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Pfizer und Biontech haben bekanntgegeben, einen vielversprechenden Impfstoff entwickelt zu haben Pfizer und Biontech haben bekanntgegeben, einen vielversprechenden Impfstoff entwickelt zu haben 

D: Mit der Corona-Impfung allein ist es nicht getan

Die Hoffnung ist groß, dass mit Hilfe eines Impfstoffs gegen das SARS-CoV2-Virus bald alles wieder normal werden könnte. Am Montag hatten der deutsche Konzern Biontech und der US-Pharmariese Pfizer bekannt gegeben, dass sie über einen vielversprechenden Impfstoff verfügen. Doch der Medizinethiker Matthias Beck bremst die Euphorie: Mit der Impfung alleine sei es auch nicht getan. Ein Interview des Kölner Domradios.

300 Millionen Dosen des Mittels hat sich allein die Europäische Union vertraglich gesichert. Das weltweite Wettrennen um den Impfstoff scheint eröffnet, die Hoffnungen groß. Das Domradio wollte daher zuerst von Professor Matthias Beck wissen, ob er den weit verbreiteten Optimismus teilt:

Prof. Matthias Beck (Theologe und Medizinethiker an der Uni Wien und Pharmazeut): Die Ergebnisse sind enorm gut, aber es gibt noch sehr viele Unklarheiten. Wir wissen nicht, wie lange so eine Immunität möglicherweise anhält. Man weiß, der Masern-Impfstoff hält ein ganzes Leben lang, der Grippe-Impfstoff muss jedes Jahr neu verabreicht werden.

Aber hier wissen wir gar nicht, wie lange dieser Impfstoff anhält. Einerseits ist es gut, dass der Impfstoff bald auf den Markt kommt. Andererseits müssen wir unsere Abstandsregeln einhalten. Es wird nicht gleich alles gut sein. Es geht noch das ganze nächste Jahr. Und wir müssen dann den Impfstoff, wenn er breitflächig verteilt wird, weiterhin wissenschaftlich begleiten und schauen, wie es sich auswirkt. Darüber haben wir noch wenig Erkenntnisse.

Noch wenig Erkenntnisse über Langzeitwirkung

DOMRADIO.DE: Normalerweise dauern ja Zulassungen deutlich länger. Jetzt wird der Impfstoff an rund 44.000 Personen getestet. Ist das viel oder wenig? Kann man damit arbeiten?

Beck: Damit kann man gut arbeiten. Das liegt im guten Mittel. Es ist nicht zu viel, es ist nicht zu wenig. Das passt gut.

Ich würde gleich dazu sagen, weil ich immer gefragt werde, ob ich mich impfen lassen würde, dass ich wahrscheinlich noch etwas warten würde. Einen russischen Impfstoff würde ich nicht nehmen, einen chinesischen auch nicht. Bei einem amerikanischen wäre ich mir nicht ganz sicher. Die europäischen Zulassungsbedingungen werden eingehalten. Die sind sehr sicher, sehr gut.

Dass das jetzt schneller geht, hängt damit zusammen, dass man schon vorab Erkenntnisse hatte, sodass man manches parallel machen kann und damit die Zulassungsverfahren beschleunigt wurden. Aber das heißt nicht, dass hier ein niedrigerer Sicherheitsstandard eingeführt wird. Das wäre mir wichtig. Der Sicherheitsstandard, der für alle Medikamente in Europa gilt, wird hier sicher eingehalten. Dafür würde ich meine Hand ins Feuer legen.

„Der Sicherheitsstandard, der für alle Medikamente in Europa gilt, wird hier sicher eingehalten“

Wer entscheidet, wer den Impfstoff (zuerst) bekommt?

DOMRADIO.DE: Europa hat sich schon 300 Millionen Impfdosen gesichert. Vermutlich wird jetzt ein Wettrennen losgehen, wer ihn als erstes bekommt. Wer entscheidet das eigentlich? Biontech und Pfizer? Die werden sich ja vermutlich daran orientieren, wer da am besten zahlt, oder?

