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Ö: „Tröstende Menschen braucht das Land"

Den „Versuch einer Tröstung zum Nationalfeiertag“ hat der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler in einem Beitrag auf der theologischen Feuilleton-Plattform „feinschwarz.net“ unternommen.


Der Bischof zeigt darin Verständnis dafür, dass die psychischen Belastungen der Pandemie bei Jung und Alt jetzt ihre deutlichen Spuren hinterließen. Zugleich ruft er dazu auf, der „Versuchung zum Selbstmitleid“ zu trotzen und sich um eine geistvolle und entschlossene Solidarität zu bemühen. „Tröstende Menschen braucht das Land“, so der Bischof wörtlich, der in diesem Zusammenhang auch die Kirche verstärkt in die Pflicht nimmt: „Wie können wir in dieser spezifischen Situation für die Menschen da sein? Herzblut und Kreativität sind mehr denn je gefragt. Auch Glaubenskraft.“

Im Herbst des Corona-Jahres brauche es vor allem die heilsame Vergewisserung, „dass große Krisen und Herausforderungen zu bewältigen sind“, schreibt Glettler. Das scheine ihm deshalb so wichtig zu sein, „weil sich für viele unserer Zeitgenossen Zukunft nicht mehr als Option anfühlt, sondern weit eher als Bedrohung“. Besonders für die Covid-Generation, so die aktuelle Jugendforschung, sei es neu, dass individuelle Freiheitsrechte zugunsten des Gemeinwohls vom Staat beschnitten werden. Unverständnis gegenüber einem plötzlich starken Staat sei deshalb vorprogrammiert.

Doch nicht nur die jungen Leute, sondern alle lebten in vielen Widersprüchen. Der gehobene Lebensstandard schützt nicht vor existenziellen Zukunftsängsten und nach aktuellen Umfragen sei die Zuversicht – „der Treibstoff zur Alltagsbewältigung“ - vielfach verloren gegangen.

Glettler erinnert an die vielen Jubiläen im Jahr 2020: 75 Jahre Kriegsende, 75 Jahre UNO,  65 Jahre Staatsvertrag, 55 Jahre Nationalfeiertag sowie 25 Jahre Beitritt zur Europäischen Union. "Diese festlichen, staatstragenden Anlässe machen uns den Zusammenhalt, die Verantwortungsteilung und Hilfsbereitschaft in der Vergangenheit unseres Landes und in Europa bewusst", so der Bischof und weiter wörtlich: "Sie machen uns vor allem bewusst, dass kein Land nur für sich allein leben kann. Läge in dieser herbstlichen Vergewisserung nicht auch ein Feuer für eine geistvolle und entschlossene Solidarität, die über die nationalen Grenzen hinausreicht? Österreich darf sich nicht an die Spitze der Unwilligen setzen. Wir können Gutes tun - der politische Wille ist entscheidend.“

Orte einer „globalen Geschwisterlichkeit“


Der Bischof verweist in seinem Beitrag auch auf seine ehemalige Grazer Pfarre St. Andrä, wo vor knapp 20 Jahren erstmals der „Inter-Nationalfeiertag“ begangen wurde. Mittlerweile sei dies ein fixer Event im multikulturellen Stadtteil, der von einem mehrsprachigen Gottesdienst bis hin zu einem internationalen Buffet und kulturellen Highlights einiges zu bieten hat. Und noch eines werde dabei deutlich: „Der Geschmack menschlicher Nähe und ,sozialer Freundschaft’“, wie es Papst Franziskus ausdrücke.

An vielen Orten lebten Menschen unterschiedlichster Herkunft, Milieus und kultureller Prägungen ganz selbstverständlich zusammen. Das sind keineswegs nur Problemzonen, oft ganz im Gegenteil - Orte einer „globalen Geschwisterlichkeit“, so Glettler: „In der Einheit und Vielfalt zeigt Gott sein Gesicht.“

Plädoyer für umfassende Synodalität


Bischof Glettler betont, dass die aktuellen Verschärfungen wieder die ohnehin schon Belasteten besonders treffen würden: Alleinerziehende, Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, Armutsgefährdete, Pflegende, chronisch Kranke und Sterbende. Nicht zu vergessen seien die vielen, die mit großen betriebswirtschaftlichen Sorgen kämpfen oder ihre Arbeit verloren haben.

Angesichts dieser Entwicklungen verbiete sich Selbstmitleid. Aufmerksamkeit und Zuwendung seien vielmehr notwendig, so Glettler und im Blick auf die Kirche: „Keinesfalls dürfen wir uns als Kirche hinter einem Physical Distancing verstecken, auch nicht hinter Verordnungen.“ Ebenso unangebracht sei es, in erster Linie über die finanziellen Einbußen der Kirche zu klagen. Die uns leitende Frage muss lauten: Wie können wir in dieser spezifischen Situation für die Menschen da sein? Herzblut und Kreativität sind mehr denn je gefragt. Auch Glaubenskraft.

Jede ernst gemeinte Nachfolge Jesu sei eine umfassende „Weg-Gemeinschaft“, die niemanden ausschließt, betont der Bischof. Er plädiert in diesem Zusammenhang für eine „umfassende Synodalität“ und versteht darunter ein „Sich-Verbünden und innerliches Anteilnehmen am Lebensschicksal von Menschen“.

Glettler verweist auf das Papstschreiben Evangelii Gaudium, in dem es über eine solche barrierefreie Synodalität heißt: „Spüren wir die Herausforderung, die Mystik zu entdecken und weiterzugeben, die darin liegt, zusammenzuleben, uns unter die anderen zu mischen, einander zu begegnen, uns in den Armen zu halten, uns anzulehnen, teilzuhaben an dieser etwas chaotischen Menge, die sich in eine wahre Erfahrung von Brüderlichkeit verwandeln kann, in eine solidarische Karawane, in eine heilige Wallfahrt.“

Überall sei es möglich, intensive Momente der Freude und der Trostlosigkeit mit den unmittelbar Nächsten zu teilen, so Glettler: „In der eigenen Nachbarschaft müssen sich die großen Worte bewähren. Authentischer Trost stellt sich dann ein, wenn wir uns füreinander öffnen und den Resonanzraum unseres Herzens weit auftun. Ja, tröstende Menschen braucht das Land, Menschen, die ihre eigenen Verwundungen nicht verstecken. Sie verdrängen auch ihr eigenes Versagen nicht, weil sie um die heilende Kraft von Versöhnung und Neubeginn wissen. Damit wirken sie entlastend.”

 

(kap – pr)

 

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26. Oktober 2020, 10:48