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Im Wortlaut: Rede von Papst Franziskus an die Römische Kurie

Wir dokumentieren hier die Ansprache, die Papst Franziskus an diesem Freitag bei seiner Weihnachtsaudienz für die Römische Kurie gehalten hat, in vollem Wortlaut und offizieller deutscher Übersetzung.

»Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts« (Röm 13,12)

Liebe Brüder und Schwestern,
umfangen von der Freude und der Hoffnung, die vom Antlitz des göttlichen Kindes ausstrahlen, kommen wir auch dieses Jahr wieder zusammen, um Weihnachtswünsche auszutauschen. Dabei tragen wir auch die Mühen und Freuden der Welt und der Kirche in unseren Herzen.

Aufrichtigen Herzens wünsche ich euch, euren Mitarbeitern und all denen, die in der Kurie Dienst tun, sowie den päpstlichen Repräsentanten und den Mitarbeitern der Nuntiaturen ein gnadenreiches Weihnachtsfest. Und ich möchte euch danken für eure tägliche Hingabe im Dienste des Heiligen Stuhls, der Kirche und des Nachfolgers Petri. Vielen Dank!

Gestattet mir auch, den neuen Substituten des Staatssekretariats, Seine Exzellenz Erzbischof Edgar Peña Parra, herzlich willkommen zu heißen, der seinen anspruchsvollen und wichtigen Dienst am 15. Oktober angetreten hat. Seine venezolanische Herkunft spiegelt die Katholizität der Kirche wider wie auch die Notwendigkeit, den Blick immer mehr zu weiten bis hin zu den Enden der Erde. Willkommen, liebe Exzellenz, und gutes Schaffen!

Das Weihnachtsfest erfüllt uns mit Freude und gibt uns die Gewissheit, dass keine Sünde jemals größer sein wird als die Barmherzigkeit Gottes und kein menschliches Tun je verhindern kann, dass die Morgenröte des göttlichen Lichts in den Herzen der Menschen anbricht und immer neu aufscheint. Dieses Fest lädt uns ein, den Auftrag des Evangeliums aufs Neue anzunehmen, Christus, den Retter der Welt und das Licht des Universums, zu verkünden. Wenn Christus »heilig ist, frei vom Bösen, makellos« (Hebr 7,26) und keine Sünde kannte (vgl. 2 Kor 5,21) und nur kam, um die Sünden des Volkes zu sühnen (vgl. Hebr 2,17), so schreitet die Kirche, die auch Sünder in ihrem Schoß trägt, die deshalb heilig und makellos ist, doch zugleich immer der Reinigung bedarf, fortwährend auf dem Weg der Buße und Erneuerung voran. »Die Kirche schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin – zwischen den Verfolgungen des Weltgeistes und den Tröstungen des Geistes Gottes – und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26). Von der Kraft des auferstandenen Herrn aber wird sie gestärkt, um ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird« (ZWEITES VATIKANISCHES KONZIL, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 8).

Ausgehend von der festen Überzeugung, dass das Licht immer stärker ist als die Finsternis, möchte ich also mit euch über das Licht nachdenken, das Weihnachten – also das erste demütige Kommen – mit der Parusie – dem zweiten Kommen in Herrlichkeit – verbindet und uns in der Hoffnung stärkt, die nie enttäuscht. In jener Hoffnung, von der das Leben eines jeden von uns sowie die ganze Geschichte der Kirche und der Welt abhängen. Eine Kirche ohne Hoffnung wäre schlimm!

Jesus wurde in der Tat in einer gesellschaftspolitischen und religiösen Situation voller Spannung, Aufruhr und Dunkelheit geboren. Seine Geburt, die einerseits erwartet wurde, andererseits auf Ablehnung stieß, steht unter dem Vorzeichen der göttlichen Logik, die nicht vor dem Bösen zurückweicht, sondern es zutiefst und stufenweise zum Guten wandelt, und ebenso unter dem Vorzeichen jener bösartigen Logik, die sogar Gutes in Böses verwandelt, um die Menschheit dazu zu bringen, in Verzweiflung und Finsternis zu verharren: »das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst« (Joh 1,5).

