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Papst Franziskus mit Hirtenstab Papst Franziskus mit Hirtenstab 

Missbrauchskrise: Franziskus schreibt Brief an alle US-Bischöfe

Papst Franziskus hat einen langen Brief an die US-amerikanischen Bischöfe geschrieben, die sich in Chicago zu gemeinsamen Exerzitien infolge der Missbrauchskrise zurückgezogen haben. Darin benennt er Wege, um die tiefe Spaltung und den Glaubwürdigkeitsverlust der Kirche zu überwinden.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Die Glaubwürdigkeit der Kirche in den Vereinigten Staaten habe „ernsthaft gelitten“, und zwar nicht nur durch die Sünden und Verbrechen des Missbrauchs, sondern mehr noch durch die Bemühungen der Bischöfe, das alles zu vertuschen, schreibt der Papst den Oberhirten in großer Klarheit. Dies habe die Gläubigen zutiefst verstört und unter den Bischöfen selbst zu Spaltungen geführt. In einer solchen Lage brauche es neue Wege der Konfliktlösung. Die Glaubwürdigkeit werde aber nicht mit Dekreten oder durch die Gründung von Komitees zurückkommen, warnte der Papst. Derartige Lösungen seien „nötig und doch ungenügend, denn sie können der Wirklichkeit nicht in ihrer Komplexität gerecht werden; letztlich riskieren sie, alles auf ein organisatorisches Problem zu reduzieren“.

„...eine Änderung in unserem Geist, in unserer Art zu beten, in unserem Umgang mit Macht und Geld, in unserer Ausübung von Autorität“

Der Verlust an Glaubwürdigkeit stelle „schmerzvolle Fragen“ über die Art und Weise, wie die Bischöfe miteinander umgehen, fuhr der Papst fort. „Offensichtlich wurde ein lebendiges Gewebe aufgetrennt, und wir sind wie Weber dazu gerufen, es wiederherzustellen. Das umfasst unsere Fähigkeit, oder Unfähigkeit, als Gemeinschaft Bindungen zu schmieden und Räume zu schaffen, die gesund sind, reif, und die die Integrität und die Privatsphäre jeder Person schützen.“ Erforderlich sei „eine Änderung in unserem Geist, in unserer Art zu beten, in unserem Umgang mit Macht und Geld, in unserer Ausübung von Autorität und in unserer Art, mit anderen und mit der uns umgebenden Welt umzugehen“. Bei sämtlichen Aktivitäten müssten aber immer auch der zugrundeliegende Geist und die Bedeutung zutage treten, sonst riskiere man „Selbstbezogenheit, Selbsterhalt und Verteidigungsgesten“. Eine Kirche ohne glaubwürdiges Zeugnis sei „ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle“ (1 Kor 13,1).

„Es geht darum, einen kollegialen und väterlichen Weg zu finden“

„In anderen Worten, ein neuer Frühling der Kirche braucht Bischöfe, die andere lehren können, wie Gottes Gegenwart in der Geschichte seines Volkes zu unterscheiden ist, und nicht bloße Verwalter“, fährt der Papst in dem Brief fort. Er warnte die US-Bischöfe davor, eine trügerische Ruhe mittels Kompromissen zu suchen oder über „demokratische Entscheidungen“, die Gewinner und Verlierer hervorbrächten. „Nein! Es geht darum, einen kollegialen und väterlichen Weg zu finden, die aktuelle Lage anzunehmen, einen Weg, der, und das das wichtigste, die uns anvertrauten Menschen davor bewahren kann, die Hoffnung zu verlieren und sich spirituell verlassen zu fühlen.“

Papst warnt Bischöfe vor Abkapselung von Gemeinde

Deutlich warnte der Papst an dieser Stelle vor falsch verstandener Autorität und Abkapslung der Bischöfe von der übrigen Gemeinde. Ein Glaube und ein bischöfliches Selbstverständnis, das nicht an die Gemeinde rückgebunden ist, „wird einen falschen und gefährlichen Gegensatz zwischen persönlichem und kirchlichem Leben schaffen“ und könnte Gott sogar in ein „Idol“ für eine kleine Gruppe verwandeln. Ein beständiger Verweis auf die universelle Gemeinschaft der Kirche, auf die Lehre und die ehrwürdige Tradition bewahre „Gläubige davor, irgendeine Gruppe, historische Epoche oder Kultur innerhalb der Kirche absolut zu setzen“.

Schmerzhaft sei in der Missbrauchskrise klargeworden, dass auch Bischöfe im Bewusstsein leben müssten, selbst Sünder und dauernd auf dem Weg der Bekehrung zu sein. Eben dieses Bewusstsein, so der Papst, „erlaubt es uns, in eine affektive Verbindung mit unserem Volk zu treten. Es befreit uns von der Suche nach falschen, billigen und nutzlosen Formen des Triumphalismus, der Räume verteidigt statt Prozesse anzustoßen.“ Das Bewusstsein, selbst auf Umkehr angewiesen zu sein, helfe auch bei der Suche nach passenden Maßnahmen, die „frei von rigiden Formulierungen sind, die nicht mehr dazu in der Lage sind, zu den Männern und Frauen unserer Zeiten zu sprechen oder ihre Herzen zu berühren“.

