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Kinder spielen bei Container-Unterkünften am Tempelhof Berlin (Aufnahme von 2022) Kinder spielen bei Container-Unterkünften am Tempelhof Berlin (Aufnahme von 2022)  (AFP or licensors)

D: Flüchtlingspolitischen „Unterbietungswettbewerb" vermeiden

Der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für Flüchtlingsfragen, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, hat vor der „Versuchung, in einen flüchtlingspolitischen ‚Unterbietungswettbewerb‘ einzutreten", gewarnt. Statt polarisierter Debatten seien pragmatische und menschenwürdige Antworten gefragt, sagte er am Donnerstagabend in Berlin.

Der Hamburger Erzbischof äußerte sich beim 7. Katholischen Flüchtlingsgipfel diesen Donnerstag (15.6.2023) in der Landeshauptstadt. Rund 100 Praktiker, Experten und Ehrenamtliche aus ganz Deutschland berieten dort. Der diesjährige Gipfel stellte besonders die Anliegen vulnerabler Schutzsuchender in den Fokus - darunter Geflüchtete mit Behinderung, traumatisierte Personen, unbegleitete Minderjährige, Opfer von Menschenhandel sowie Menschen, die aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung Gewalt erfahren haben.

Hören Sie Erzbischof Heße in unserem Interview direkt nach Abschluss des Flüchtlingsgipfels

Friederike Foltz vom UNHCR Deutschland betonte, „das frühzeitige Erkennen von Vulnerabilitäten, das heißt von spezifischen Unterstützungsbedarfen, die Personen im Kontext das Asylverfahrens und der Aufnahmesituation haben, ist eine besonders wichtige Komponente für die Durchführung eines fairen Asylverfahrens.“

EU und Politiker in die Pflicht nehmen

Anja Middelbeck-Varwick vom Fachbereich Katholische Theologie der Universität Frankfurt erklärte, „wenn eine gemeinsame europäische Asylpolitik wesentlich darin besteht, unzumutbare Verfahren an den EU-Außengrenzen zu beschließen, ist es auch Auftrag der Kirche, hier zu protestieren und für das Recht von Entrechteten einzutreten.“

„Auch Auftrag der Kirche, hier zu protestieren und für das Recht von Entrechteten einzutreten“

Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbands, Eva Maria Welskop-Deffaa, äußerte so auch Kritik an der geplanten Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS): „Für die Caritas enthält das Paket der EU-Innenminister etliche Pferdefüße. In den nun anstehenden Verhandlungen müssen unbedingt die Ausnahmen im Rahmen der Grenzverfahren ausgeweitet werden, insbesondere für Familien mit minderjährigen Kindern." Die Bestimmung der sogenannten sicheren Drittstaaten dürfe nicht einzelnen Mitgliedstaaten überlassen werden, sondern müsse sich an den Standards der Genfer Flüchtlingskonvention orientieren - „sonst steuern wir auf einen neuerlichen Flickenteppich im Flüchtlingsschutz zu, der schwerwiegende Folgen für die Einhaltung von Menschenrechten an den EU-Außengrenzen und für die Glaubwürdigkeit der EU haben wird.“

„Für die Caritas enthält das Paket der EU-Innenminister etliche Pferdefüße“

Erzbischof Heße bekräftigte: „Als Kirche stehen wir dafür ein, dass Deutschland sich als modernes Einwanderungsland und zugleich als Land des Flüchtlingsschutzes begreift. Wir machen uns stark für bessere Teilhabemöglichkeiten und ein gutes gesellschaftliches Miteinander."

Der Gipfel endete am frühen Donnerstagabend mit einer Podiumsdiskussion, an der neben Erzbischof Heße und Welskop-Deffaa auch der Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Hans-Eckhard Sommer, und die Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen sowie die innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Lamya Kaddor, teilnahmen. In Arbeitsgruppen bestand die Möglichkeit zum Austausch über unterschiedliche Formen der Vulnerabilität im Fluchtkontext. Anhand von Praxisbeispielen wurden konkrete Handlungsansätze für die kirchliche Flüchtlingshilfe in den Diözesen und Verbänden diskutiert.

DBK: Mehr als 90 Millionen Euro für Flüchtlingshilfe

Die Deutsche Bischofskonferenz veröffentlichte am Donnerstag auch eine Statistik zur katholischen Flüchtlingshilfe für das Jahr 2022. Demnach haben die 27 (Erz-)Bistümer, die Militärseelsorge und die kirchlichen Hilfswerke insgesamt rund 94,2 Millionen Euro für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt haben.  Davon 35,5 Millionen für die Flüchtlingshilfe im Inland und 58,7 Millionen für die Unterstützung der Flüchtlinge im Ausland. Im Jahr 2022 waren etwa 5.600 hauptamtliche Mitarbeitende und rund 37.400 Ehrenamtliche in der Hilfe für Geflüchtete tätig. Mindestens 432.000 Schutzsuchende wurden durch die katholische Flüchtlingshilfe im Inland erreicht.

Größte Fluchtbewegung seit 2. Weltkrieg

In seiner Eröffnungsansprache skizzierte Erzbischof Heße den Kontext des internationalen Fluchtgeschehens mit mehr als 108 Millionen schutzsuchenden Menschen: „Seit über einem Jahr wütet wieder ein Krieg in Europa. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die größte Fluchtbewegung seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Aber nicht nur in unserer direkten Nachbarschaft, auch in anderen Teilen der Welt nehmen Konflikte und Krisen zu – zahlreiche Menschen sind gezwungen, vor Krieg, Unterdrückung oder den Folgen des Klimawandels zu flüchten." Mehr als eine Million Menschen aus der Ukraine und weitere 200.000 Menschen aus anderen Herkunftsländern hätten 2022 in Deutschland Schutz gefunden.

Große Solidarität

Der Erzbischof würdigte in diesem Zusammenhang das Engagement der vielen Haupt- und Ehrenamtlichen: „Dank der großen Solidarität und Hilfsbereitschaft in unserem Land lässt sich die große humanitäre Aufgabe gut bewältigen.“ 

„Dank der großen Solidarität und Hilfsbereitschaft in unserem Land lässt sich die große humanitäre Aufgabe gut bewältigen“

(pm-sst)

 

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15. Juni 2023, 17:16