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Präsident Macron (l.) 2018 mit dem damaligen Pariser Erzbischof Aupetit Präsident Macron (l.) 2018 mit dem damaligen Pariser Erzbischof Aupetit  (AFP or licensors)

Frankreich: Bischöfe warnen eindringlich vor Sterbehilfe

Die französische Regierung will unter bestimmten, klar geregelten Umständen aktive Sterbehilfe und Beihilfe zum Selbstmord erlauben. Zum Gesetzesvorhaben, das Präsident Emmanuel Macron auf den Weg gebracht hat, finden derzeit Anhörungen statt.

Und so kamen am Mittwoch auch Bischöfe vor der parlamentarischen Kommission zu Wort, die sich mit dem Gesetzesprojekt zur „fin de vie“ beschäftigt. Die Oberhirten haben gerade erst eine wichtige Schlacht verloren: Gegen ihren Widerstand ist ein Recht auf Abtreibung in der französischen Verfassung verankert worden. Jetzt kämpfen sie für den Wert des Lebens kranker und alter Menschen – gegen Sterbehilfe, für mehr Palliativmedizin.

„Zunächst haben wir vor den Abgeordneten darauf hingewiesen, dass wir es hier mit einer komplexen, schwierigen und heiklen Frage zu tun haben“. Das sagt Vincent Jordy, Erzbischof von Tours und Vizepräsident der französischen Bischofskonferenz, in einem Gespräch mit Radio Vatikan nach der Anhörung im Parlament.

‚Du sollst nicht töten‘

„Aber aus unserer Sicht ist das Wesentliche, dass dieses Gesetzesprojekt eine Art anthropologischen Umschwung versucht. Es gibt ein strukturierendes Verbot unserer Zivilisation, das ‚Du sollst nicht töten‘ lautet und das auch im Mittelpunkt des hippokratischen Eides steht. Im französischen System wird nun eine Art Ungleichgewicht im Umgang mit dem Tod geschaffen; darüber sind wir sehr besorgt, da uns dieses Gesetz doch als ein Gesetz des Ausgleichs präsentiert wird. Wir haben darauf hingewiesen, dass dieses Ungleichgewicht zu einer Reihe von mittel- und langfristigen Problemen führen kann, die heute schon in Ländern zu beobachten sind, die die Sterbehilfe legalisiert oder entkriminalisiert haben, wie Kanada, Belgien und Holland.“

Frankreich: Bischöfe kritisieren Gesetzesvorhaben zu aktiver Sterbehilfe - Radio Vatikan

Was die Bischöfe fürchten, ist ein „Abgleiten“, eine Rutschbahn in eine Gewöhnung an die Euthanasie, eine „Banalisierung“. Jordy fürchtet auch das, was seiner Beobachtung nach in Kanada eingetreten sei, nämlich ein „wirtschaftsliberales Abdriften, ein Herangehen an die Frage vor allem unter finanziellen Gesichtspunkten“. In der parlamentarischen Kommission habe man den Bischöfen versichert, „dass in Frankreich sehr strenge Kriterien gelten werden und dass es niemals zu Auswüchsen kommen wird“. Aber es macht die Bischöfe misstrauisch, dass im Gesetzentwurf nur, einigermaßen euphemistisch, von einer „Hilfe zum Sterben“ die Rede ist.

Unklare Redeweise - am Rand zur Manipulation

„Es wird nicht klar gesprochen. Es gibt sogar Wörter, bei denen man das Gefühl hat, dass ihre Bedeutung verändert wurde, damit sie Dinge sagen, die sie nicht sagen wollen. Zunächst einmal fehlen das Wort Euthanasie und der Ausdruck ‚assistierter Suizid‘ im Text. Pflegekräfte, Juristen, der Staatsrat, alle weisen darauf hin, dass da die entscheidenden Worte fehlen. Und dann gibt es da noch das berühmte Wort ‚Brüderlichkeit‘. Man spricht von Gesten, die Gesten der Brüderlichkeit sein sollen. Die Bedeutung dieses Wortes wird auf eine begrenzte, utilitaristische Sicht von Solidarität reduziert… Wir haben es hier wirklich mit einer Nebelwand zu tun, denn das, was man sagen will, sagt man nicht wirklich. Und das, was man sagen müsste, wird nicht gesagt: dass nämlich diese umgedeutete republikanische Brüderlichkeit das Recht auf Tötung erlauben würde. Da befinden wir uns manchmal, vielleicht, sogar am Rande der Manipulation.“

Aber was meinen die Bischöfe, was meint Erzbischof Jordy, wenn er durch das Gesetz zum Lebensende „eine Art Ungleichgewicht im Umgang mit dem Tod“ befürchtet? Um diese Frage zu beantworten, verweist er auf Länder, in denen Sterbehilfe und assistierter Suizid längst legal sind.

