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Ende März: 45 Särge in einer Kirche von Bergamo Ende März: 45 Särge in einer Kirche von Bergamo

Corona in Bergamo: Manchmal muss auch Pater Marco weinen

Als Bergamo ein Corona-Hotspot war, brachte die Lokalzeitung „L’Eco di Bergamo“ jeden Tag zwölf Seiten mit Todesanzeigen. Jetzt sind es nur noch drei Seiten – ein Zeichen dafür, dass es in der leidgeprüften norditalienischen Stadt langsam wieder aufwärts geht.

Stefan von Kempis und Antonella Palermo – Vatikanstadt

Nur noch ein Drittel der Kranken, die sich an die Notaufnahme des Krankenhauses Johannes XXIII. wenden, tun es wegen Corona-Symptomen; trotzdem, es ist unmöglich, die Bilder aus Bergamos dunkelsten Tagen im März zu vergessen. Bilder von übereinandergestapelten Särgen. Bilder von Militär-LKWs, die die Särge mit den Leichnamen der Verstorbenen in andere Städte fuhren, weil die Krematorien Bergamos überlastet waren.

Der Franziskaner Marco Bergamelli ist Seelsorger an der Allerheiligen-Friedhofskirche von Bergamo. Beerdigungen darf er in diesen Wochen keine mehr feiern, aber er segnet die Särge oder Urnen. Und er tröstet die Angehörigen, wie er im Interview mit Radio Vatikan berichtet.

„Die schlimmste Krankheit ist Einsamkeit“

„Mit diesen schmerz- und leidgeprüften Menschen versuche ich, einen Moment zu beten und ihnen etwas Trost zu geben. Ich frage sie auch immer, ob bei ihnen jemand in Quarantäne ist, und dann sage ich ihnen: Das schönste Geschenk, das ihr eurem verstorbenen Papa machen könnt, ist, dass ihr diesen Familienmitgliedern nahe seid, die nicht vor die Tür dürfen. Leider ist Einsamkeit die schlimmste Krankheit; das schöne Geschenk ist, diese Leute wenigstens mal anzurufen.“

Zum Nachhören

Nur wenige Angehörige können dabei sein in dem Moment, in dem die Urne des Verstorbenen auf dem Friedhof an ihren endgültigen Platz gebracht wird. „Die Angehörigen, die die Urne in die Hand nehmen, tragen sie wie etwas Wertvolles. Wie einen Schatz.“

Angehörige, die die Urne wie einen Schatz tragen

Nein, eine Strafe Gottes ist die Corona-Pandemie nicht, sagt Don Marco, sonst wäre Gott jemand, „dem man besser aus dem Weg ginge“. „Es ist nicht vorstellbar, dass Gott, der ja wie ein Vater oder wie eine Mutter für uns ist, die Menschen dermaßen hart prüft, damit sie zu ihm umkehren! Er hat uns nicht in ein Tal der Tränen gesetzt, sondern in eine wunderbare Welt. Und er hat uns so viele Talente gegeben, um diese Welt immer schöner und blühender zu machen.“

In diesen elf Jahren, die er schon als Friedhofsseelsorger arbeite, habe er immer wieder einmal Eltern oder Großeltern weinen sehen – aus Trauer darüber, dass ihre Kinder oder Enkel nicht mehr zur Kirche gingen.

„Wir wollten die Allmächtigen spielen...“

„Und deswegen fühlten sie sich als Versager. Aber ich sage dann immer: Lasst den Mut nicht sinken! Jesus hat uns nie dazu genötigt, ihm nachzufolgen. Gottes Leidenschaft ist der lebende Mensch, und das Leben ist ein riesengroßes Geschenk. Wir wollten die Allmächtigen spielen, aber ein kleiner Virus hat gereicht, uns alle schachmatt zu setzen! Noch nie haben wir so gut wie jetzt begriffen, dass das Leben zerbrechlich ist. Und dass es sich nicht lohnt, es mit unseren Boshaftigkeiten und Eifersüchteleien noch komplizierter zu machen.“

Seine Arbeit ist in diesen Tagen und Wochen emotional sehr belastend – hin und wieder bricht auch Don Marco zusammen. „Manchmal kommen auch mir die Tränen – gestern nachmittag zum Beispiel. Da lasen zwei Schwestern den Psalm 23, ‚Der Herr ist mein Hirte‘, und ich sah alle Kinder und Enkel. Ich konnte kaum das Gebet sprechen und den Segen geben, da habe ich angefangen zu weinen und konnte eine Weile nicht weitermachen. Ich habe ihnen gesagt: Bitte entschuldigt mich. Ich bin auch nur ein Mensch, und ich fühle euren Schmerz mit.“

Albträume und Angst vor Kontakt

Er sei „psychologisch völlig am Boden“ gewesen, als er gesehen habe, wie sich 132 Särge in seiner leergeräumten Kirche ansammelten. Elfmal insgesamt habe das Militär Särge in andere Städte abtransportiert, nach Bologna oder sogar bis nach Florenz – das letzte Mal ausgerechnet am Karfreitag. „Mir tat das weh. In manchen Nächten hatte ich Albträume, auch heute passiert mir das noch manchmal. Noch heute habe ich fast Angst davor, Kontakt zu anderen zu haben.“

Eine wichtige Stütze sei für ihn seine Gemeinschaft: Die dreißig Minderbrüder gäben sich untereinander Kraft. „Ich komme oft sehr niedergeschlagen heim, und sie hören mir zu, und dann löst sich diese Last ein wenig. Ich kann mich ja auch eigentlich nicht beschweren – uns fehlt es eigentlich an nichts. Es stimmt schon, dass, wer alles verlässt, dafür das Hundertfache bekommt, wie das Evangelium sagt. Wir hatten Glück: Einer unserer Brüder ist Chirurg, der hat uns noch rechtzeitig in die Isolation geschickt.“

Drei Brüder seien in letzter Zeit gestorben – aber nicht am Virus, sondern weil sie schon in hohem Alter waren. Die Mensa für die Armen, die die Franziskaner von Bergamo betreiben, tut auch in Zeiten der Pandemie weiter ihren Dienst. „Normalerweise geben wir etwa 150 Armen zu essen, wir essen zusammen mit ihnen. Jetzt geht das aber nicht mehr – das Essen kommt in Plastiktüten und wird verteilt, an bis zu 180 Leute.“

(vatican news)

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24. April 2020, 13:41