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Kardinal Parolin Kardinal Parolin  (TK KBS/ Peter Hric)

Parolin: Vatikan hat Verurteilung der Hamas nicht beschönigt

Am Rande der Heiligen Messe zum 90. Jahrestag des Holodomor – des Hungergenozids in der Ukraine im 20. Jahrhunderts - hat Kardinalstaatssekretär Parolin die Haltung des Papstes bekräftigt: Franziskus sei sowohl den Israelis als auch den Palästinensern nahe. Die Beziehungen zur jüdischen Welt stehe nicht in Frage, versicherte der Kardinal und erklärte, dass die Bemühungen um die Freilassung der Geiseln und die Rückkehr der ukrainischen Kinder, die nach Russland verschleppt wurden, weitergehen.

Mario Galgano - Vatikanstadt

Zwei unterschiedliche Veranstaltungen innerhalb von wenigen Stunden und viele Journalisten-Fragen: Kardinal Parolin beantwortete am Rande einer Konferenz über Papst Johannes Paul I. an der päpstlichen Universität Gregoriana die Fragen der Journalisten zu den aktuellen Ereignissen. Am Donnerstagnachmittag war der Kurienkardinal bei einem Gottesdienst der ukrainischen Gemeinde in Italien dabei.

Zum Nachhören - was Kardinal Parolin sagte

Holodomor vor 90 Jahren

Der Chefdiplomat des Papstes, Kardinal Pietro Parolin, hat an die Hungerkatastrophe in der Ukraine vor 90 Jahren erinnert. Der Holodomor sei ein schreckliches Kapitel in der Geschichte der Ukraine gewesen, so wie der aktuelle Krieg, sagte der Kardinalstaatssekretär bei dem Gottesdienst am Donnerstagnachmittag in Rom. Angesichts des gegenwärtigen Krieges gedachte Parolin der zahlreichen Opfer und der enormen Zerstörungen, „die in den bevorstehenden Wintermonaten noch größer werden dürften". Der Begriff „Holodomor" steht für die Hungersnot in der Ukraine unter dem damaligen sowjetischen Diktator Josef Stalin in den 1930er-Jahren.

Die Nähe des Papstes

Der Papst und der Heilige Stuhl sind dem Leiden aller im Krieg befindenden Völker nahe. So habe Franziskus und der Vatikan den schrecklichen Angriff der Hamas vom 7. Oktober nicht „beschönigt“, auch könne man nicht „ignorieren“, was in Gaza geschieht, „wo es so viele Tote, so viele Verletzte und so viel Zerstörung gibt“. Die Nummer Zwei des Vatikans benützt das Wort „equivicinanza“ – auf Deutsch etwa „Äquinähe“ – also die diplomatische Nähe mit allen in einem Konflikt beteiligten Seiten. Das erläuterte Kardinal Parolin am Donnerstagnachmittag gegenüber Journalisten nach dem Gottesdienst in einer römischen Kirche zum Jahrestag des Holodomor. Damit ist der Genozid Stalins gegen das ukrainische Volk im 20. Jahrhundert gemeint, bei den Millionen von Ukrainer durch eine künstlich geschaffene Hungersnot umgebracht wurden.

Das Prinzip der „Äquinähe“ ist im Vatikan nicht neu, bekräftigt der vatikanische Kardinalstaatssekretär. Seit der Zeit Benedikts XV. (1914-1922) gehört dieses Prinzip zum diplomatischen Stil des Heiligen Stuhls, der im Ersten Weltkrieg ebenfalls von den Konfliktparteien deswegen heftig kritisiert wurde, weil der damalige Papst „eine neutrale Position“ eingenommen hatte, indem er - so der Vorwurf der Kriegstreiber – „den Aggressor und den Angegriffenen“ nicht anerkannte.

