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Ein undatiertes Foto von Kardinal Joseph Ratzinger, dem heutigen emeritierten Papst Benedikt XVI. Ein undatiertes Foto von Kardinal Joseph Ratzinger, dem heutigen emeritierten Papst Benedikt XVI. 

D: Psychiater Manfred Lütz verteidigt Benedikt XVI.

Der Kölner Psychiater und langjährige Vatikan-Berater Manfred Lütz hat sich in einem Gastbeitrag für die „Neue Zürcher Zeitung" (Dienstag) zu den Verdiensten von Benedikt XVI. gegen Missbrauch in der Kirche und zu dem Münchner Missbrauchsgutachten geäußert.

Demnach hat der damalige Kurienkardinal Joseph Ratzinger bereits 1999 bei einem vertraulichen Treffen im Vatikan gegen den Widerstand anderer Kardinäle die konsequente Bestrafung überführter Missbrauchstäter in der katholischen Weltkirche gefordert. Zwei Jahre später wurde die von Ratzinger geführte Glaubenskongregation zur obersten Anklagebehörde und zum obersten Kirchengericht für Missbrauchstäter im Priestergewand.

„In allen vier Ratzinger zur Last gelegten Fällen kein einziger handfester Beweis“

Zum vielbeachteten jüngsten Münchner Missbrauchsgutachten und den 82-seitigen Erklärungen des emeritierten Papstes dazu äußerte sich der Psychiater und Theologe mit einer Differenzierung. Die von Benedikt autorisierten Bemerkungen über Exhibitionismus gehörten „allenfalls ins kirchenrechtliche Seminar und wirkten hier tatsächlich in peinlicher Weise grotesk verharmlosend", so Lütz. Bei Licht betrachtet, entlaste das Gutachten aber den damaligen Münchner Erzbischof weitgehend. Nach gründlicher Recherche der Gutachter gebe es „in allen vier Ratzinger zur Last gelegten Fällen keinen einzigen handfesten Beweis", dass der damalige Münchner Erzbischof „Kenntnis von der Missbrauchsvorgeschichte" der jeweiligen Tatverdächtigen hatte.

Zur Kontroverse um die angebliche Nichtteilnahme Ratzingers an einer entscheidenden Sitzung im Jahr 1980 erklärte Lütz, inzwischen sei klar, warum Benedikt zunächst eine falsche Angabe gemacht habe. Der 94-Jährige habe nicht mehr selbst Tausende Seiten Dokumente durchsehen können. Mitarbeiter hätten das getan und dabei Fehler begangen. Entgegen der von ihnen formulierten Antwort, dass er an der Sitzung nicht teilgenommen habe, sei er doch anwesend gewesen.

„Jeder hätte sich bei solchen Fragen Rechtsbeistand geholt, so offensichtlich auch Papst Benedikt“

In diesem Kontext kritisierte Lütz die Ausformulierung der mehr als 130 Detailfragen der Münchner Anwaltskanzlei an den Ex-Papst. Die Kanzlei habe „einen merkwürdigen Fragestil an den Tag gelegt. Zum Teil waren die Fragen rhetorisch, suggestiv oder Mischungen aus Anklageschrift und Urteil." Lütz weiter: „Jeder hätte sich bei solchen Fragen Rechtsbeistand geholt, so offensichtlich auch Papst Benedikt." Die Fragestellungen hätten diesem von vorneherein keine Gelegenheit gegeben, sich zu seiner persönlichen Verantwortung zu erklären.

Lütz betonte, der Ex-Papst habe „angekündigt, dass er sich dazu und zum Zustandekommen der merkwürdigen Antworten noch selbst äußern wolle". Es sei damit zu rechnen, dass „das dann wirklich sein Text sein wird, und man sollte die Fairness besitzen, diese Stellungnahme abzuwarten".

Manfred Lütz ist Mitglied in der Päpstlichen Akademie für das Leben und im vatikanischen Dikasterium für Laien, Familie und Leben. 

Die Meldung wurde am 2.2.2022 um 8:30 Uhr überarbeitet. 

(kna/nzz-skr)

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01. Februar 2022, 16:25