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Erzbischof Stefan Heße von Hamburg Erzbischof Stefan Heße von Hamburg 

Erzbischof Heße nach Flüchtlingsgipfel: Signal der Zuversicht

Der Sonderbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz für Flüchtlingsfragen, der Hamburger Erzbischof Stefan Heße, zeigte sich nach dem Flüchtlingsgipfel in Berlin zufrieden. Mehr als 100 Experten tauschten sich am Donnerstagnachmittag darüber aus, wie Flüchtenden – und vor allem besonders vulnerablen Flüchtlingen – in ihrer Extremsituation geholfen werden kann. Wir sprachen direkt im Anschluss mit ihm.

Erzbischof Heße, Sie kommen frisch vom Flüchtlingsgipfel. Was war Ihr Eindruck von den Arbeiten?

Erzbischof Heße: „Es waren über 100 Leute aus ganz Deutschland da, aus den Diözesen, den Verbänden, von der Caritas und aus verschiedenen anderen Einrichtungen, die sich der Flüchtlinge annehmen. Das ist schon mal ein gutes Zeichen. Es herrschte insgesamt gute Stimmung und die Menschen waren aus dem Norden, dem Süden, dem Westen und dem Osten angereist. Das heißt, das Thema liegt überall nach wie vor obenauf und ist keineswegs an den Rand gedrängt worden. Insofern war das ein sehr lebendiger Gipfel. Er war allerdings zeitlich ein bisschen begrenzt - und vor allen Dingen die Verkehrssituation hier in Berlin hat dazu geführt, dass manche Redner erst später kamen. Hätten wir mehr Zeit gehabt, hätten wir sicher auch noch viel tiefer in das Ganze einsteigen können.“

Hier das Interview mit Erzbischof Heße zum Nachhören

Radio Vatikan: Inwieweit ist denn die Kirche Ansprechpartner im politischen Diskurs zu Flüchtlingen? Warum ist es besonders wichtig, dass die Kirche sich um Flüchtlinge kümmert?

Erzbischof Heße: „Dass die Kirche sich um Flüchtlinge kümmert, versteht sich einfach aus der Botschaft Jesu heraus. Wir kennen alle die Gerichtsrede Matthäus 25, ,Was ihr einem dieser Kleinen getan habt - und da kann man ganz leicht auch die Fremden, die anderen drunter nehmen - das habt ihr mir getan.‘ Also im Fremden, im Flüchtling, im Menschen auf dem Weg, erst recht im Menschen, der seine Heimat verlassen muss, weil er dort nicht leben kann, der vertrieben wird wegen Krieg oder Klima oder aus anderen Gründen, begegnet uns Christus selbst und deswegen steht es für uns Christen außer Frage, dass wir uns um geflüchtete Menschen kümmern. Und klar ist, wir können Empfehlungen abgeben, wir können immer wieder die Stimme für die Flüchtlinge erheben.

„Wir tun als Kirche aber auch viel.“

Wir tun als Kirche aber auch viel. Es gibt überaus viele Ehrenamtliche und Hauptamtliche in unseren Gemeinden und Diözesen in Deutschland, die sich jeden Tag für die Flüchtlinge einsetzen. Das, denke ich, ist ein ganz wichtiges Signal. Aber wir müssen eben auch Gewähr darüber haben, dass wir das nicht alleine leisten können, sondern dass es eine gesamtgesellschaftliche Strategie braucht, ein Miteinander, und das geht nicht an der Politik vorbei. Deswegen sind wir über diese Themen immer wieder mit Politikerinnen und Politikern im Gespräch. Heute war bei dem Gipfel deswegen auch eine Abgeordnete des Deutschen Bundestages dabei, ebenso wie der Leiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus Nürnberg, Dr. Sommer. Also wir sind in diesem Dialog, weil alles andere schief gehen würde, schließlich muss das, was wir empfehlen, ja irgendwie politisch umgesetzt und angewandt werden. Und dazu braucht es immer wieder das Gespräch und den Diskurs.“

Keine Spazierfahrt

Radio Vatikan: Warum haben Sie denn jetzt bei diesem siebten Flüchtlingsgipfel besonders schutzbedürftige Flüchtlinge in den Blick genommen?