Ein Schicksal, das nun auch Papst Franziskus erlebt, denn dessen Worte am Ende der Generalaudienz am Mittwoch lösten eine Kontroverse bei einigen Vertretern der jüdischen Welt aus, darunter am Donnerstagmorgen von den Rabbinern Italiens, die sich in einer Mitteilung darüber beschwerten, dass der Papst die Hamas und Israel auf eine Stufe gestellt habe, indem er von „Terrorismus“ auf beiden Seiten sprach.

An diesem Freitag sprach Parolin bei einer Konferenz an der Gregoriana
An diesem Freitag sprach Parolin bei einer Konferenz an der Gregoriana

Franziskus betet für Israelis und Palästinenser: Kriege erzeugen nur Leid

Auf die Frage von Journalisten vor der römischen Kirche Sant'Andrea della Valle, wo Parolin am Nachmittag die Messe zum 90. Jahrestag des Holodomor, der dramatischen Vernichtung von Millionen Ukrainern durch Hunger in den Jahren 1932-33, zelebriert hatte, spricht der Staatssekretär von Anschuldigungen gegen den Papst, die „keinen Sinn ergeben“ und betont, dass die jüngsten Ereignisse „sicherlich“ die Beziehungen zur jüdischen Welt und „die Errungenschaften dieser Jahre, ausgehend von Nostra Aetate“ nicht in Frage stellen. Und fügt an:

„Im Gegenteil, wir sind zutiefst besorgt über diese Welle des Antisemitismus, die sich überall entlädt. Der Heilige Stuhl hat eine sehr klare Haltung gegen den Hamas-Angriff eingenommen. Es ist nicht so, dass wir ihn beschönigt hätten.“

Parolin sprach auch am Rande einer Veranstaltung an der Gregoriana nach dem militanten Angriff in Israel von einem „schrecklichen“ und „verabscheuungswürdigen“ Angriff:

„Es scheint mir, dass der Heilige Stuhl in jeder Hinsicht versucht, gerecht zu sein und das Leiden aller zu berücksichtigen. Auch in diesem Fall für das Schreckliche, das Israel erlitten hat, das zu verurteilen ist“, betonte der Kardinal. Gleichzeitig „können wir auch nicht ignorieren, was auf der anderen Seite passiert“, nämlich im Gaza-Streifen, „wo es so viele Tote, so viele Verletzte, so viel Zerstörung gegeben hat“. Der Papst, fügte der Kardinal hinzu und erinnerte an das Kommuniqué, in dem die Audienz mit den Familien der Geiseln und einer Gruppe von Palästinensern erläutert wurde, „möchte dem Leid all derer nahe sein, die leiden“.

Am Donnerstag nahm Parolin an dem Gedenkgottesdienst für die Opfer des Holodomors teil
Am Donnerstag nahm Parolin an dem Gedenkgottesdienst für die Opfer des Holodomors teil

Ein schrecklicher und verachtenswerter Angriff gegen Israel

Einige Reporter wiesen darauf hin, dass die Kritik der Rabbiner derjenigen ähnelt, die im Zusammenhang mit dem Krieg zwischen der Ukraine und Russland geäußert wurde, weil angeblich nicht zwischen „Aggressoren“ und „Angegriffenen“ unterschieden wurde, antwortete Parolin:

„Wir haben bereits geantwortet, und zwar zu gegebener Zeit. Der Papst und der Heilige Stuhl haben es klar gesagt: Im Fall der Ukraine haben wir gesagt, dass es sich um einen Angriffskrieg handelt. Was soll man dazu noch sagen? Man muss auch die Worte genau lesen und verstehen, was sie bedeuten. Wenn man dann mehr will, so kann man auch unsere Handlungen beachten. Wir machen unsere Überlegungen, wir treffen unsere Entscheidungen.“

Er habe jedoch nicht den Eindruck, versicherte der Kardinal weiter, „dass es eine Gleichwertigkeit“ zwischen der Lage im Heiligen Land und jener in der Ukraine gibt. „Was es zu sagen gibt, haben wir immer gesagt, wenn auch in Formen, die dem Heiligen Stuhl angemessen sind“, so Parolin und fügt an:

