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Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, bei einer Prozession in Jerusalem (Archivbild) Der lateinische Patriarch von Jerusalem, Pierbattista Pizzaballa, bei einer Prozession in Jerusalem (Archivbild) 

Pizzaballa: „Wir bitten um Rechte, nicht um Schutz“

Die Zunahme von Drohungen und Einschüchterungen gegen die christliche Gemeinschaft im Heiligen Land beschäftigt auch den lateinischen Patriarchen von Jerusalem. In einem Interview mit Vatican News analysiert er das Problem, gibt jedoch auch zu bedenken, dass die Mehrheit der Bürger ein derartiges Klima nicht unterstützt: „Wir wollen keinen Schutz, sondern Rechte, wir wollen als freie Bürger in einem demokratischen Staat leben,“ sagt er.

Jean Charles Putzolu und Christine Seuss - Vatikanstadt

„Es ist leider wahr, dass wir in der letzten Zeit eine Zunahme der Angriffe erlebt haben“, bestätigt der italienische Franziskaner, der schon lange im Heiligen Land wirkt, entsprechende Berichte. Dabei sei es keineswegs etwas Neues, als Christ verbal und physisch angegangen oder bespuckt zu werden. „Aber die exponentielle Zunahme dieser Phänomene, vor allem in der Altstadt Jerusalems, ist besorgniserregend und ein Thema, das sowohl die christliche Gemeinschaft als auch die israelischen Behörden beunruhigt, die nach eigenen Angaben alles tun, um dies zu verhindern - bisher jedoch ohne großen Erfolg“, so Pizzaballa im Gespräch mit Vatican News. 

Es sei sicherlich Aufgabe der Behörden des Landes – seien diese nun Israelis oder Palästinenser -, dafür zu sorgen, „dass alle Realitäten des Landes, unabhängig von ihrer religiösen, kulturellen, ethnischen oder sonstigen Zugehörigkeit, garantiert werden“. Doch sei der Kontext, der diese Zunahme begünstige, komplex, gibt Pizzaballa zu bedenken: „Die große Mehrheit der israelischen jüdischen Bevölkerung, auch der religiösen, hat damit nichts zu tun“, ist es ihm ein Anliegen zu betonen. Auch hätten sich in den letzten Monaten vermehrt Rabbiner zu Wort gemeldet, die diese Art von Gewalt verurteilten. Allerdings gebe es auch diejenigen, die sie bewusst anstachelten, neben einer „neuen Generation von Siedlern“ und anderen, die es „nicht gewohnt“ seien, „mit anderen Realitäten als den ihren konfrontiert zu werden“:

„Es herrscht ein allgemeines Klima der Gewalt im Lande“

„Es herrscht ein allgemeines Klima der Gewalt im Lande, das wir sowohl in der israelischen als auch in der palästinensischen Gesellschaft beobachten konnten. Diese allgemeine Kultur der Polarisierung wirkt sich also auch auf all dies aus“, so die Diagnose des Kirchenmannes. Gerade in diesen Tagen wird das Land durch groß angelegte Proteste gegen die umstrittene Justizreform der Regierung gespalten.

Zwar glaube er nicht, dass die Christen aktiv im Fadenkreuz der Regierung stünden, doch die aktuelle politische Situation trage das ihre dazu bei, das Klima zu verschlechtern, räumt er ein. Dabei sehe er die zunehmenden Angriffe gegen Christen eher als „eine Art Kollateralschaden“: „Es stimmt aber auch, dass diese Regierung ein sehr angespanntes Klima im Land geschaffen hat: Es wird von einer ,jüdischen Vorherrschaft‘ gesprochen…“

Kollateralschaden Gewalt gegen Minderheiten

Dies könne zumindest einen indirekten Einfluss zeitigen, betont der Franziskaner, der mit Sorge wahrnimmt, dass die Zunahme der Angriffe auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft selbst zu Verstörung und Spannungen führe. Es entstehe teilweise der Eindruck, dass die religiösen Führer ebenso wie die Behörden nicht aktiv genug gegen die Angriffe einschritten. Dabei sei man in engem Kontakt mit der Polizei, die durch die Medienaufmerksamkeit für das Phänomen selbst unter Druck stehe, „was in diesem Sinne positiv ist“:

„Es gibt erste Ergebnisse in dem Sinne, dass einige Leute gefasst und vor Gericht gestellt werden, aber es bleibt noch viel zu tun.“ Das Phänomen sei wohl nicht ganz oben auf der Prioritätenliste der Regierung, doch sei der Präsident des Staates Israel „sehr aktiv“ und habe sich öffentlich „sehr deutlich dagegen ausgesprochen“, würdigt Pizzaballa, der in diesem Zusammenhang und eingedenk der Situation von Christen im Irak und in Syrien unter dem Terrorregime des IS nicht von „Verfolgung“ sprechen will. Ebenso wenige gehe es um mehr Schutz für christliche Orte: „Wir wollen keinen Schutz, wir wollen Garantien, wir wollen Rechte: Wir wollen als freie Bürger in einem demokratischen Staat leben.“

„Wir wollen als freie Bürger in einem demokratischen Staat leben“

Allerdings berge die Situation auch Gründe zur Hoffnung, denn diese habe „starke Reaktionen“ hervorgerufen, vor allem in verschiedenen, auch religiösen Bereichen der israelischen Gesellschaft: „Und ich glaube, dass dieses Problembewusstsein innerhalb der israelischen Gesellschaft mit der Zeit Früchte tragen wird.“

(vatican news)

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26. Juli 2023, 15:30