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Proteste gegen die Lebensmittelknappheit sind in Venezuela mittlerweile alltäglich - oftmals kommt es dabei auch zu gewalttätigen Konfrontationen Proteste gegen die Lebensmittelknappheit sind in Venezuela mittlerweile alltäglich - oftmals kommt es dabei auch zu gewalttätigen Konfrontationen  

Venezuela: „Wer kann, versucht aus dem Land zu kommen“

Das „traurigste Weihnachtsfest“ seit Jahrzehnten liegt hinter der venezolanischen Bevölkerung. Das stellte der scheidende Vorsitzende der venezolanischen Bischofskonferenz, Diego Rafael Padrón Sánchez, in seiner Eröffnungsansprache zur Vollversammlung der Bischöfe in dieser Woche fest.

Christine Seuss - Vatikanstadt

Emblematisch für das traurige Fest: die Episode mit den Weihnachtsschinken, die die Regierung versprach, nur leider reichten sie nicht für alle, die hungrigen Menschen, die stundenlang umsonst anstanden, gerieten aneinander, es kam zu Ausschreitungen sogar mit Toten. Die medizinische Versorgung in Venezuela ist inzwischen vollständig zusammengebrochen. Eine desolate Situation, die die Bischöfe im Land schon seit Beginn der Krise anprangern. Reiner Wilhelm ist Venezuela-Referent im Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat der deutschen Bischöfe, wir haben ihn zum Gespräch über die jüngsten Entwicklungen gebeten.

„Ich war vor etwa eineinhalb Jahren in Venezuela, da gab es in den Supermärkten auch noch etwas zu kaufen, wenn man lange Schlangen auf sich nahm. Inzwischen ist es so, dass die Supermärkte quasi leer sind und die Inflation derart galoppierend ist, dass auch die Erhöhungen der Einkünfte nicht mehr damit Schritt halten. Es ist immer weniger Ware für immer mehr Menschen da und irgendwann hat man nur noch Hunger. Die Menschen wehren sich gegen die Situation des Hungers. Es gibt kaum noch Benzin, genausowenig wie Essbares.“ 

„Die Menschen wehren sich gegen die Situation des Hungers“

Um sich von internationalen Devisenmärkten unabhängig zu machen und der Inflation Herr zu werden, hat Präsident Maduro die Parallelwährung des Petros eingeführt – eine Totgeburt angesichts der Tatsache, dass es kaum Dinge des täglichen Bedarfs gibt, die überhaupt erworben werden können, aber auch aufgrund des Misstrauens, das die Händler der Kryptowährung entgegenbringen. Venezuelas entmachtetes Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit hat, hat diese am Dienstag gar als illegal bezeichnet und betont, die bereits grassierende Korruption werde durch einen solchen Schritt noch mehr gefördert. Auch die Bischöfe thematisierten die Korruption und die Revolution Chavez´ bei ihrer Vollversammlung – ein kluger Schachzug, meint Wilhelm:

„Weshalb Chavez 1992 angetreten ist und einen Putsch gemeinsam mit dem Militär verübte, war eigentlich gegen die Korruption gerichtet. Und inzwischen haben wir eine Situation, die weit darüber hinaus geht, was 1992 war, und da stellt sich natürlich die Frage, wie geht es da weiter.“

„Maduro sitzt fester im Sattel als noch vor einem Jahr“

Die Regierung legt jedenfalls Aktionismus an den Tag, immer größere Geldscheine werden gedruckt, um mit der Inflation Schritt zu halten - doch auch hier ist starker Druck vonnöten, die Händler zur Annahme der rasch verfallenden Währung zu bewegen. Trotz der internationalen Sanktionen und Kritik denke Maduro jedoch keinesfalls daran etwas am durch und durch maroden System zu ändern, oder sogar sein Amt aufzugeben, betont Wilhelm.