„Und was der Papst sagt, sagt er deutlich. Natürlich nicht in der Art und Weise, wie es manche wollen.“

Der Gottesdienst in Sant´Andrea della Valle in Rom
Der Gottesdienst in Sant´Andrea della Valle in Rom

Die Haltung des Heiligen Stuhls

Die Spannungen, die Anschuldigungen, die Schwierigkeiten, über den Frieden zu sprechen, seien jedenfalls nicht neu. „Es tut mir leid, aber ich bin nicht überrascht. Es ist ein Schicksal, jedem sagen zu können, was gesagt werden muss, aber ich kehre zurück, um es so zu sagen, wie es der Heilige Stuhl tut.“

Die Geiselfrage

In Bezug auf die Kanäle des Dialogs, die die vatikanische Diplomatie im Nahen Osten verfolgt, erklärte der Staatssekretär, dass „das, was getan werden kann, die Fortsetzung der Geiselfrage ist. Im Moment gibt es nicht viele andere Möglichkeiten“, so Parolin. Die Geste des Papstes, die Familien im Vatikan zu empfangen, so der Kardinal, „kann in diesem Sinne dazu beitragen, eine Lösung des Problems zu finden“.

In der Zwischenzeit wird die Arbeit an der ukrainischen Front für die Rückkehr von Kindern, die gewaltsam nach Russland verschleppt wurden, nicht eingestellt. „Der Mechanismus, der nach dem Besuch von Kardinal Matteo Zuppi in Moskau und Kyiv ins Leben gerufen wurde, ist aktiv. Und er zeigt einige Ergebnisse“, gesteht Parolin ein. Allerdings, so stellte er klar, „darf man auch hier keine durchschlagenden Ergebnisse erwarten, das heißt, dass Hunderte und Aberhunderte freigelassen werden...“ Zahlen, über die es im Übrigen „keinen Konsens gibt: die eine Seite sagt das eine, die andere Seite das andere. Aber es wird etwas getan, und es hat Früchte getragen“, erläutert der vatikanische Chefdiplomat.

Die Heilige Messe zum Gedenken des Jahrestages des Holodomors
Die Heilige Messe zum Gedenken des Jahrestages des Holodomors

Ende des Krieges in der Ukraine und Abkommen zwischen Israel und Hamas

Eine Frage an den Kardinal bezog sich auch auf die Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin auf dem G20-Gipfel, wonach Russland „zu Gesprächen bereit“ sei, um die „Tragödie“ des Krieges in der Ukraine zu beenden. Ist Putin glaubwürdig, wenn er auf ein Ende des Konflikts hofft, den er selbst ausgelöst hat? Dazu Parolin:

„Ich hoffe, er ist glaubwürdig, denn das ist es, was wir uns alle erhoffen.“ Gleichzeitig äußerte er sich besorgt über den Aufschub der Vereinbarung zwischen der Hamas und Israel über einen vorübergehenden Waffenstillstand und die Freilassung israelischer Geiseln und palästinensischer Gefangener. Am Donnerstag sagte der Kardinal dazu, dass dies „ein wichtiger Schritt“ sei, der einen Hoffnungsschimmer aufkeimen lasse. An diesem Freitag jedoch die bittere Erkenntnis: „Das ist kein gutes Zeichen“, bemerkte Parolin, „aber man hat mir gesagt, dass der letzte Schritt darin besteht, dass das Gericht oder der Oberste Gerichtshof grünes Licht gibt, ich weiß nicht, ob das der Grund dafür ist, dass die Vereinbarung nicht zustande gekommen ist... Wir hoffen wirklich, dass wir eine Einigung erzielen können, zumindest einen Waffenstillstand.“

(vatican news)

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24. November 2023, 12:54