Erzbischof Heße: „Wir haben schon sechs Gipfel gehabt, und wir legen jedes Mal einen anderen Schwerpunkt, um das Thema auf diese Weise zu fokussieren. Und diesmal ging es um die besondere Situation der Vulnerabilität, das heißt also um die Menschen, die durch die Flucht besonders herausgefordert sind.

Man muss ja sagen, dass eigentlich jeder, der flüchtet, in einer vulnerablen Situation ist oder als vulnerable Personen zu bezeichnen ist. Denn es ist doch klar, das ist nicht ein Ausflug oder eine Spazierfahrt oder so etwas, wie das manchmal leichtfertig gesagt wird, sondern hier sind Menschen genötigt, ihre Heimat zu verlassen, weil sie dort keine Perspektiven haben. Das ist immer eine Situation der Entwurzelung und dann ist man sozusagen erst mal im Niemandsland. Bis man woanders angekommen ist, erst recht sich wieder neu verwurzelt hat, vergeht oft sehr viel Zeit. Und deswegen, glaube ich, braucht es immer wieder Aufmerksamkeit für diese Situation.

Und wenn Sie sich jetzt vorstellen, das sind unbegleitete Minderjährige oder es sind Menschen mit Behinderung oder mit chronischen Krankheiten dabei, oder Menschen, die vom Menschenhandel betroffen sind oder, oder, oder… Die Liste kann man ja eigentlich gar nicht abschließen. Dann wird deutlich, dass gerade diese Menschen in einer besonderen Situation leben und ausdrücklich unsere Aufmerksamkeit brauchen.“

Radio Vatikan: Sie haben es ja angesprochen, es waren sehr dichte Arbeiten und Sie standen dabei auch ein wenig unter Zeitdruck. Konnten Sie sich denn auch auf konkrete Handlungsempfehlungen einigen?

Erzbischof Heße: „In den Arbeitsgruppen, es waren sieben Stück an der Zahl, wo es jeweils um eine andere vulnerable Gruppe ging, hat man sich sehr intensiv über die Situation dieser Personengruppe ausgetauscht und dann kommen natürlich auch Handlungsoptionen ins Spiel, also nach dem Motto, was macht ihr oder was macht ihr in einem ganz anderen Teil Deutschlands? Also vor allem ein Austausch von Best Practice-Beispielen. Aber hätten wir mehr Zeit gehabt, dann hätte man das sicher auch noch mal vertieft ansprechen können und man hätte es vor allen Dingen auch noch ins Plenum bringen können, sodass alle was davon gehabt hätten. So muss das jetzt durch das Protokoll multipliziert werden.“

Gebet für die gekenterten Migranten

Radio Vatikan: Wurde denn bei den Arbeiten auch der jüngste Asylkompromiss auf europäischer Ebene, der ja viel Kritik erfahren hat, zum Thema gemacht?

Erzbischof Heße: „Ja, zwei Themen waren sozusagen immer mit im Raum. Das eine ist dieses schreckliche Unglück jetzt wieder auf dem Mittelmeer, das ja für meine Begriffe vermeidbar gewesen wäre. Mehrere 100 Menschen, die da in diesen Tagen untergegangen und gestorben sind. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals ein so großes Schiff und so viele Menschen ums Leben gekommen wären. Der Papst spricht ja immer wieder vom Mittelmeer als dem größten Friedhof, und der ist durch diese Hunderte Menschen jetzt um ein großes Stück erweitert worden. Das schockiert natürlich. Wir haben auch für diese Menschen gebetet und es war mit im Raum, mit im Gespräch.

Und das andere Thema war natürlich dieser aktuelle Asylkompromiss auf europäischer Ebene vom vergangenen Freitag. Ich habe mich dazu schon geäußert, aber habe es jetzt auch noch mal hier getan. Also erstmals haben sich Politiker, Innenminister, da an den Tisch gesetzt und das Thema angepackt. Ich habe immer dafür plädiert, dass es eine gesamteuropäische Strategie und Lösung braucht, weil jedes Land für sich alleine damit überfordert wäre.