Jedes Jahr erinnert uns Weihnachten jedoch daran, dass Gottes Heil, das der ganzen Menschheit, der Kirche und insbesondere auch uns gottgeweihten Personen unentgeltlich zuteilwird, nicht ohne unseren Willen, ohne unser Zutun, ohne unsere Freiheit, ohne unser tägliches Mühen am Werk ist. Das Heil ist eine Gabe, – das ist wahr – , aber eine Gabe, die angenommen, gehütet und zum Fruchttragen gebracht werden muss (vgl. Mt 25,14-30). Christsein im Allgemeinen und, in unserem Fall, vom Herrn gesalbt und ihm geweiht zu sein, bedeutet nicht, dass wir uns wie ein privilegierter Kreis von Menschen verhalten sollen, die glauben, Gott „in der Tasche“ zu haben, sondern wie Menschen, die wissen, dass sie vom Herrn geliebt werden, obwohl wir unwürdige Sünder sind. Gottgeweihte sind nämlich nichts anderes als Diener im Weinberg des Herrn, die dem Herrn des Weinbergs zur rechten Zeit die Ernte und den Erlös übergeben müssen (vgl. Mt 20,1-16).

Die Bibel und die Geschichte der Kirche zeigen uns, dass oft selbst die von Gott Auserwählten irgendwann anfangen, zu denken und zu glauben und sich so zu verhalten, als seien sie Herren über das Heil und nicht dessen Empfänger, Kontrolleure der Geheimnisse Gottes und nicht ihre demütigen Ausspender, Zollbeamte Gottes und nicht Diener der ihnen anvertrauten Herde.
Oftmals – aus übermäßigem und fehlgeleitetem Eifer – stellt man sich Gott in den Weg, anstatt ihm zu folgen, so wie Petrus, der den Meister kritisierte und sich den heftigsten Tadel einhandelte, den Christus je einem Menschen erteilte: »Tritt hinter mich, du Satan! Denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was die Menschen wollen« (Mk 8,33).

Liebe Brüder und Schwestern,
in unserer turbulenten Welt hat das Boot der Kirche in diesem Jahr schwierige Zeiten erlebt und erlebt sie weiterhin und ist von Stürmen, ja Orkanen erfasst worden. Viele haben den scheinbar schlafenden Herrn gefragt: »Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?« (Mk 4,38). Andere begannen, verunsichert durch die Nachrichten, das Vertrauen in die Kirche zu verlieren und sie zu verlassen. Wieder andere haben aus Angst, aus Eigeninteresse oder mit irgendwelchen Hintergedanken versucht, auf den Leib der Kirche einzuprügeln, und haben so ihre Wunden noch vermehrt; andere freuen sich ganz offen, sie solchermaßen angegriffen zu sehen; sehr viele jedoch halten weiterhin treu an ihr fest in der Gewissheit, dass »die Pforten der Unterwelt sie nicht überwältigen werden« (vgl. Mt 16,18).
Währenddessen setzt die Braut Christi ihren Pilgerweg durch Freuden und Leiden, durch Erfolge und äußere wie innere Schwierigkeiten hindurch fort. Gewiss bleiben die inneren Schwierigkeiten immer die schmerzhaftesten und destruktivsten.

Die Betrübnisse

Es gibt viele Anlässe zur Betrübnis: Wie viele Einwanderer – die gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen und ihr Leben zu riskieren – finden den Tod, oder stehen, wenn sie überleben, vor verschlossenen Türen und vor Mitmenschen, denen es nur um politische Erfolge und Macht geht. Wie viel Angst und wie viele Vorurteile! Wie viele Menschen und wie viele Kinder sterben täglich wegen Wasser- und Nahrungsmangel und aufgrund fehlender Medikamente! Wie viel Armut und Elend! Wie viel Gewalt gegen die Schwachen und gegen Frauen! Wie viele Situationen von erklärten und nicht erklärten Kriegen! Wie viel unschuldiges Blut wird jeden Tag vergossen! Wie viel Unmenschlichkeit und Brutalität umgeben uns von allen Seiten! Wie viele Menschen werden auch heute noch in Polizeiwachen, Gefängnissen und Flüchtlingslagern in verschiedenen Teilen der Welt systematisch gefoltert!

