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Kinderarbeit in einer Ziegelfabrik in Pakistan Kinderarbeit in einer Ziegelfabrik in Pakistan  ((c) Missio Österreich)

Tag gegen Kindersklaverei am 16. April: Bewusstsein schaffen

Um Kindersklaverei zu beenden, muss man den betroffenen Familien alternative Verdienstmöglichkeiten erschließen. Das betont am Internationalen Tag gegen Kindersklaverei im Interview mit Radio Vatikan der Chefredakteur des österreichischen missio-Magazins „allewelt“, Christoph Lehermayr. Er hat selbst in verschiedenen Ländern das Phänomen der Kindersklaverei recherchiert und dabei feststellen können, welch wertvolle Dienste die katholische Kirche für die Betroffenen leistet.

Christine Seuss - Vatikanstadt

„Der 16. April ist ein gut gewählter Tag, wie ich finde, denn es ist der Todestag eines gewissen Iqbal Masih, eines pakistanischen Jungen, der ein Schuldknecht war. Im Alter von nur vier Jahren wurde er an den Besitzer einer Teppichfabrik verkauft, wo er auf unglaubliche Art und Weise ausgebeutet und sogar teilweise an den Webstuhl angekettet wurde und in dieser Teppichfabrik stundenlang arbeiten musste“, berichtet Lehermayr von dem „eigentlich sehr typischen Schicksal“ des kleinen Schuldknechts, das auf Ende der 80er und Beginn der 90er Jahre zurückgeht. Dank der Hilfe einer NGO konnte der Junge mit zehn Jahren – und nach zahlreichen vergeblichen Fluchtversuchen - aus der Schuldknechtschaft befreit werden.

Zum Nachhören - was Christoph Lehermayr sagt

„Und besonders tragisch ist, dass er nur zwei Jahre später ums Leben kam, erschossen wurde. Das ist genau am 16. April, nämlich am 16. April 1995, geschehen, und es ist bis heute nicht ganz klar, wer ihn erschossen hat. Es ist aber anzunehmen, dass es in Zusammenhang mit seiner Schuldknechtschaft stand.“ Denn Iqbal Masih war unbequem geworden, berichtete auch vor internationalem Publikum über das Phänomen der Schuldknechtschaft und Kindersklaverei - nicht nur – in seinem Land. Posthum wurde er für seinen Einsatz, der ihn vermutlich auch das Leben gekostet hatte, mit wichtigen Auszeichnungen geehrt.

Zwar habe sich die Situation dank der stärkeren Bewusstseinsbildung verbessert, meint Lehermayr, der selbst in betroffenen Gebieten recherchiert hat: „Trotzdem ist auch in Pakistan die Lage weiterhin prekär. Wir haben es in diesen Ländern mit stark wachsenden Bevölkerungszahlen zu tun; mit Ländern, in denen Armut immer noch weitverbreitet ist und in dem solche Phänomene bis heute ebenso weitverbreitet sind.“

Christoph Lehermayr mit dem kleinen Saim, der dank der Caritas aus der Kinderarbeit befreit werden konnte - und sein eigenes Coverbild in den Händen hält
Christoph Lehermayr mit dem kleinen Saim, der dank der Caritas aus der Kinderarbeit befreit werden konnte - und sein eigenes Coverbild in den Händen hält

Ausbeutung und Kinderarbeit weitverbreitet...

Generell sei die Zahl der Kinder, die in sklavenähnlichen Zuständen leben und ausgebeutet werden, weltweit zurückgegangen. Doch noch immer seien - so die letzten Schätzungen der Kinderhilfsorganisation UNICEF - rund 160 Millionen Kinder weltweit betroffen. Vor allem in Ländern wie Pakistan sei besonders die christliche Minderheit betroffen, gehöre diese doch der untersten Schicht der Gesellschaft an, wo Ausbeutung und Kinderarbeit naturgemäß weitverbreitet seien, gibt Lehermayr zu bedenken:

„Ich war für Recherchen für unser missio-Magazin ,allewelt‘ in Pakistan und habe mich mit diesem Problem der Schuldknechtschaft und der Ausbeutung beschäftigt. Besonders in den Ziegelfabriken ist es gang und gebe, dass Kinder beim Klopfen und beim Machen dieser Ziegel eingesetzt werden.“ Damals habe er einen fünfjährigen Jungen, Saim, getroffen, dessen Bild dann auch auf dem Cover des missio-Magazins landete. Seine Geschichte sei praktisch ein Beispielfall, wie es gelingen könne, derart missbrauchte  Kinder aus diesen prekären Verhältnissen zu befreien, berichtet Lehermayr, der für die damaligen Recherchen in der Region Punjab unterwegs war.

Ein Erfolgserlebnis

„Ich habe diese Ziegelei besucht, in der hunderte christliche Familien arbeiteten, die Tag für Tag nichts anderes tun, als unter verheerenden Verhältnissen Ziegel zu machen. Diesem Jungen, den ich besucht habe, ist es dank der Hilfe der örtlichen Caritas gelungen, wie viele dieser Kinder in die Schule zu kommen. Das ist ja das Essenzielle, denn der Schritt aus der Schuldknechtschaft ist ja nur dann möglich, wenn diese Kinder in die Schule gehen können, dort Bildung erwerben - und wenn damit sichergestellt ist, dass zumindest die nächste Generation ein besseres Leben hat.“

Zwei Jahre später habe er denselben Jungen wieder getroffen, der mittlerweile ein „richtiger Schulbub“ geworden sei und der dank der Caritas-Arbeit gemeinsam mit hunderten weiteren Kindern aus prekären Verhältnissen nachmittags die Schule besuchen konnte, erinnert sich Lehermayr. „Und das war dann schon dieser Strahl der Hoffnung, der auch möglich ist! Es ist eine Arbeit im Kleinen, die gerade von kirchlichen Organisationen in vielen Teilen der Welt gemacht wird.“

Christoph Lehermayr bei der Recherche in einer Kobaltmine im Kongo
Christoph Lehermayr bei der Recherche in einer Kobaltmine im Kongo

Ein weiteres Beispiel für diese vorbildliche Arbeit habe er auch in der Demokratischen Republik Kongo in den Kobaltminen von Kolwezi erlebt. Kobalt ist ein Metall, das in Elektroautos, Batterien, Smartphones und vielen weiteren Produkten für den westlichen Markt eingesetzt wird.