„Versuchen wir, den Teufelskreis von gegenseitiger Beschuldigung und Diskreditierung zu durchbrechen, indem wir Geschwätz und üble Nachrede vermeiden“

Ein solcher Ansatz wiederum verlange von den Bischöfen einen Verzicht auf gewisse Vorgehensweisen wie Diskreditierung, zänkisches Verhalten oder Opfergehabe. „Versuchen wir, den Teufelskreis von gegenseitiger Beschuldigung und Diskreditierung zu durchbrechen, indem wir Geschwätz und üble Nachrede vermeiden“, bat der Papst. Stattdessen brauche es aufseiten der Bischöfe „reuige Akzeptanz der eigenen Sünden, Dialog, Diskussion und Unterscheidung“. Nur so stünden „evangeliumsgemäße Wege“ zu Versöhnung und zur Glaubwürdigkeit offen, „die unser Volk und unsere Sendung uns abverlangen“.

Ebendieses Volk der Gläubigen und die Sendung der Kirche leide nach wie vor schwer an den Vorkommmissen rund um Machtmissbrauch, Gewissensmissbrauch und sexuellem Missbrauch - einen Dreischritt, den der Papst bereits mehrfach identifiziert hatte – sowie am schlechten Umgang damit. Leid verursache es aber auch, „einen Episkopat zu sehen, dem es an Einheit fehlt und der mehr damit beschäftigt ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen als Wege der Versöhnung zu suchen“, so der Papst. Er zitierte Paul VI. mit den Worten, „wenn wir Hirten, Väter und Lehrer sein wollen, müssen wir als Brüder handeln. Dialog lebt von Freundschaft und vor allem von Dienst.“ Eine solche Haltung achte nicht auf demonstrativen Erfolg und Applaus. Vielmehr sollten die Bischöfe in ihrer Lage offen sein „für die Wirksamkeit und die verwandelnde Kraft des Reiches Gottes“.

Vertrauen zurückgewinnen? Dienen!

Deutlich schwört der Papst die US-Bischöfe auf einen Geist des Dienens ein. Glaubwürdigkeit entstehe aus Vertrauen, und Vertrauen entstehe aus „aufrichtigem, täglichen, demütigem und großzügigen Dienst an allen“, ganz besonders aber an den Bedürftigsten, schreibt Franziskus weiter, hier offenbar auf gesellschaftlich-politische Entwicklungen in den USA eingehend. Er rief die Bischöfe dazu auf, inmitten eines aufgeheizten und hasserfüllten Klimas ausgleichend zu wirken und sich niemals auf die eine oder die andere Seite zu schlagen. „Unsere Glaubwürdigkeit hängt auch von dem Ausmaß ab, in dem wir Seite an Seite mit anderen helfen, ein soziales und kulturelles Gewebe zu stärken, das nicht nur im Begriff der Auflösung ist, sondern auch neue Formen von Hass erntet und fördert. Als Kirche können wir nicht in Geiselhaft der einen oder der anderen Seite sein, sondern wir müssen immer darauf achten, mit den Bedürftigsten zu beginnen.“

Über diese „vornehme Aufgabe“, so der Papst, „können wir nicht schweigen oder sie herunterspielen wegen unserer Beschränkungen und Fehler“. Franziskus zitierte an dieser Stelle die heilige Mutter Teresa: „Ja, ich habe viele menschliche Fehler und Schwächen… Aber Gott neigt sich zu uns herunter und nutzt uns, dich und mich, seine Liebe und sein Mitleid in der Welt zu sein.“

„Dieser Brief soll gewissermaßen für die Reise stehen, die nicht stattfinden konnte“

Franziskus deutet zu Beginn seines Schreibens an, er hätte selbst zu den Exerzitien der US-Bischöfe in die Vereinigten Staaten reisen wollen, habe dies aber „trotz meiner besten Anstrengungen“ aus logistischen Gründen nicht verwirklichen können. „Dieser Brief soll gewissermaßen für die Reise stehen, die nicht stattfinden konnte“, schreibt der Papst.

Im Februar findet im Vatikan ein großer Kirchengipfel zum Thema Missbrauch statt. Davor hatte Papst Franziskus die Bischöfe der USA zu einer Woche des Gebets und der Reflektion ins Erzbistum Chicago bestellt. Die Besinnungstage im Priesterseminar der von Kardinal Blase Cupich geleiteten Diözese enden am 8. Januar. Sozialen Netzwerken zufolge sind 230 bis 250 der insgesamt 271 aktiven und 185 emeritierten Bischöfe anwesend, das wären gut die Hälfte. Die USA sind eines der Länder, in denen die Kirche mit am schwersten von der Missbrauchskrise gezeichnet ist.

(vatican news – gs)

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03. Januar 2019, 15:33