Wir erleben tatsächlich auch eine neue Epoche der Märtyrer. Es scheint, dass die grausame und schreckliche Verfolgung des Römischen Reiches kein Ende kennt. Ständig tauchen neue Neros auf, die Gläubige unterdrücken, nur wegen ihres Glaubens an Christus. Neue extremistische Gruppen vermehren sich und nehmen Kirchen, Andachtsstätten, Amtsträger und einfache Gläubige ins Visier. Neue und alte Zirkel und Gruppierungen leben vom Hass und der Feindseligkeit gegenüber Christus, der Kirche und den Gläubigen. Wie viele Christen leben heute noch unter der Bürde von Verfolgung, Ausgrenzung, Diskriminierung und Ungerechtigkeit in weiten Teilen der Welt. Um Christus nicht zu verleugnen, nehmen sie jedoch weiterhin mutig den Tod in Kauf. Wie schwierig ist es auch heute noch in vielen Teilen der Welt, den Glauben frei zu leben, wenn es an Religions- und Gewissensfreiheit fehlt.
Andererseits lässt uns das heroische Beispiel der Märtyrer und der vielen guten Samariter, d.h. der jungen Menschen, der Familien, der karitativ und ehrenamtlich tätigen Vereinigungen sowie der vielen Gläubigen und Gottgeweihten jedenfalls nicht die negativen Zeugnisse und die Skandale einiger Gläubiger und Amtsträger der Kirche vergessen.

Ich beschränke mich hier nur auf die zwei Plagen des Missbrauchs und der Untreue.

Seit einigen Jahren bemüht sich die Kirche ernsthaft um die Beseitigung des Übels des Missbrauchs, das zum Herrn nach Vergeltung schreit, zu Gott, der nie das Leid vergessen wird, das viele Minderjährige durch Geistliche und Gottgeweihte erfahren haben: Missbrauch von Macht, Missbrauch des Gewissens und sexueller Missbrauch.

Als ich an dieses schmerzliche Thema dachte, kam mir die Gestalt des Königs David in den Sinn – der ein »Gesalbter des Herrn« war (vgl. 1 Sam 16,13; 2 Sam 11-12). Er, von dessen Nachkommenschaft das Göttliche Kind –auch „Sohn Davids“ genannt – abstammt, beging, obwohl er der Auserwählte, König und Gesalbte des Herrn war, eine dreifache Sünde, d.h. einen dreifachen schweren Missbrauch: sexuellen Missbrauch, Missbrauch von Macht und Missbrauch des Gewissens. Drei verschiedene Arten von Missbrauch, die jedoch gemeinsam auftreten und sich überschneiden.

Die Geschichte beginnt, wie wir wissen, als der König, ein erfahrener Kriegsherr, müßig zu Hause bleibt, anstatt mit dem Volk Gottes in die Schlacht zu ziehen. David nützt sein Königsein für seine Bequemlichkeit und seine Interessen aus (Machtmissbrauch). Für den Gesalbten, der sich der Trägheit hingibt, beginnt ein unaufhaltsamer Verfall der Moral und des Gewissens. Und nicht zufällig sieht er in dieser Situation von der Terrasse seines Palastes aus Batseba, die Frau des Hetiters Urija, wie sie badet, und er fühlt sich zu ihr hingezogen (vgl. 2 Sam 11). Er schickt nach ihr und schläft mit ihr (ein weiterer Machtmissbrauch und dazu auch sexueller Missbrauch). So missbraucht er eine verheiratete Frau, die allein ist. Um seine Sünde zu vertuschen, ruft er Urija nach Hause zurück und versucht vergeblich, ihn zu überreden, die Nacht mit seiner Frau zu verbringen. Danach befiehlt er dem Heerführer, Urija in der Schlacht dem sicheren Tod auszuliefern (nochmals Machtmissbrauch und Missbrauch des Gewissens). Die Kette der Sünden breitet sich wie ein Ölfleck aus und wird schnell zu einem Netz des Verderbens. Er ist zu Hause geblieben, um dem Müßiggang zu frönen.

