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P. Augustinus Sander OSB neben einer Lutherdarstellung P. Augustinus Sander OSB neben einer Lutherdarstellung 

P. Sander: „Wir müssen über den eigenen Kirchturm hinausschauen“

Mit einem Geleitwort auf Italienisch haben der Päpstliche Einheitsrat und der Lutherische Weltbund zum 500. Jahrestag der Exkommunikation Martin Luthers am 3. Januar auf die Zukunft der ökumenischen Gespräche hingewiesen. Man könne “die Trennungsgeschichte nicht ungeschehen machen”, aber sie könne “Teil unserer Versöhnungsgeschichte werden”, heißt es im Geleitwort zur neuen italienischen Übersetzung der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“. Augustinus Sander ist Benediktinerpater der Abtei Maria Laach in Deutschland und im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen zuständig für den Dialog mit den lutherischen Kirchen und den altkatholischen Kirchen der Utrechter Union.

Radio Vatikan: Wir haben jetzt einen runden Jahrestag: 500 Jahre Kirchentrennung und dazu ist nun dieses Geleitwort herausgekommen für eine italienische Fassung der “Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre”, die man ja gemeinsam vor fast 22 Jahren veröffentlicht hat. Weshalb ist denn jetzt ein Geleitwort auf Italienisch herausgekommen? Was hat das auf sich?

Pater Sander: Machen wir zunächst einen geschichtlichen Rückblick. 1999 wurde in Augsburg von Vertretern der Katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre unterzeichnet. Das war ohne Übertreibung ein ökumenischer Meilenstein. Die Frage an der – menschlich gesprochen – die Einheit der westlichen Kirche im 16. Jahrhundert zerbrochen ist, und zwar die Frage der Rechtfertigung, fand nun wieder annäherungsweise eine gemeinsame Antwort.

„Unsere Idee war, das Faktum der Exkommunikation Luthers in einem größeren ökumenischen Kontext, in einer weiteren ökumenischen Perspektive zu sehen.“

Dieses Dokument ist in vielen Sprachen übersetzt worden. Es hat nach mehr als 20 Jahren auch eine ökumenische Verbreitung gefunden über den katholischen und lutherischen Bereich hinaus. Methodisten, Anglikaner und Reformierte haben dieser gemeinsamen Augsburger Erklärung zustimmen können. 2019 gab es in Notre Dame in Nordamerika auch ein Treffen von Repräsentanten dieser verschiedenen konfessionellen Weltbünde, die gemeinsam noch einmal ihr ökumenisches Engagement für die Zukunft bestätigt haben.

Hier das Interview mit Pater Augustinus Sander OSB zum Nachhören

Eine italienische Übersetzung gab es auch. Wir haben jetzt aus Anlass des 500. Jahrestages der Exkommunikation Martin Luthers durch Papst Leo X. eine neu überarbeitete Fassung herausgegeben, versehen mit einem Geleitwort, das unterzeichnet ist von Kardinal Koch, dem Präsidenten unseres Päpstlichen Einheitsrates, und dem Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes, Dr. Martin Junge. Unsere Idee war, das Faktum der Exkommunikation Luthers in einem größeren ökumenischen Kontext, in einer weiteren ökumenischen Perspektive zu sehen. Da die Frage der Rechtfertigung im 16. Jahrhundert mit zur leidvollen Kirchenspaltung geführt hat, war es natürlich ein ökumenischer Meilenstein, dass in dieser Frage 1999 ein differenzierter Konsens gefunden werden konnte. Wichtig ist freilich, dass dieser Konsens nicht ein Dokument der Vergangenheit bleibt, sondern nun auch rezipiert wird im Leben der einzelnen Kirchen und Kirchengemeinden, und bei den Gläubigen verschiedenster Konfessionen ankommt.

„Wir wollen ökumenisch nicht stehen bleiben, sondern weitergehen.“

Von daher war unsere Idee, nun auch diese überarbeitete italienische Übersetzung einem mehrheitlich katholisch geprägten Hörer- und Leserkreis zur Verfügung zu stellen. Gleichzeitig ist durch das Geleitwort von Kardinal Koch und Martin Junge deutlich geworden: Wir wollen ökumenisch nicht stehen bleiben, sondern weitergehen. Das Motto dieses Geleitwortes und somit Motto unseres ökumenischen Dialogs für die Zukunft ist: Wir können die Trennungsgeschichte nicht ungeschehen machen, aber sie kann Teil unserer Versöhnungsgeschichte werden.

Pater Sander ist im Vatikan für den Dialog mit den Lutheranern zuständig
Pater Sander ist im Vatikan für den Dialog mit den Lutheranern zuständig

Radio Vatikan: Sie haben erklärt, weshalb dieses Geleitwort auf Italienisch erschienen ist. Bedeutet dies, dass man damit vor allem jene Katholiken ansprechen will, die nicht wie jene Gläubigen im deutschsprachigen Raum diesen ökumenischen Dialog auch konkret alltäglich sozusagen wahrnehmen? Also, es ist ja eine Tatsache, dass es nicht viele Lutheraner im italienischen Sprachraum gibt.