„Deswegen haben wir eher den Eindruck, dass damit ein Rückschritt erzielt wird, als dass es einen Fortschritt bedeutet“

Das ist also vielleicht ein gutes Signal, aber mit den Ergebnissen waren wir eigentlich nicht zufrieden. Ich habe es selber so gesagt und habe das heute hier auch noch mal aus den Reaktionen des Publikums mitbekommen. Also die Frage der Asylverfahren an den Außengrenzen: unter welchen Bedingungen? Wie werden die Menschen, deren Verfahren läuft, dann untergebracht? Das scheinen ja haftähnliche Umstände zu sein. Und das halten wir nicht für menschenwürdig. Deswegen haben wir eher den Eindruck, dass damit ein Rückschritt erzielt wird, als dass es einen Fortschritt bedeutet. Das Ganze geht jetzt in den Europäischen Rat und auch noch mal ins Europaparlament. Da kann man nur hoffen, dass es noch gelingt, viele Korrekturen anzubringen, bevor es dann am Ende auch beschlossen werden kann.“

Deutlich durch den Papst inspiriert

Radio Vatikan: Inwieweit sind oder waren die Arbeiten des Flüchtlingsgipfels von der Botschaft des Papstes inspiriert?

Erzbischof Heße: „Der Papst spricht ja die Situation der Menschen auf der Flucht immer und immer wieder an, er hat selbst lange Zeit das zuständige Referat im Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung geleitet. Und ich weiß, dass ihm das ein großes Anliegen ist. Seine erste Reise ging ja auch damals nach Lampedusa. Er weiß also um diese Not und er schickt uns jedes Jahr eine Botschaft dazu, die wir auch immer in Umlauf bringen.

Etwas, was der Papst uns ja auch immer wieder mit auf den Weg gibt, ist der Blick an die Ränder, das Gehen zur Peripherie. Und ich glaube, bei den Geflüchteten, erst recht bei den vulnerablen Personen darunter - geht es wirklich um Menschen in einer existenziellen Peripherie. Und insofern waren die Arbeiten heute in Berlin auch sehr deutlich von Papst Franziskus inspiriert.

„Ich glaube, die Grundbotschaft ist, dass wir in der Sorge um die Flüchtlinge nicht nachlassen dürfen und können.“

Radio Vatikan: Was für eine Botschaft geht denn insgesamt von diesem Gipfel aus, der ja hochkarätige Experten zum Thema zusammengebracht hat?

Erzbischof Heße: „Ich glaube, die Grundbotschaft ist, dass wir in der Sorge um die Flüchtlinge nicht nachlassen dürfen und können. Ich persönlich – beziehungsweise, das ist nicht meine persönliche Meinung, sondern es ist einfach ein Faktum - wenn Sie die Statistik anschauen, dann haben wir jetzt etwa 110 Millionen Flüchtlinge auf der ganzen Erde, Zahl steigend. Wir haben seit einem Jahr den Krieg in der Ukraine und damit haben wir in einer kurzen Zeit eine unwahrscheinlich schnell anwachsende Zahl von Flüchtlingen, wie das noch nie der Fall war, erleben müssen.

Und da gilt es nicht nachzulassen und gleichzeitig auch zu sehen, dass wir schon viel erreicht haben und nicht so schlecht sind, wie es immer wieder behauptet wird oder wie wir es selber auch kleinreden. Deswegen ist von dem Flüchtlingsgipfel auch ein Signal der Zuversicht ausgegangen. Am Ball zu bleiben zum Wohle dieser Menschen, deren Menschenwürde auf das Schärfste bedroht ist.“

Radio Vatikan: Vielen Dank, Herr Erzbischof, für dieses Gespräch.

Die Fragen stellte Christine Seuss 

(vatican news)

 

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16. Juni 2023, 11:44