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Soldat in Guayaquil am 19. Oktober Soldat in Guayaquil am 19. Oktober 

Ecuador: Drogen, Gewalt, Armut

Er lebt und arbeitet schon seit vierzig Jahren in Ecuador. Aber eine so verzweifelte Lage hat er noch nie erlebt, sagt der Comboni-Missionar José Barranco. Wenn er das heutige Ecuador schildern soll, klingt das bei ihm so: „Gewalt, Diebstahl, Unsicherheit und Leid. Krankenhäuser ohne Medikamente, Gefängnisse, in denen die Gefangenen Waffen tragen und so weiter.“

Präsident Guillermo Lasso wusste sich unlängst nicht mehr anders zu helfen: Am 18. Oktober weitete er den Ausnahmezustand, der zunächst nur für die Gefängnisse im Land gegolten hatte, auf ganz Ecuador aus. Eine Bankrotterklärung von ganz oben.

„Die jetzige Lage hat Wurzeln, die mehr oder weniger in die Vergangenheit reichen. Schon unter früheren Regierungen haben bereits seit Jahren der Drogenhandel und auch der Drogenkonsum zugenommen. Gleichzeitig gab es immer mehr Banden, die mit Drogenkartellen aus Mexiko und anderen Teilen des Landes verbunden sind.“

Beisetzung eines Mordopfers am 15. Oktober in Esmeraldas
Beisetzung eines Mordopfers am 15. Oktober in Esmeraldas

„Raubüberfälle am hellichten Tag“

Und das führt, wie Pater Barranco erzählt, dazu, dass sich keiner mehr in Ecuador sicher fühlt. „Vor allem in letzter Zeit finden Raubüberfälle und Angriffe nicht mehr nur nachts, sondern auch am helllichten Tag statt. Wir müssen bedenken, dass wegen der Pandemie ja auch viele Unternehmen zusammengebrochen sind und schließen mussten. Dadurch hat die Arbeitslosigkeit zugenommen, und viele Menschen hungern.“

Der Missionar kann speziell nicht fassen, was sich in den chronisch überfüllten Gefängnissen Ecuadors abspielt. Drogenbosse führen das Geschäft aus ihrer Zelle heraus weiter, manipulieren ihre Mitgefangenen. Ende September hat ein Gewaltausbruch in der Haftanstalt El Litoral in Guayaquil mehr als 110 Häftlinge das Leben gekostet: Offenbar gingen rivalisierende Banden hinter Gittern mit Schusswaffen aufeinander los.

Eine Art Diktatur?

„Im Land herrschen jetzt Unsicherheit, Angst und Schrecken. Im Ausnahmezustand darf jetzt das Militär oder die Polizei im Zweifelsfall auch in Privatwohnungen eindringen; viele fühlen sich dadurch in eine Art Diktatur versetzt. Andere argumentieren genau andersherum: Wenn die Regierung jetzt nichts tut, dann wird uns keiner mehr vor dem Unwesen der Banden retten.“

Die katholische Anwältin und Journalistin Saarhy Betancour gehört womöglich zu denen, die darauf hoffen, dass die Regierung mit ihrer Demonstration der Stärke Boden gegenüber den Banden gutmacht. Sie erinnert daran, dass der Ausnahmezustand lediglich auf sechzig Tage befristet ist und sich spezifisch gegen Gewalt im Zusammenhang mit Drogenhandel richtet.

Zum Nachhören: Ein Missionar und eine Journalistin über die verzweifelte Lage in Ecuador

Zwei Arten von Gewalt

„In Ecuador gibt es eine ernsthafte innere Unruhe wegen der Zahl der Verbrechen, insbesondere in den Küstenprovinzen wie Guayas, Manabí und Los Ríos. Bei der Verhängung des Ausnahmezustands hieß es, der einzige Feind sei der Drogenhandel. Polizei und Streitkräfte sind jetzt auf den Straßen präsent, um einen weiteren Anstieg in der Zahl der Verbrechen zu verhindern.“

Betancour weist darauf hin, dass es in Ecuador aus ihrer Sicht zwei Arten von Gewalt gibt: „Das eine ist die Gewalt im Zusammenhang mit dem Drogenhandel. Da gehen die meisten gewaltsamen Todesfälle auf Auftragskiller zurück, da werden sozusagen Rechnungen beglichen. Die zweite Art von Gewalt hingegen sind gewöhnliche Raubüberfälle, und die hängen mit der Armut zusammen. Täter sind Ecuadorianer, die ihre Arbeit verloren haben und in extremer Armut leben, oder Ausländer, die gezwungen wurden, ihr Land zu verlassen, zum Beispiel Venezolaner.“

 Präsident Lasso
Präsident Lasso

Wichtigstes Drogen-Transitland der Region

Auf längere Sicht allerdings ist der Ausnahmezustand kaum ein taugliches Mittel gegen die Drogenprobleme Ecuadors, das weiß auch die Journalistin Betancour. Ecuador ist längst das wichtigste Drogen-Transitland in der Region, allein 2021 wurden hier bisher 117 Tonnen Drogen beschlagnahmt.

„Das Problem des Drogenhandels ist real. Es ist ein ziemlich komplexes Problem, mit verschiedenen Aspekten. Und das Ergebnis ist leider ein Land, das von Gewalt und Drogen heimgesucht wird.“

Lasso und die „Pandora Papers“

Dass Präsident Guillermo Lasso dem Drogenhandel jetzt den Krieg erklärt hat, könnte auch mit den sogenannten „Pandora Papers“ zu tun haben. Fragen zu dem Finanzgebaren, die durch diese Dokumente enthüllt wurden, bringen derzeit viele Politiker besonders in Lateinamerika in Bedrängnis, darunter den erst seit Mai in Quito regierenden Konservativen Lasso. Der frühere Banker könnte durch den Anti-Drogen-Showdown versuchen, von seinem Finanzskandal abzulenken.

(vatican news – sk)

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26. Oktober 2021, 10:59