Pater Sander: Das ist ganz gewiss ein großes Anliegen auch dieser Publikation. Ökumene geschieht in verschiedenen Kontexten, Sie haben angesprochen die Situation etwa in Deutschland, wo es quasi im Land der Wittenberger Reformation etwa zahlenmäßig so viele Katholiken wie evangelische Christen gibt. In anderen Ländern sieht das natürlich sehr anders aus. Positiv gesprochen: Es gibt noch viel unentdecktes ökumenisches Potenzial, auch die Lutheraner in der Minderheit wahrzunehmen als Brüder und Schwestern im Glauben, geeint durch die eine Taufe, geeint im Verständnis der Rechtfertigung, das heißt ja: Wie kommt der Mensch ins Heil und wie bleibt er im Heil? Das ist eine ganz zentrale Frage unseres christlichen Glaubens. Wir denken, dass wenn die Sprachbarriere des Italienischen vielleicht überbrückt werden kann durch die überarbeitete Übersetzung dieses Dokuments, so kann es auch neue ökumenische Begegnungsmöglichkeiten geben. Es wird leichter, einander zu verstehen.

Radio Vatikan: Aus der deutschsprachigen Perspektive heraus betrachtet: Was erhofft man sich denn damit? Soll damit der ökumenische Dialog zwischen Katholiken und Lutheraner durch diese weltweite Ökumene irgendwie vorwärts kommen? Oft ist es doch so, dass man nur aus der eigenen Perspektive die Ökumene sieht.

Pater Sander: Vielleicht darf ich ganz persönlich antworten. Ich bin Deutscher, ich komme aus dem Land der Wittenberger Reformation und ich bin gleichzeitig hier in Rom verantwortlich im Päpstlichen Rat zur Förderung der Einheit der Christen. Ich versuche also eine Balance zu finden zwischen der regionalen Ebene, die wichtig ist, und der universalen Ebene. Ich denke, es ist wichtig über den eigenen Gartenzaun, über den eigenen Kirchturm hinauszuschauen. Das ist eigentlich unser erstes Anliegen hier im Päpstlichen Einheitsrat. Wir führen Dialoge auf Weltebene, wir führen Dialoge zum Beispiel mit dem Lutherischen Weltbund. Der Lutherische Weltbund ist weltweit eine „Communion of Churches“, eine Weltgemeinschaft verschiedener lutherischer Kirchen, die in ihrer Vielfalt aber auch in ihrer Einheit natürlich auch ein ökumenisches Potential darstellen, und wir als katholische Kirche sind seit über 50 Jahren im Gespräch - also noch während des Zweiten Vatikanischen Konzils gab es den ersten Gesprächskontakt zwischen Katholiken und Lutheranern auf Dialogebene. Natürlich kann man sagen, dass in Deutschland, wo Ökumene mehr oder weniger selbstverständlich ist, das etwas sehr Schönes ist, manchmal der Blick für das Ganze, auch für das Weltweite etwas ins zweite Glied tritt. Das ist zunächst einmal keine Kritik, sondern eine Feststellung. 

„So ist es wichtig, auch deutlich zu machen, dass die Erfahrungen Deutschlands, die positiven ökumenischen Erfahrungen, sich nicht ohne weiteres auf andere Regionen übertragen lassen.“

Man kann nicht alle Facetten eines Phänomens immer im Auge haben, aber ich denke, es ist wichtig, in der Ökumene eine Balance zu finden, wie ich schon sagte, zwischen den Erfahrungen vor Ort, die wichtig und wertvoll sind, und den Erfahrungen der Gesamtkirche; und es ist einfach so, dass die Frage der Rechtfertigungslehre zur Kirchentrennung geführt hat – wir alle leiden noch an den Folgen dieser Spaltung bis heute: der Existenz verschiedener Kirchen, sie ist ein Faktum – und so ist es wichtig, in diesem Zusammenhang auch deutlich zu machen, dass die Erfahrungen Deutschlands, die positiven ökumenischen Erfahrungen, sich nicht ohne weiteres auf andere Regionen übertragen lassen. Und da sorgfältig, auch liebevoll zuzuhören, um zu schauen, was klingt am Ort, das ist unsere Aufgabe. Und wenn wir sehen, dass es Regionen gibt, wo also die katholisch-lutherische Ökumene als solche eben nicht etabliert ist und nicht auf eine lange Tradition zurückschauen kann, so ist es unsere Aufgabe, nicht in die Prozesse vor Ort einzugreifen, denn das müssen die Gläubigen vor Ort selber machen, aber quasi zu ermutigen und Material zur Verfügung zu stellen, dass sich dann auch in einer italienischen Übersetzung konkretisiert, um positive Schritte nach vorn zu gehen, und auf diese Weise also die Ortsebene und die Universalebene miteinander in eine gute Beziehung zu setzen.

Radio Vatikan: Ist denn etwas zum Jahrestag der Exkommunikation Luthers geplant? Es ist vielleicht ein tragischer Jahrestag, aber es geht ja trotzdem darum, gemeinsam etwas zu gedenken.

