten. Ein verantwortungsvoller Tourismus wird nicht nur den Baal-Tempel im Blick haben, sondern auch die Geschichten der Menschen, die dort leben“.

Die Rückkehr der Intellektuellen

„Nur zehn Tage nach dem Sturz des Regimes begann die Rückkehr führender Intellektueller, die seit über 14 Jahren aus Syrien verbannt waren,“ berichtet die syrische Archäologin weiter. „Sie haben sich mit anderen prominenten Persönlichkeiten getroffen, die im Land geblieben waren, aus Angst vor Regierungsrepressalien aber im Verborgenen im zivilen Bereich gearbeitet haben. Die Hoffnung hat sich in den Untergrund begeben…. Und jetzt können sie sich zum ersten Mal wieder ohne Angst versammeln – und das ausgerechnet in einem Gebäude, das einst der Baath-Partei gehörte!“

Damaskus
Damaskus

Einzige Lichtquelle dieser Versammlungen sind die Mobiltelefone – im bitterkalten Damaskus gibt es wieder einmal keinen Strom. „Es sind historische Momente, Momente, voller Verantwortung und Hoffnung,“ meint Eva abschließend. „Wir verdienen den Frieden, wir verdienen es, ihn uns zu wünschen. Wir verdienen es, seiner würdig und in der Lage zu sein, ihn zu verteidigen.“

(vaticannews – skr)

 

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24. Januar 2025, 14:04