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Interview: Titus Brandsma, ein heiliger Querkopf

Ein ungewöhnlicher Nazi-Gegner wird an diesem Sonntag heiliggesprochen: Der Niederländer Titus Brandsma (1881-1942) war eine komplexe Persönlichkeit, die uns auch heute viel zu sagen hat.

Das sagte Karmelitenpater Michael Plattig in einem Interview mit Radio Vatikan. Gerade Pater Titus‘ unbedingtes Eintreten für Frieden und Versöhnung sei in Zeiten des Ukraine-Kriegs von großer Aktualität.

Interview

Pater Michael, wer war denn Titus Brandsma?

„Er war ein Karmelit der niederländischen Provinz. Er wurde 1881 geboren und trat dann nach einer Kindheit in einem sehr katholisch geprägten Friesland, wurde er schließlich nach seiner Ausbildung im Gymnasium
1898 Karmelit und nach den Studien 1905 zum Priester geweiht. Er hat dann in Rom studiert, zum Doktor der Philosophie promoviert, hat dann an der Ordens-Hochschule gelehrt und wurde schließlich an die neugegründete erste katholische Universität Nijmegen als Professor für Philosophie und Geschichte der Mystik berufen, was damals auch etwas Besonderes war. Er hat sich sehr stark mit der mystischen Tradition, vor allem auch der niederländischen Mystik auseinandergesetzt und hat auch ein entsprechendes Institut aufgebaut, das bis heute dort besteht und auch jetzt nach ihm benannt ist. Von 32 bis 33 war er Rektor dieser katholischen Universität.

Er hat aber seine Professoren-Tätigkeit nicht nur begrenzt auf Forschung oder Lehre, sondern er hat sich auch sehr stark journalistisch betätigt, in vielen Zeitschriften Artikel veröffentlicht zu allen möglichen Themen – zu sozialen Themen, zum Umweltschutz, zum Tierschutz. Er hat sich starkgemacht für Arbeitslose, hat sich auseinandergesetzt mit unterschiedlichen Strömungen in der Gesellschaft und hat darüber auch eine große Bekanntheit in den Niederlanden erlangt. Er wurde schließlich auch zum geistlichen Begleiter der katholischen Journalisten in den Niederlanden ernannt. Und das war dann der Punkt, wo er dann ab 1940, als die Nationalsozialisten die Niederlande besetzten, immer wieder in Konflikt kam mit der nationalsozialistischen Ideologie, die natürlich auch in den Niederlanden einen Ableger hatte und Anhänger hatte.“

Brandsma-Statue in Nijmwegen
Brandsma-Statue in Nijmwegen

„Ein Mann, der das gelebt hat und verkündet hat, was ihm wichtig war“

Auf den Fotos aus dieser Zeit sieht Titus Brandsma sehr ernst aus – sehr professoral, etwas humorlos. War er ein spröder Typ?

„Nein, eigentlich nicht. Aber natürlich war er als Friese und als Nordeuropäer sicherlich jetzt nicht ein total humorvoller Mensch! Es sind allerdings viele Begegnungen mit ihm überliefert, in denen er auch als sehr freundlicher und zugewandter Mensch erlebt wurde. Doch sicherlich war er eher zurückhaltend; er war auch keiner, der jetzt unbedingt die Öffentlichkeit gesucht hat, sondern der immer wieder mal dazu gedrängt werden musste. Und dennoch ein Mann, der, glaube ich, schon in einer sehr überzeugenden Weise das gelebt hat und verkündet hat, was ihm wichtig war.“

Zum Nachhören: Ein Interview über den neuen Heiligen Titus Brandsma, einen Gegner des NS-Regimes - Radio Vatikan

Jetzt kommt der 10. Mai 1940: Die deutsche Wehrmacht besetzt die Niederlande. Was macht Pater Titus?

„Zunächst einmal bleibt er tätig, vor allem auch auf journalistischem Gebiet. Er hat sich schon seit 1935 mit der NS Ideologie auseinandergesetzt und sie als unvereinbar mit der katholischen Auffassung vom Menschen erklärt. Daraufhin verboten die Bischöfe die Mitgliedschaft in der Ableger-Organisation in den Niederlanden für Katholiken, was natürlich für die Nationalsozialisten einen Affront bedeutete. Auf Anregung von Pater Titus verboten die niederländischen Bischöfe außerdem, Anzeigen für die nationalsozialistische Bewegung in katholischen Zeitungen zu schalten – und das war letzten Endes der Anlass, Titus Brandsma zu verhaften und ihn zunächst ins Gefängnis und dann ins Konzentrationslager zu schicken…“

Titus Brandsma
Titus Brandsma

„Es gibt inzwischen Forschungen, die zu den genauen Todesumständen gewisse Zweifel haben“

Im Juni 1942 kommt er in das KZ Dachau. Was passiert dann?

„Er hält sich nicht sehr lange im KZ Dachau auf. Er ist zu dem Zeitpunkt schon völlig entkräftet; es ist ja eine Gefangenschaft in Scheveningen und in Kleve vorausgegangen und in Amersfoort. Als er im KZ Dachau ankommt, wird er zunächst versorgt. Er trifft dort auch einen Mitbruder, der kümmert sich noch etwas um ihn, aber er ist völlig entkräftet und stirbt schließlich am 26. Juli 42 durch eine Todesspritze. Es gibt inzwischen allerdings Forschungen, die zu den genauen Todesumständen gewisse Zweifel haben –jedenfalls kommt er an den Folgen dieser Haft ums Leben. Ob er nun aktiv getötet wurde, darüber kann man nur mutmaßen; man kann in gewisser Weise davon ausgehen, aber darüber haben wir keine sicheren Erkenntnisse.“

„Er hat sehr stark unterschieden zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und dem deutschen Volk“

Kann man ihn als Märtyrer ansehen? Wurde er, wie schon Johannes Paul II. anerkannte, aus odium fidei, also aus Glaubenshass getötet oder sterben gelassen?