„Und auch dort ist Kinderarbeit weitverbreitet. Kinder, die in Minen hinuntersteigen und nach diesem Metall schürfen. Eine sehr gefährliche Arbeit, sehr ausbeuterische Verhältnisse. Und dort sind zum Beispiel die Schwestern vom Guten Hirten auf erstaunliche Weise aktiv. Sie haben sieben Schulen gegründet, und sie sind mit diesem Angebot Tag für Tag in den Minen unterwegs, wo es darum geht, die Eltern zu überzeugen, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Und das geht natürlich nur, wenn man auch den Eltern ein Alternativangebot macht. Wenn man also alternative Einkommensformen für die Eltern schafft. Und genau das tun die Schwestern vom Guten Hirten. Sie haben dann noch Agrarprojekte, wo die Eltern zu Geld kommen können. Und das ist dann der erste Schritt, wo sie sagen: ja, es ist möglich, dass mein Kind dann in die Schule geht. Keine der Eltern, die ich getroffen habe, wollten ja eigentlich, dass die Kinder schon mitarbeiten müssen. Sie haben einfach keine andere Wahl. Und um diese Wahl geht es, um diese alternativen Formen von Einkommen, die möglich sind.“

Die Good Sheperd Sisters in der Demokratischen Republik Kongo
Die Good Sheperd Sisters in der Demokratischen Republik Kongo

Nicht nur in Pakistan, sondern auch in Indien und der Demokratischen Republik Kongo habe er die Erfahrung gemacht, dass es gerade die vielen kirchlichen Organisationen und Orden seien, denen es durch aufopfernde Arbeit vor Ort gelinge, diese Alternativen zu schaffen, zeigt sich Lehermayr beeindruckt. Doch für diese Arbeit brauche es auch viel Mut, komme es doch immer wieder zu Repressalien gegen diejenigen, die sich gegen das mafiöse System der Schuldknechtschaft auflehnten: „Und wie zum Beispiel diese Ordensschwestern im Kongo aktiv sind und versuchen, diese Kinder aus dieser Leibeigenschaft herauszubringen, ist sehr erstaunlich und beeindruckend und etwas, was sehr viel Mut erfordert. Und das kann, glaube ich, an vielen Orten dieser Welt beobachtet werden. Im persönlichen Gespräch haben mir diese Organisationen und all diese Orden auch gesagt, dass das ja sie auch tun in Nachfolge Jesu - dass das also etwas ist, das für sie ganz entscheidend ist: nämlich praktisches Leben und praktisches Tun, um sich für Kinderrechte einzusetzen.“

Kinderarbeit in der Kobaltmine in Kolwezi
Kinderarbeit in der Kobaltmine in Kolwezi

Besonders wichtig, um sich diesem Phänomen gemeinsam entgegenzustellen, sei zunächst einmal die Bewusstseinsbildung für das Problem selbst, hätten ihm viele, die in diesem Bereich aktiv seien, ans Herz gelegt, so Lehermayr weiter: „Ein erster Schritt ist gesetzt worden über dieses Lieferketten-Gesetz, das ja vor kurzem vom Europäischen Parlament beschlossen wurde. Auch da wird es in der Praxis nicht immer leicht sein, den Ursprung des Materials festzustellen, weil es ja vom Erzeuger bis zum Verkäufer oft viele Zwischenschritte gibt. Und ich glaube, es ist nicht immer nachvollziehbar. Aber man kann natürlich eine grundsätzliche Skepsis an den Tag legen: Zum Beispiel im Bereich Kleidung, wenn T-Shirts um drei, vier, fünf Euro angeboten werden, ist zu hinterfragen, woher das kommt. Und ich glaube, das ist der erste Schritt.“

Ein zweiter Schritt könne dann in konkreter Unterstützung für die Organisationen bestehen, die vor Ort das Phänomen bekämpften, gibt Lehermayr zu bedenken:

„Es gibt viele kirchliche Einrichtungen, die sich Tag für Tag einsetzen und wirklich Großartiges leisten, um die Kinder in die Schule zu bringen. Und das fängt ja bei den Eltern an. Die Eltern brauchen alternative Einkommensformen, damit sie überhaupt in die Lage kommen, ihre Kinder nicht länger heranzuziehen für diese Arbeiten. Und ich glaube, wenn man diese kirchlichen Einrichtungen dabei unterstützt, dass sie Schulen schaffen, dass sie alternative Einkommen schaffen - so wie zum Beispiel diese Schwestern vom Guten Hirten, die Caritas und viele andere, auch wir, Missio Österreich -, dann ist das ein sehr guter Schritt, wie man dafür sorgen kann, dass weniger Kinder ausgebeutet werden, dass weniger Kinder in Schuldknechtschaft enden und dass mehr Kinder eine Schulbildung bekommen. Und diese Schulbildung ist immer noch der beste Weg, um sie aus diesen Formen der Ausbeutung herauszubringen.”

(vaticannews)

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16. April 2024, 11:50