Von den kleinen Funken der Trägheit und der Unzucht und vom „Nachlassen der Wachsamkeit“ nimmt die teuflische Kette der schweren Sünden ihren Ausgang: Ehebruch, Lüge und Mord. Sich anmaßend, dass er als König alles tun und alles haben könne, versucht David, den Mann Batsebas, das Volk, sich selbst und sogar Gott zu täuschen. Der König vernachlässigt seine Beziehung zu Gott, übertritt die göttlichen Gebote und verletzt seine eigene moralische Integrität, ohne sich überhaupt schuldig zu fühlen. Der Gesalbte übte seine Funktion weiter aus, als wäre nichts passiert. Es ging ihm nur darum, sein Image und den Schein zu wahren. »Denn wer meint, keine schweren Fehler gegen das Gesetz Gottes zu begehen, kann in einer Art Verblödung oder Schläfrigkeit nachlässig werden. Da er nichts Schlimmes findet, das er sich vorwerfen müsste, bemerkt er die Lauheit nicht, die sich allmählich in seinem geistlichen Leben breitmacht, und am Ende ist er aufgerieben und verdorben« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 164). Als Sünder endet er schließlich im Verderben.

Auch heute gibt es viele „Gesalbte des Herrn“, Gottgeweihte, die die Schwachen missbrauchen und ihre moralische Macht und Überredungskunst ausnutzen. Sie begehen abscheuliche Taten und üben weiter ihren Dienst aus, als ob nichts wäre; sie fürchten weder Gott noch sein Gericht, sondern haben einzig davor Angst, entdeckt und entlarvt zu werden. Amtsträger, die den Leib der Kirche verletzen, indem sie Skandale verursachen und den Heilsauftrag der Kirche und die aufopferungsvolle Hingabe vieler ihrer Mitbrüder und -schwestern in Misskredit bringen.

Auch heute, liebe Brüder und Schwestern, begeben sich viele Davids ohne mit der Wimper zucken in das Netz des Verderbens und verraten Gott, seine Gebote, die eigene Berufung, die Kirche, das Volk Gottes und das Vertrauen der Kleinen und ihrer Familien. Oft verbirgt sich hinter ihrer übertriebenen Höflichkeit, ihrem tadellosen Eifer und ihrem Engelsgesicht schamlos ein grausamer Wolf, der darauf wartet, unschuldige Seelen zu verschlingen.

Die Sünden und Verbrechen gottgeweihter Personen erhalten eine noch dunklere Färbung von Untreue und Schande und entstellen das Antlitz der Kirche, indem sie ihrer Glaubwürdigkeit schaden. Tatsächlich ist die Kirche zusammen mit ihren treuen Söhnen und Töchtern auch ein Opfer dieser Untreue und dieser im wahrsten Sinne des Wortes „Verbrechen der Veruntreuung“.

Liebe Brüder und Schwestern,
es muss klar sein, dass angesichts dieser Abscheulichkeiten die Kirche keine Mühen scheuen wird, alles Notwendige zu tun, um jeden, der solche Verbrechen begangen hat, der Justiz zu unterstellen. Die Kirche wird nie versuchen, einen Fall zu vertuschen oder unterzubewerten. Es ist unbestreitbar, dass einige Verantwortungsträger in der Vergangenheit aus Leichtfertigkeit, ungläubiger Fassungslosigkeit, mangelnder Qualifikation, Unerfahrenheit – wir müssen die Vergangenheit mit der Hermeneutik der Vergangenheit beurteilen – oder wegen geistlicher und menschlicher Oberflächlichkeit viele Fälle ohne die gebotene Ernsthaftigkeit und nicht schnell genug behandelt haben. Das darf nie wieder vorkommen. Das ist der Wille und die Entscheidung der ganzen Kirche.