„Ja, ich glaube schon. Denn wie gesagt: Der Grund für seine Inhaftierung und schließlich seine Deportation war sein Eintreten für das katholische Verständnis vom Menschen, für den Glauben, gegen die nationalsozialistische Ideologie. Und noch in seiner letzten Schrift, die er schon im Gefängnis verfasst hat und die seine Peiniger, also die Nationalsozialisten, von ihm verlangten, hat er ganz klar und sehr nüchtern dargestellt – da ist er wieder etwas professoral! –, dass der katholische Glaube mit dem Nationalsozialismus unvereinbar ist. Auch da hat er noch einmal klar seine Position deutlichgemacht.

Allerdings – und das finde ich erwähnenswert – hat er sehr stark unterschieden zwischen der nationalsozialistischen Ideologie und dem deutschen Volk und immer sehr Wert darauf gelegt, dass er für Versöhnung und Frieden eintritt. Selbst in der Zeit der Besatzung und in den letzten Monaten seines Lebens hat er immer sehr für die Niederlande und für Deutschland gebetet und für die Versöhnung dieser Völker; das sind die letzten Worte in diesem letzten von ihm bekannten Dokument.“

Hitler mit deutschen Kirchenvertretern - undatierte Aufnahme
Hitler mit deutschen Kirchenvertretern - undatierte Aufnahme

„Wir sind heute ja Gott sei Dank etwas weg von diesem idealisierten Heiligenbild“

Eine Biographie von Pater Titus zeichnet ein sehr komplexes Bild seiner Persönlichkeit: Er sei eitel gewesen, jähzornig, radikal, politisch naiv, anspruchslos fromm, tatkräftig, persönlich sehr mutig… Das ist ja doch ein sehr nuanciertes Bild, eine sehr komplexe Persönlichkeit für einen Heiligen…

„Ja, natürlich. Aber ich denke, wir sind heute ja Gott sei Dank etwas weg von diesem idealisierten Heiligenbild, das am Ende blutlose Gestalten gezeichnet hat, vor allem im 19. und Anfang des 20. Jahrhundert. Heilige sind komplexe Figuren – ich würde sagen, praktisch alle. Man hat nur manchmal eben bestimmte Seiten unter den Teppich gekehrt in den Biographien… Es zeichnet, denke ich, Heilige aus, dass sie unterwegs sind, dass sie nicht fertig sind, sondern wie wir alle unterwegs sind zur Vollkommenheit; und Vollkommenheit ist immer noch eine himmlische Veranstaltung und ist auf Erden überhaupt nicht zu erreichen. Deshalb ist, denke ich, gerade diese Spannung in den Persönlichkeiten, die natürlich auch bei Titus vorkommt, ein belebendes Element. Und auch ein Element, das dieses Leben glaubwürdig macht.

Das sind keine Aufstiegsbiographien oder gläubige Karrieristen, sondern es sind Menschen, die mit sich selber, mit ihrer Zeit, mit den Umständen gekämpft haben, sich auseinandergesetzt haben – und darin ihren Weg zum Glauben, ihren Weg zu Gott gefunden haben!“

„Er ist politisch erschreckend aktuell in seinem Kampf gegen nationalistische Tendenzen“

Pater Michael, wie würden Sie kurz auf den Punkt bringen, was das Spannende an Titus Brandsma für die heutige Zeit ist?

„Ich glaube, dass er in seinen Schriften in zweierlei Hinsicht bedeutsam ist. Einmal im Hinblick auf das Gottesverständnis oder den Gottesbegriff, den er vertritt. Er setzt sich sehr stark für eine persönliche Gottesbeziehung ein. Er betont immer wieder den Gott in uns, der zu suchen ist, und den Gott im anderen, der zu finden ist – also ein Plädoyer für eine persönliche Gottesbeziehung, die heute ja zunehmend unter die Räder kommt bzw. selbst in kirchlichen Kreisen manchmal belächelt wird. Er tritt sehr stark für diese personale Beziehung ein.

Und das Zweite ist: Er ist politisch erschreckend aktuell in seinem Kampf gegen nationalistische Tendenzen, die wir ja in Gesamteuropa haben, nicht nur in Deutschland. Wenn in Frankreich jetzt eine Frau Le Pen bei Wahlen über 42 % bekommt, dann ist das, finde ich, ein Alarmzeichen! Also, gerade hier deutlich zu machen ‚Christentum ist unvereinbar mit jeder Form von Nationalismus, Rassismus, Rassenideologie oder sonstigen ideologischen Zuspitzungen‘ – das ist eine Botschaft.

Ein Weiteres, das damit zusammenhängt, ist sein unabdingbares Eintreten für den Frieden und die Versöhnung. Gerade jetzt, in diesem Ukrainekonflikt, wird deutlich (und das hat, meine ich, unser Papst sehr eindrucksvoll bewiesen): Es geht hier nicht um eine Parteinahme. Natürlich muss der Aggressor benannt werden, aber man muss immer sehr klar differenzieren, und man muss für beide Völker beten. Man muss beide im Blick behalten und kann nicht in diese Schwarzweiß-Ideologie des Krieges einstimmen. Dafür ist Titus Brandsma ein sehr vehementer und ein sehr glaubwürdiger Zeuge.“

(vatican news – sk)
 

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10. Mai 2022, 12:14