„Ganz im Gegenteil! Er ist aus der ganzen Situation vor allem im vergangenen Jahr, als es um sein politisches Überleben gegangen ist, eher gestärkt hervorgegangen. Er hat die Demokratie ausgehebelt und mit der verfassungsgebenden Versammlung ein paralleles Parlament geschaffen. Er regiert mit dieser Versammlung und auch die letzten Bürgerschaftswahlen sind zu seinen Gunsten ausgegangen. Das liegt daran, dass beispielsweise Menschen gewählt haben, die längst verstorben sind oder dass die Wahllokale in Regionen und Stadtteilen gelegt waren, die von der Regierung und von Anhängern der Regierung kontrolliert werden und dass viele von denen, die sich als Bürgermeister oder Gouverneur zur Wahl stellen sollten, kurzfristig ausgeschlossen wurden und viele auch das Land verlassen haben, um eine Verhaftung oder Ermordung zu verhindern. Die Situation ist immens schwierig und man merkt, dass Maduro inzwischen fester im Sattel sitzt als noch vor einem Jahr. Die Frage ist nur, wie lang das noch gut geht, zumal die Versorgungslage inzwischen derart prekär ist, dass man nicht weiß wo es hingeht.“

„Wir müssen so viel Druck aufbauen, dass humanitäre Hilfe wieder möglich ist“

Die internationale Gemeinschaft, aber auch Medienvertreter seien gefordert, die Situation der Venezolaner nicht zu vergessen – und diese immer wieder aufs Tapet zu bringen. Denn, so die Beobachtung Wilhelms, „was eigentlich jedes Regime, egal welcher Couleur, immer meidet, ist die Öffentlichkeit, dass man über sie spricht. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Beitrag, den wir hier leisten können, wir können die Themen der Menschen, die vor Ort sind und Hunger leiden müssen, die kaum noch Medikamente haben, ansprechen. Wir müssen so viel Druck aufbauen, dass humanitäre Hilfe wieder möglich ist, denn die lässt Maduro nach wie vor nicht ins Land. Das, was im Land zu bekommen ist, ist Schmuggelware, deren Preis täglich steigt.“

 

Und hier setzt die Hilfe von Adveniat an, berichtet Wilhelm. Denn als einzige Möglichkeit scheint sich momentan angesichts der Blockade humanitärer Hilfen darzustellen, mit Geldmitteln so gut es eben geht auszuhelfen.

„Wir versuchen, die entsprechenden Gelder zur Verfügung zu stellen, damit man auch auf einem verteuerten Markt etwas erwerben kann, damit die Helfer also auch noch helfen können. Viele Pfarreien haben Suppenküchen gegründet, man wirft dort zusammen, was man hat und macht eine Suppe, von der jeder halbwegs satt wird. Viele Menschen haben natürlich nur einmal am Tag etwas zu essen, dann ist es wenigstens ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein. Adveniat versucht, mit kleinen Spenden und den Mitteln, die wir haben, vor Ort zu helfen, aber es ist natürlich immens schwierig in einer solchen Situation.“

„Wer kann, versucht aus dem Land zu kommen“

Präsident Maduro hatte am 1. Januar diesen Jahres medienwirksam angekündigt, den Mindestlohn für die Bevölkerung um 40 Prozent zu erhöhen. Doch mit Blick auf die Inflation bedeute dies, dass die Menschen statt eines Gegenwertes von sechs Euro nun ganze sieben Euro pro Monat in der Tasche hätten, rechnet der Adveniat-Fachmann vor. Wie es nun weitergeht? Gute Frage, seufzt Wilhelm sichtlich resigniert: „Wir hatten ja uns vor einiger Zeit gehört und gesagt, eigentlich kann es nicht mehr schlechter kommen, und dennoch scheint es immer noch schlechter zu kommen. Es gibt ein Ventil: die starke Migration. In den letzten wenigen Monaten haben etwa 200.000 Venezolaner das Land verlassen. Viele versuchen, über das Ausland etwas Geld wieder an ihre Familien zurück zu überweisen und damit die Not etwas zu lindern. Aber im Moment versucht, wer kann, aus dem Land zu kommen.“

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10. Januar 2018, 14:01