Im kommenden Februar wird die Kirche ihren festen Willen bekräftigen, den Weg der Reinigung mit all ihrer Kraft fortzusetzen. Die Kirche wird sich, auch unter Hinzuziehung von Experten, darüber beraten, wie die Kinder zu schützen sind; wie solche Katastrophen vermieden werden können, auf welche Weise man sich der Opfer annehmen und sie reintegrieren kann; wie man die Ausbildung in den Seminaren verbessert. Man wird versuchen, die begangenen Fehler in Chancen zu verwandeln, um dieses Übel nicht nur aus dem Leib der Kirche, sondern auch aus dem der Gesellschaft zu beseitigen. In der Tat, wenn etliche geweihte Amtsträger von dieser schweren Plage befallen sind, stellt sich die Frage, in welchem Ausmaß unsere Gesellschaften und unsere Familien betroffen sein könnten. Die Kirche wird sich daher nicht darauf beschränken, sich um sich selbst zu kümmern, sondern versuchen, dieses Übel, das so viele Menschen langsam zugrunde gehen lässt, auf moralischer, psychologischer und menschlicher Ebene anzugehen.

Liebe Brüder und Schwestern,
wenn über diese Plage gesprochen wird, ereifern sich manche innerhalb der Kirche gegen gewisse Medienschaffende und beschuldigen sie, die überwältigende Mehrheit der Missbrauchsfälle zu ignorieren, die nicht von Geistlichen der Kirche begangen wurden – die Statistiken sprechen von mehr als 95 % - und beschuldigen sie, absichtlich ein falsches Bild verbreiten zu wollen, als ob dieses Übel einzig die katholische Kirche getroffen hätte. Ich hingegen möchte jenen Medienschaffenden ausdrücklich danken, die sachlich und objektiv waren und versucht haben, die Wölfe zu entlarven und den Opfern eine Stimme zu verleihen. Auch wenn es sich um nur einen einzigen Missbrauchsfall handeln würde – dieser stellt an sich schon eine Ungeheuerlichkeit dar –, bittet die Kirche darum, nicht zu schweigen und ihn objektiv ans Licht zu bringen, denn der größere Skandal in dieser Angelegenheit besteht darin, die Wahrheit zu vertuschen.

Denken wir alle daran, dass David nur dank der Begegnung mit dem Propheten Natan die Schwere seiner Sünde begreift. Wir brauchen heute neue Natans, die den vielen Davids helfen, von einem heuchlerischen und perversen Leben aufgerüttelt zu werden. Bitte, helfen wir der heiligen Mutter Kirche bei ihrer schwierigen Aufgabe, nämlich die echten Fälle zu erkennen und sie von den falschen zu unterscheiden, die Anschuldigungen von den Verleumdungen, den Groll von den Unterstellungen, das Gerede von der üblen Nachrede. Es ist eine ziemlich schwierige Aufgabe, da sich die wahren Schuldigen sorgfältig zu verstecken wissen, sodass sogar viele Ehefrauen, Mütter und Schwestern es nicht vermögen, sie unter den ganz Nahestehenden auszumachen: Ehemänner, Paten, Großväter, Onkel, Nachbarn, Lehrer … Auch die Opfer, die von den Tätern genau ausgesucht werden, ziehen es oft vor zu schweigen; sie sind der Angst preisgegeben und werden gefügig aus Scham und aus Furcht, verlassen zu werden.
Und denen, die Minderjährige missbrauchen, möchte ich sagen: Bekehrt euch, stellt euch der menschlichen Justiz und bereitet euch auf die göttliche Gerechtigkeit vor. Erinnert euch dabei an die Worte Christi: »Wer einem von diesen Kleinen, die an mich glauben, Ärgernis gibt, für den wäre es besser, wenn ihm ein Mühlstein um den Hals gehängt und er in der Tiefe des Meeres versenkt würde. Wehe der Welt wegen der Ärgernisse! Es muss zwar Ärgernisse geben; doch wehe dem Menschen, durch den das Ärgernis kommt!« (Mt 18,6-7).