Rutschbahn zur Banalisierung von Euthanasie

„In Belgien ist man innerhalb von zehn Jahren von sehr strengen Kriterien - es handelte sich nur um volljährige Personen - zu minderjährigen Personen übergegangen. Inzwischen sind in Belgien sogar Kinder betroffen! Zweitens haben wir gesehen, dass die Überwachung, wie das Gesetz zum Lebensende in Belgien angewandt wird, sehr kompliziert ist; trotz des bestehenden, geregelten Verfahrens findet in Belgien etwa ein Drittel der Sterbehilfe heimlich statt, und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Belgien gerade wegen dieser mangelnden Kontrolle gerügt. In Kanada wiederum hat man einen Effekt beobachtet, den wir für äußerst problematisch halten: Je mehr für die Sterbehilfe geworben wird, desto mehr verschwindet die Palliativmedizin, und nach und nach wird sie ausgeblendet.“

Das Gesetz zum Lebensende werde in Frankreich vollmundig als ein „Gesetz der Freiheit“ bezeichnet. Doch das hält der Erzbischof für Getrickse; in Wirklichkeit werde man mit diesem Gesetz bald feststellen, dass es keine Freiheit mehr gebe.
„Ganz einfach, weil man dann nicht mehr die Wahl hat. Damit es Freiheit gibt, muss es eine Wahl geben. Wenn Sie nur noch die Euthanasie zur Auswahl haben, weil die palliativmedizinische Versorgung nach und nach mangelhaft geworden ist, haben Sie keine Wahl mehr! Außerdem wird die Freiheit zutiefst verletzt, wenn man die Euthanasie banalisiert und diese morbide Mentalität so sehr um sich greift, dass die Menschen das Gefühl haben, die einzige Lösung für sie bestehe darin, ja zur Euthanasie und zum assistierten Suizid zu sagen. Wir sollten sehr vorsichtig sein. Was wir derzeit mit Blick auf Kanada und in gewisser Weise auch Belgien auf uns zukommen sehen, beunruhigt uns sehr.“

Für einen Gewissensvorbehalt

Er habe die Parlamentarier auch auf die „wirtschaftsliberale Dimension des Themas“ angesprochen, berichtet der Erzbischof. Das habe die Abgeordneten ziemlich verärgert. Und er nehme ihnen ja auch ab, dass sie es nicht darauf abgesehen hätten. Aber nach einer Weile stelle sich nun mal in einem Land, in dem Euthanasie erlaubt sei, folgender Gedanke ein: Es ist so teuer, sterbenskranke Menschen am Leben zu halten, wie kann man diese Investitionen rechtfertigen? Da ist sie, die „Rutschbahn“, die „Banalisierung der Sterbehilfe“. Erzbischof Jordy erinnert demgegenüber an den hippokratischen Eid, den jeder Arzt ablegt.

„Ich kann mir gut vorstellen, dass es in der Ärzteschaft viel Unbehagen gegenüber diesem Gesetzesvorhaben gibt. Wir wollen eine Gewissensklausel für Pfleger und sogar eine institutionelle Gewissensklausel in bestimmten Krankenhäusern, in Altersheimen und in Pflegeheimen… Wir sind der Meinung, dass es unbedingt möglich sein muss, eine solche Gewissensklausel zu haben.“

Bischöfe wollen am Thema dranbleiben

Auf ihrer Frühjahrsvollversammlung in Lourdes hat die Bischofskonferenz vier Bischöfe beauftragt, eng an dem Thema dranzubleiben. „Wir treffen uns alle zwei Monate mit Akteuren, die mit der Frage des Lebensendes zu tun haben: Ärzten, Pflegeverbänden, Juristen, Bloggern und Ethikern. Dabei denken wir darüber nach, wie wir Einfluss auf diese Debatte nehmen können. Wir wollen auch einen Schulterschluss mit den anderen Kirchen und Religionen erreichen. Und wir wollen diese Debatte nicht nur kurz-, sondern längerfristig prägen. Darauf hinweisen, was in Ländern wie Kanada, Belgien, Holland oder auch der Schweiz passiert. Überlegen, wie Frankreich vor bestimmten Versuchungen und Verschiebungen oder vor vermeintlichen ‚Fortschritten‘ bewahrt werden kann. Es ist nicht klar, wie wir bestimmte Verschiebungen verhindern sollen, die äußerst dramatische Folgen haben könnten.“

(vatican news – sk)
 

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26. April 2024, 10:33