Beck: Es gab ja schon eine Stellungnahme vom Deutschen Ethikrat und der Ständigen Impfkommission dazu. Ich bin hier in Wien auch Mitglied der Bioethik-Kommission beim Bundeskanzler. Wir werden auch so ein Papier machen.

Die haben schon eine sogenannte Allokationsliste gemacht, sich also der Frage gewidmet, wie man mit endlichen Gütern umgeht. Zunächst kommen die alten Menschen und besonders Risikopatienten. Dann folgen in der zweiten Linie die mit diesen Patienten befassten Ärzte und Pfleger, Krankenpfleger, Altenpfleger. Schließlich kommen auf der dritten Schiene die im Gesundheitssystem Tätigen sowie Polizei und Feuerwehr.

Der Deutsche Ethikrat hat dazu schon ein sehr gutes Papier gemacht und jetzt muss der Staat das regeln. Man kann nicht sagen, dass über die Abgabe in Apotheken geregelt wird, wer etwas bekommt, sondern man will in Deutschland 60 Impfzentren einrichten und dann muss das abgearbeitet werden.

Ob die Regierung diesem Vorschlag des Deutschen Ethikrates folgt, ist dahingestellt. Ich habe ihn gestern gelesen und er ist sehr gut. Den werden wir vielleicht hier auch in Österreich übernehmen. Also, es muss staatlich verteilt werden, damit das geordnet abläuft.

Impfstoff muss staatlich verteilt werden

DOMRADIO.DE: Die Vereinten Nationen und Hilfsorganisationen nennen es ein Gebot der Moral, dass jeder auf der Welt Zugang zu diesem Impfstoff erhält. Kann man das denn irgendwie gewährleisten?

Beck: Nicht von heute auf morgen. „Equal Access" (gleicher oder gleichberechtigter Zugang, Anm. d. Red.) heißt das im internationalen Sprachgebrauch. Jeder Mensch hat nach unserer Philosophie die gleiche Menschenwürde und jedem sollen die gleichen Zugänge zu Gesundheitsleistungen zustehen. Aber sie können nicht acht Milliarden Impfstoffe auf einmal herstellen und auch nicht verteilen. Man hat das mal ausgerechnet. Bis in Deutschland alle durchgeimpft wären, würde es ungefähr ein halbes oder vielleicht sogar dreiviertel Jahr dauern. Also das dauert insgesamt weltweit bestimmt zwei bis drei Jahre.

DOMRADIO.DE: Aber die Hoffnung ist groß, seit diese Meldungen seit Anfang der Woche in der Welt sind. Sie würden also den Menschen durchaus die Hoffnung machen, dass es sich für uns zum Positiven entwickelt?

„Man darf jetzt nicht denken, „ach ich bin geimpft, ist alles okay““

Beck: Aber bitte doppelgleisig. Wir haben den ersten Lockdown im Frühjahr gut überstanden. Dann haben die Leute gedacht, es sei vorbei. Jetzt gehen wir wieder ein bisschen lockerer miteinander um. Aber die zweite Welle wird schlimmer. Der Rückfall in einer Krise ist immer schlimmer. Das gilt auch für den Rückfall in einer Krankheit. Auch da ist der zweite schlimmer als der erste Krankheitsausbruch.

Und hier gilt dasselbe. Man darf jetzt nicht denken, „ach ich bin geimpft, ist alles okay“. Man muss dieselben Sicherheitsmaßnahmen einhalten wie bisher, also Abstand halten und Mund-Nasen-Schutz tragen. Also zusammengefasst kann man sagen: Hoffnung „ja“, gute Aussichten „ja“. Aber jetzt nicht nachlässig werden in den Maßnahmen. Mindestens das ganze nächste Jahr nicht.

Das Interview führte Carsten Döpp.

(domradio.de - cs)

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13. November 2020, 10:00