Liebe Brüder und Schwestern,
lasst mich nun über eine andere Betrübnis sprechen, d.h. über die Untreue derer, die ihre Berufung verraten, ihren Eid, ihre Sendung, ihre Weihe an Gott und an die Kirche; die sich hinter guten Absichten verstecken, um ihren Brüdern und Schwestern in den Rücken zu fallen und Unkraut, Spaltung und Befremden zu säen; Menschen, die immer Rechtfertigungen finden, selbst logischer, selbst spiritueller Art, um auf dem Weg des Verderbens ungestört weiterzugehen.

Und dies ist nichts Neues in der Geschichte der Kirche. Der heilige Augustinus sagt, als er vom guten Weizen und dem Unkraut spricht: »Meint ihr etwa, meine Brüder, dass das Unkraut nicht bis zu den Bischofssitzen gelangen könne? Meint ihr, es sei nur unten und nicht auch oben? O dass wir es doch nicht wären! […] Auch auf den Bischofssitzen gibt es Weizen und Unkraut; auch im Volk gibt es Weizen und Unkraut« (Sermo 73,4: PL 38,472).

Diese Worte des heiligen Augustinus mahnen uns, an das Sprichwort zu denken: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.“ Sie helfen uns zu verstehen, dass es nämlich der Versucher, der große Ankläger ist, der spaltet, Zwietracht sät, Feindschaft unterstellt, die Söhne und Töchter überredet und dazu bringt zu zweifeln.

In Wirklichkeit, tatsächlich stehen hinter diesen Leuten, die Unkraut säen, fast immer die dreißig Silberlinge. Hier kommen wir also von der Gestalt des David zu der des Judas Iskariot, eines anderen vom Herrn Erwählten, der seinen Meister verkauft und dem Tod überliefert. Den Sünder David und Judas Iskariot wird es in der Kirche immer geben, da sie die Schwäche darstellen, die zu unserem Menschsein gehört. Sie stehen als Bilder für die Sünden und Verbrechen, die von erwählten und geweihten Personen begangen werden. Die Schwere der Sünde ist ihnen gemeinsam, sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der Bekehrung. David bereute und vertraute sich der Barmherzigkeit Gottes an, Judas aber brachte sich um.

Wir alle haben also, um das Licht Christi erstrahlen zu lassen, die Pflicht, jede geistliche Korruption zu bekämpfen. Sie ist »schlimmer als der Fall eines Sünders, weil es sich um eine bequeme und selbstgefällige Blindheit handelt, wo schließlich alles zulässig erscheint: Unwahrheit, üble Nachrede, Egoismus und viele subtile Formen von Selbstbezogenheit – denn schon „der Satan tarnt sich als Engel des Lichts“ (2 Kor 11,14). So passierte es seinerzeit Salomon, während der große Sünder David sein Elend zu überwinden wusste« (Apostolisches Schreiben Gaudete et exsultate, 165).