Pater Sander: Ich denke, dass nach den positiven Erfahrungen des katholisch-lutherischen Dialoges, der, wie gesagt, seit über 50 Jahren auf Weltebene gute Fortschritte gemacht hat, und nach diesem ökumenischen Erfolgserlebnis, diesem ökumenischen Meilenstein in Augsburg 1999, es nun darum geht, kontinuierlich, Schritt für Schritt, vom Konflikt zur Gemeinschaft weiterzugehen. Das ist ein Weg, und man muss Schritt für Schritt gehen. Wie das immer so ist, gibt es da unterschiedliche Meinungen. Es gibt diejenigen, denen es nicht schnell genug geht, die gerne zwei oder drei Schritte auf einmal nehmen. Es gibt auch die Dauerbremser, die also sich nicht weiter bewegen wollen. Unsere Aufgabe wäre auch da, im Geiste der Unterscheidung einen Weg zu finden einerseits, dass alle mitkommen, das ist wichtig, und auf der anderen Seite aber auch diesen ökumenischen Impuls, dieses dynamische Element lebendig zu halten.

„Gerade aufgrund der über 50-jährigen guten Erfahrungen des wachsenden Vertrauens, des auch Wiedererkennens größerer lehrmäßiger Gemeinsamkeiten ist es jetzt die Herausforderung, sich auch diesen zunächst vielleicht etwas unbequemen Fragen zu stellen.“

Nun kann man sagen, am 3. Januar 2021 hat sich zum 500. Mal die Exkommunikation Martin Luthers gejährt. Ist das nicht ein Anlass, den man eher vergessen sollte, ist das nicht etwas, was eher peinlich ist im Rahmen der Ökumene? Nun, wir würden es genau umgekehrt sagen. Gerade aufgrund der über 50-jährigen guten Erfahrungen des wachsenden Vertrauens, des auch Wiedererkennens größerer lehrmäßiger Gemeinsamkeiten ist es jetzt die Herausforderung, sich auch diesen zunächst vielleicht etwas unbequemen Fragen zu stellen. Eine katholisch-lutherische Gruppe ist seit Dezember 2019 damit beschäftigt, die näheren Umstände – also die theologischen, historischen, kirchenrechtlichen Umstände der Exkommunikation Martin Luthers – in ökumenischer Perspektive genauer zu betrachten. Katholiken und Lutheraner bilden eine Expertengruppe. Das ist ein work in progress, was leider durch die Corona-Pandemie auch vom zeitlichen Ablauf her beeinflusst wurde. Es hat da notgedrungen Verzögerungen gegeben, aber die Idee ist, dass es ein gemeinsames Wort des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen und des Lutherischen Weltbundes im Blick auf ein vertieftes Verständnis dessen geben soll, was die Exkommunikation Luthers bedeutet. Es sind 41 Sätze von Martin Luther 1521 unter die Exkommunikation gestellt worden. Was hat er denn damals gesagt? Wie verstehen wir es heute? War das alles ein Missverständnis? Gibt es weiterhin offene Fragen? Das sind die Themen, die uns beschäftigen. Wir können das nicht schnell gleich lösen, sondern wir wollen den anderen, auch Luther in seinem Anliegen, vielleicht auch in einem für uns als Nachgeborenen zunächst fremden Anliegen, ernst nehmen und wertschätzen. Wenn es dann gelingen kann, in einem weiteren Schritt Gemeinsamkeiten festzustellen, wo es zunächst überhaupt nicht aussah, dass es da Schnittmengen gibt, dann ist das ein positives Resultat. Wir erzwingen da nichts. Da ist sorgfältige theologische Arbeit gefordert.

„Es wird also.die Herausforderung sein, ob wir 2030 vielleicht in größerer Gemeinsamkeit unseren Glauben bekennen können.“

Doch was mir ganz wichtig ist, und das haben auch Kardinal Koch und Martin Junge im Geleitwort zur überarbeiteten italienischen Übersetzung noch einmal zum Ausdruck gebracht: Wir sehen den ökumenischen Dialog, wir sehen diese Übersetzung, wir sehen die weiteren Bemühungen um größere Einheit in der Perspektive von 2030. Dann wird das 500 jährige Jubiläum des Augsburgischen Bekenntnisses - der Confessio Augustana - begangen. Die Confessio Augustana, die heute eine Bekenntnisschrift der lutherischen Kirchen darstellt, war 1530 ein letztes Mal – man könnte fast sagen – ein ökumenisches Dokument oder ein letzter Versuch, zur Einheit zu gelangen, um die auseinanderdriftenden Kräfte und Verkirchlichungen außerhalb der katholischen Kirche wieder zusammenzuführen und so zu einer größeren Einheit hinzuführen. Die weitere Entwicklung und Rezeption ging dann ja über in die Aufgliederung in verschiedene Konfessionen. Es wird also.die Herausforderung sein, ob wir 2030 vielleicht in größerer Gemeinsamkeit unseren Glauben bekennen können.

(vatican news)

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05. Januar 2021, 15:24