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Das frühere NS-Konzentrationslager Auschwitz (Aufnahme vom 27.1.2025) Das frühere NS-Konzentrationslager Auschwitz (Aufnahme vom 27.1.2025) 

D: Rabbiner warnt vor „Erklärung" von Auschwitz

Auschwitz gilt als Synonym für die Vernichtung der Juden in Europa. 80 Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers spricht der Kölner Rabbiner Yechiel Brukner mit unsren Kollegen vom Kölner Domradio über jüdische Theologie nach Auschwitz. „Wir sind von Kind auf so erzogen worden, dass es keine Antwort für dieses Ereignis gibt. Es ist zu groß, zu kolossal. Wir können das nicht erklären."

Domradio*: Welche Rolle spielt Auschwitz in der jüdischen Theologie? 

Yechiel Leo Brukner (Rabbiner der Synagogen-Gemeinde Köln): Auschwitz in der jüdischen Theologie ist ein Einschnitt, ist ein kolossal großes Ereignis, welches alle denkenden Menschen, denkenden Juden und ganz bestimmt die Elite der Rabbiner dazu zwingt, Stellung zu nehmen zu dem, was da über unser Volk gekommen ist. 

Domradio: Vertreibung, Verschleppung und Unterdrückung spielen in der Geschichte des Volkes Israel über Jahrtausende immer wieder eine Rolle. Meist hatten die Propheten dafür auch eine Erklärung. Wie hat die jüdische Theologie versucht, Auschwitz, das noch einmal eine ganz neue Kategorie von Auslöschung und Vernichtung war, zu erklären? 

Brukner: Wenn ich da ganz ehrlich bin und ich will ja ehrlich sein, dann ist es eine gewisse Anmaßung zu meinen, wir hätten wirklich eine Erklärung. Wir würden uns damit zu Assistenten Gottes machen, wenn wir an seiner Stelle sagen würden, was die Erklärung vom Ereignis ist. Sogar vom Urleiden, welches wir gerade in diesen Wochen in den Synagogen aus der Tora vorlesen, nämlich die Geschichte der Knechtschaft in Ägypten, sogar dafür haben wir nicht wirklich eine Erklärung. Sie steht zumindest nicht in der Tora. Einfacher ist es, wenn die Propheten davon sprechen, warum der Tempel in Gefahr ist, zerstört zu werden. Da haben wir schon Erklärungen. Da sprechen sich die Propheten ziemlich klar aus. Einer der Hauptakkorde ist da immer: Ihr konzentriert euch auf den Gottesdienst, aber ihr vernachlässigt das Zwischenmenschliche. Das ist schon ein starker Vorwurf. Denn in ihm verbirgt sich die Wahrheit, dass Religion, was vom Wort her Verbindung bedeutet, nicht nur Verbindung mit Gott ist, sondern auch Verbindung mit Menschen. Das wäre sonst ein innerer Widerspruch und das versuchen uns die Propheten zu sagen.

Tatsächlich ist dann die Zerstörung des ersten und zweiten Tempels damit zu erklären, dass irgendetwas hier bei uns nicht angekommen ist, das noch verarbeitet werden muss. Schauen wir aktuell auf das traumatische Ereignis, das wir vor einem Jahr und ein paar Monaten durchgemacht haben, den bestialischen Übergriff der Hamas auf unsere Zivilisten in Südisrael. Auch hier kommt dann natürlich sofort der Gedanke auf bei uns, was wir falsch gemacht haben. Nicht militärisch, das überlassen wir den Untersuchungskommissionen. Was haben wir falsch gemacht in unserem Weg, unsere Religion auszuüben, Gott zu dienen? Natürlich geht dann der Gedanke sofort in die Richtung: Wo haben wir in unseren zwischenmenschlichen Beziehungen gesündigt? Wo haben wir diese Domäne vernachlässigt, dass uns so ein Schlag getroffen hat? 

Domradio: Es gibt keine Erklärung für Auschwitz, die in der Tora steht. Dennoch gibt es Versuche es zu erklären. Einmal gibt es den Ansatz, Gott sei tot. Dann äußern ultraorthodoxe Juden, die Schoah sei die Strafe Gottes für den Zionismus. Welche Relevanz hat eine solch strittige Sichtweise innerhalb des Judentums? 

Brukner: Ich bin selbst insofern ein Kind der Schoah, als dass mein Vater, in Polen geboren, seine ganze Familie verloren hat. Die wurden alle ermordet. Er hat es als einziger geschafft zu fliehen, ist über viele Konzentrationslager am Ende in Buchenwald gelandet und wurde dort von den Amerikanern befreit. Ich bin in meinem Bewusstsein von Geburt an ein Kind der Schoah und betrachte auch alles so. Wenn mein Vater zur Vernichtungsgeneration gehört, dann bin ich in der Generation der Wiederaufrichtung und der Renaissance des jüdischen Volkes, der Wiedergeburt des jüdischen Volkes, wenn ich dieses Wort benutzen darf.