Die Freuden

Kommen wir nun zu den Freuden. Dieses Jahr gab es zahlreiche Freuden, zum Beispiel das gute Gelingen der Synode für die Jugend, über die der Kardinaldekan vorhin gesprochen hat. Dann die bisherigen Schritte bei der Reform der Kurie. Viele fragen sich: Wann wird sie enden? Sie wird nie zu Ende sein, aber die gemachten Schritte sind gut. Zum Beispiel die Schaffung von mehr Klarheit und Transparenz im Bereich der Finanzen; die lobenswerten Anstrengungen seitens des Amtes des Generalrevisors und des AIF [Finanzaufsichtsbehörde]; die guten Ergebnisse, die das IOR [Institut für die Werke der Religion] erzielt hat; das neue Gesetz des Staates der Vatikanstadt; das Dekret über die Arbeit im Vatikan und vieles andere, was verwirklicht wurde und weniger sichtbar ist. Denken wir unter den Freuden an die neuen Seligen und Heiligen; sie sind die „Edelsteine“, die das Antlitz der Kirche schmücken und in der Welt Hoffnung, Glauben und Licht ausstrahlen. Hier müssen die neunzehn Märtyrer Algeriens erwähnt werden: »Neunzehn Leben hingegeben für Christus, für sein Evangelium und für das algerische Volk […] Beispiele der allgemeinen Heiligkeit, der Heiligkeit „von nebenan“« (Thomas GEORGEON, „Im Zeichen der Brüderlichkeit“, L’Osservatore Romano, 8. Dezember 2018, S. 6); die hohe Zahl an Gläubigen, die jedes Jahr durch den Empfang der Taufe die Jugend der Kirche, der stets fruchtbaren Mutter, erneuern; die sehr zahlreichen Söhne und Töchter, die zurückkehren und sich wieder zum Glauben bekennen und ein christliches Leben führen; die Familien und Eltern, die den Glauben ernsthaft leben und ihn Tag für Tag den eigenen Kindern durch die Freude ihrer Liebe weitergeben (vgl. Apostolisches Schreiben Amoris laetitia, 259-290); das Zeugnis vieler junger Menschen, die den Mut haben und sich für das geweihte Leben oder das Priestertum entscheiden.

Ein echter Grund zur Freude ist auch die große Zahl an gottgeweihten Männern und Frauen, an Bischöfen und Priestern, die täglich ihre Berufung in Treue, Stille, Heiligkeit und Selbstverleugnung leben. Es sind Menschen, die das Dunkel der Menschheit mit ihrem Zeugnis des Glaubens, der Liebe und der Hingabe an den Nächsten erhellen. Menschen, die aus Liebe zu Christus und zu seinem Evangelium geduldig arbeiten zum Wohl der Armen, der Unterdrückten, der Geringsten, ohne danach zu trachten, auf den ersten Seiten der Zeitungen zu erscheinen oder die ersten Plätze einzunehmen. Menschen, die alles zurücklassen und ihr Leben aufopfern und so das Licht des Glaubens dorthin bringen, wo Christus verlassen, durstig, hungrig, im Gefängnis oder nackt ist (vgl. Mt 25,31-46). Und ich denke besonders an die vielen Pfarrer, die jeden Tag dem Volk Gottes ein gutes Beispiel geben, Priester, die den Familien nahe sind, die Namen aller kennen und ihr Leben in Einfachheit, Glauben, Hingabe, Heiligkeit und Nächstenliebe führen. Es sind Menschen, die von den Massenmedien vergessen werden, aber ohne die Dunkelheit herrschen würde.

Liebe Brüder und Schwestern,
wenn ich vom Licht, vom Leid, von David und Judas gesprochen habe, so wollte ich die Bedeutung des Bewusstseins hervorheben, das zu einer Pflicht zur Wachsamkeit und Aufsicht werden muss auf Seiten derer, die innerhalb der Strukturen des kirchlichen und geweihten Lebens den Dienst der Leitung ausüben. Tatsächlich liegt die Stärke jeder Institution nicht darin, dass sie aus perfekten Menschen zusammengesetzt ist (dies ist unmöglich), sondern dass sie den Willen dazu hat, sich beständig zu reinigen; dass sie die Fähigkeit besitzt, demütig Fehler einzugestehen und zu korrigieren; dass sie in der Lage ist, wieder aufzustehen, wenn sie gefallen ist; dass sie das Licht von Weihnachten sieht, das von der Krippe in Betlehem kommt, die Geschichte durchläuft und bis zur Parusie reicht.

Es ist also notwendig, dass wir unser Herz dem wahren Licht öffnen, Jesus Christus: Er ist das Licht, das unser Leben hell machen und unsere Finsternis in Licht verwandeln kann; das Licht des Guten, das das Böse besiegt; das Licht der Liebe, dass den Hass überwindet; das Licht des Lebens, dass den Tod bezwingt; das göttliche Licht, dass alles und alle in Licht verwandelt; das Licht unseres Gottes: arm und reich, barmherzig und gerecht, anwesend und verborgen, klein und groß.

Erinnern wir uns an die wunderbaren Worte eines ägyptischen Wüstenvaters aus dem vierten Jahrhundert, des heiligen Makarios des Großen, der über Weihnachten sagt: »Gott macht sich klein! Der unzugängliche und unerschaffene Gott hat aus grenzenloser und unbegreiflicher Huld einen Leib angenommen und sich klein gemacht. In seiner Huld ist er von seiner Herrlichkeit herabgestiegen. Niemand im Himmel und auf Erden vermag die Größe Gottes zu fassen, ebenso vermag niemand im Himmel und auf Erden zu begreifen, wie Gott sich arm und klein macht für die Armen und Kleinen. Denn wie seine Größe, so ist auch seine Erniedrigung unfassbar« (vgl. Homilien IV,9-10; XXXII,7).

Denken wir daran: Weihnachten ist das Fest des »große[n] Gott[es], der klein wird und in seiner Kleinheit nicht aufhört, groß zu sein. Und in dieser Dialektik ist der Kleine groß. Das ist die Zärtlichkeit Gottes. Dieses Wort „Zärtlichkeit“ will die weltliche Gesinnung immer aus dem Wörterbuch streichen. Der große Gott, der klein wird; der groß ist und sich immer wieder klein macht« (vgl. Homilie in S. Marta, 14. Dezember 2017; Homilie in S. Marta, 25. April 2013).

Weihnachten schenkt uns jedes Jahr die Gewissheit, dass das Licht Gottes weiter leuchten wird trotz unserer menschlichen Schwäche; die Gewissheit, dass die Kirche aus diesen Plagen herauskommen wird, noch schöner, reiner und strahlender. Denn alle Sünden, die Stürze und das von einigen Söhnen und Töchtern der Kirche begangene Böse werden die Schönheit ihres Antlitzes nie verdunkeln können, vielmehr werden sie sogar der sichere Beweis dafür sein, dass ihre Kraft nicht von uns kommt, sondern vor allem von Jesus Christus, dem Retter der Welt und Licht des Universums, der die Kirche liebt und sein Leben für sie, seine Braut, hingegeben hat. Weihnachten gibt uns den Beweis, dass die schweren Übel, die von einigen begangenen wurden, all das Gute, das die Kirche unentgeltlich in der Welt wirkt, nie verdunkeln können. Weihnachten gibt uns die Gewissheit, dass die wahre Kraft der Kirche und unseres täglichen Arbeitens, das oft im Verborgenen geschieht, im Heiligen Geist liegt. – So ist es auch bei der Römischen Kurie, wo es Heilige gibt. – Der Heilige Geist leitet und beschützt die Kirche durch die Jahrhunderte und verwandelt dabei selbst die Sünden in Gelegenheiten zur Vergebung, die Stürze in Gelegenheiten zur Erneuerung, das Böse in Gelegenheit zur Reinigung und zum Sieg.
Vielen Dank und allen ein gesegnetes Weihnachtsfest!

Auch in diesem Jahr möchte ich Ihnen ein Andenken mitgeben. Es ist ein Klassiker: Das Kompendium der aszetischen und mystischen Theologie von Tanquerey, hier in der kürzlich erschienen Ausgabe, die von Weihbischof Libanori aus Rom und von Pater Forlai erarbeitet worden ist. Ich glaube, dass sie gut ist. Man lese nicht alles in einem Zug durch, sondern suche im Inhaltsverzeichnis nach einzelnen Themen: diese Tugend, jene Haltung oder eine andere Sache … Es wird gut tun für die innere Reform eines jeden von uns und für die Reform der Kirche. Es ist für Sie!

(vatican news – sk)
 

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21. Dezember 2018, 15:06