„Mein Vater, in Polen geboren, hat seine ganze Familie verloren. Er ist über viele Konzentrationslager am Ende in Buchenwald gelandet und wurde dort von den Amerikanern befreit“

Wir sind von Kind auf so erzogen worden, dass es keine Antwort für dieses Ereignis gibt. Es ist zu groß, zu kolossal. Wir können das nicht erklären. Aber heute, aus der Perspektive von mehr als 80 Jahren danach mit aller Zurückhaltung, mit aller Demut und Bescheidenheit dürfen wir in Anbetracht dessen, was wir sehen und erleben dürfen, schon wagen, das eine oder andere zu sagen. Wenn aber im Namen von ultraorthodoxen jüdischen Kreisen gesagt wird, der Zionismus sei der Grund für die Schoah und zwar im metaphysischen Sinn: Gott hat uns gestraft für den Zionismus. Aus meiner Sicht ist das absolut absurd. Gott liebt den Zionismus, weil Gott Zion liebt. Und die Propheten sagen voraus, dass das jüdische Volk nach Zion zurückkehren wird. Das kann nicht etwas Negatives sein, wofür wir bestraft werden sollten. Ich kann diesen ultraorthodoxen Kreisen leider nicht mal ein Milligramm von Verständnis entgegenbringen. Ich kann nur bedauern, dass es innerhalb unseres Volkes und noch dazu bei denen, welche sich in ihrem Leben religiös verhalten, so eine Interpretation gibt. Ich kann dem keinen Respekt entgegenbringen. Es tut mir wirklich sehr leid. Ich kann das nur bedauern.

„Mein Vater hat uns Kindern erzählt, seine Eltern seien zum Rabbi gegangen, als die Nazi-Wolke näherkam, und haben gefragt: Bleiben oder fliehen? Der Rabbi hat gesagt: Bleiben! Und mein Vater guckt uns an und sagt: Ich bin böse auf meinen Rabbi, er ist schuld“

Mein Vater hat uns Kindern erzählt, seine Eltern seien zum Rabbi gegangen, als die Nazi-Wolke näherkam, und haben gefragt: Bleiben oder fliehen? Der Rabbi hat gesagt: Bleiben! Und mein Vater guckt uns an und sagt: Ich bin böse auf meinen Rabbi, er ist schuld. Wenn dieser Rabbi Zionismus proklamiert hätte, dann hätten die vielleicht alle ihre Koffer gepackt, wären nach Israel gegangen und wären von dem fürchterlichen Nazigespenst bewahrt gewesen. Aber ich will den Rabbi nicht aus meiner Sicht beurteilen, auch wenn ich meinen Vater verstehe, der auf ihn böse war. Mein Vater war auf den Rabbi böse, aber nicht auf Gott. Er ist weiter religiös und glaubend geblieben und wir sind so erzogen worden.

„Mein Vater war auf den Rabbi böse, aber nicht auf Gott. Er ist weiter religiös und glaubend geblieben und wir sind so erzogen worden“

Die Schoah hat in der Welt einen derartig emotionalen Tsunami ausgelöst, dass es in einer Sekunde von globalem Gefühl der Barmherzigkeit zum jüdischen Volk möglich war, in der UNO den Teilungsplan 1947 durchzubringen, sodass der Staat Israel geboren werden konnte. Anders wäre es wohl nicht möglich gewesen. Ein Armutszeugnis für die Welt! Schaut mal, was ihr braucht, damit ihr den Juden gewährt, in ihr Land zurückzugehen. Und wir mussten leiden. Insofern wäre der Zionismus nicht der Grund für die Schoah, sondern die Konsequenz der Schoah insofern, dass tatsächlich der Staat gegründet wurde. 

Domradio: Nach wie vor gibt es aber auch in unserer Gesellschaft Judenfeindlichkeit und Vorbehalte. Welche Form des Antisemitismus bereitet Ihnen heutzutage besonders große Sorgen? 

„Jede Art des Antisemitismus macht mir Sorgen“

Brukner: Jede Art des Antisemitismus macht mir Sorgen. Der Antisemitismus entbehrt jeder logischen Erklärung. Es gibt viele Erklärungen, woher das kommt, woher die Tradition kommt. Aber logisch ist der Antisemitismus nicht. Das habe ich auch an der eigenen Haut erfahren können und das haben viele wie ich erfahren. Es ist ein irrationales Phänomen. Deshalb ist es auch sehr schwierig, dieses Phänomen unter Kontrolle zu bringen. 

Domradio: Wenn Sie als Rabbiner über Gott sprechen, wenn Sie Gott verkündigen, wenn Sie Gottesdienst feiern, wie gehen Sie mit dem Thema Leid grundsätzlich um? Kann Gott Leid zulassen und verhindern oder ist er dafür am Ende gar nicht zuständig? 

Brukner: Das ist eine sehr komplexe Frage. Gott ist für alles zuständig und wir sind zu allem bereit. Wir huldigen dem Leid nicht, wir huldigen der Freude und auch dem Vergnügen im Leben. Wir sind auch dem Leben gegenüber generell positiv und optimistisch gesinnt. Aber wir suchen die Fehler immer bei uns. Wir fragen uns immer, was wir falsch gemacht haben.

Die Ursache ist auf irdischer Ebene, aber auf metaphysischer Ebene wissen wir natürlich genau, dass es keine Zufälle gibt. Wenn uns etwas passiert, dann hat es seine Gründe. Der Grund kann entweder etwas sein, das in der Vergangenheit liegt. Der Grund kann auch etwas sein, das in der Zukunft liegt. Wir können es kaum überblicken, weil man dafür eine große Perspektive benötigt, um das zu verstehen.

*Das Interview führte Jan Hendrik Stens

(domradio - sst)

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