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Abtreibungsgegner am Montagabend in Versailles Abtreibungsgegner am Montagabend in Versailles  (AFP or licensors)

Frankreich: Ein schwarzer Tag für den Lebensschutz

Als erstes Land der Welt hat Frankreich am Montagabend ein Recht auf Abtreibung in seiner Verfassung verankert. Während der Pariser Eiffelturm speziell angestrahlt wurde, um das Votum zu feiern, reagiert die Kirche mit Trauer.

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Es war das erste Mal in der Geschichte, dass der Kongress aus beiden Kammern des französischen Parlaments von einer Frau geleitet wurde. Yael Braun-Pivet, Präsidentin der „Assemblé Nationale“, verlas am Ende der Sondersitzung in Versailles das Abstimmungsergebnis: 780 Ja- gegen nur 72 Nein-Stimmen, das war eine deutliche Mehrheit quer durch die Fraktionen.

„Unsere Gegenwart muss heute auf die Geschichte antworten“, mit diesem Satz hatte der junge Premierminister Gabriel Attal die Debatte eröffnet. Alle Redebeiträge an diesem Abend boten das menschenrechtliche Pathos auf, das für die französische Politik kennzeichnend ist.

Beifall nach der Abstimmung im Kongress aus beiden Kammern des Parlaments
Beifall nach der Abstimmung im Kongress aus beiden Kammern des Parlaments

„Akt von beispielloser rechtlicher und politischer Tragweite“

„Noch letzte Woche dachten viele, dass dieser Kongress nicht stattfinden, dass die konservative Richtung stärker sein würde“, sagte Mélanie Vogel, Senatorin des „Groupe Ecologiste“. „Und doch sind wir hier! Mit diesem Akt von beispielloser rechtlicher und politischer Tragweite erkennt die Französische Republik heute feierlich an, dass das Recht auf Abtreibung nicht länger eine Option ist. Es ist eine Voraussetzung für unsere Demokratie! Es gibt keine vollständig demokratische, freie und gleichberechtigte Gesellschaft, wenn sie Frauen die Kontrolle über ihr Schicksal verwehrt oder das Recht der Frauen, über ihren Körper zu bestimmen, nicht garantiert. Möge die Französische Republik von nun an nie mehr eine Republik ohne das Recht auf Abtreibung sein!“

Nach Umfragen unterstützen achtzig Prozent der Franzosen das Festschreiben einer „Freiheit zur Abtreibung“ in der Verfassung. An die Spitze dieser Bewegung hat sich Präsident Emmanuel Macron gesetzt; er feierte das Votum auf X mit „französischem Stolz“ als „universelle Botschaft“. Bestürzung hingegen beim Bischof von Nanterre, Matthieu Rougé, der zum Ständigen Rat der Bischofskonferenz gehört.

Sonderbeleuchtung am Eiffelturm
Sonderbeleuchtung am Eiffelturm

Starker Druck auf die Parlamentarier

„Ich habe mit vielen Parlamentariern gesprochen, die dieser Verfassungsreform grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen, entweder aus inhaltlichen Gründen oder weil, wie der Präsident des Senats zum Beispiel sagte, die Verfassung ihrer Meinung nach etwas anderes sein sollte als ein Katalog gesellschaftlicher Rechte.“ Das sagte Rougé kurz vor der Abstimmung im Interview des katholischen Senders kto. „Ich habe jedoch festgestellt, dass sie von einer Art globaler Medienlogik erfasst wurden, in der jede Person, die gegen die Reform vorgehen wollte, als ‚altmodisch‘ abgetan wurde. Das machte es ihnen schwer… Ich finde es auffallend, wenn ich höre, wie mir einige Parlamentarier sagen, dass sie sozusagen unter Druck von außen gestanden haben. Nicht unbedingt unter unmittelbarem, konkretem Druck, sondern unter dem Druck einer Art globaler Atmosphäre. Das hat sie letztendlich davon abgehalten, in Freiheit zu dem zu stehen, was sie in sich tragen.“

Tatsächlich waren die Töne in der Versailler Debatte ausgesprochen kämpferisch für das Ja zur Verfassungsänderung. Auch wenn draußen vor den Toren Abtreibungsgegner demonstrierten. Elsa Faucillon, Abgeordnete der linken Allianz Nupes: „Denjenigen, die uns Plastikföten und Broschüren geschickt haben, in denen Abtreibung mit Mord verglichen wird, sei gesagt: Sie haben damit die Kraft der Feministinnen verzehnfacht! Machen Sie sich klar, dass Sie verloren haben!“

Parlamentspräsidentin Braun-Pivet mit Premierminister Attal nach dem Votum
Parlamentspräsidentin Braun-Pivet mit Premierminister Attal nach dem Votum

„Feministinnen werden jetzt nicht in Urlaub fahren“

Laurence Rossignol, sozialistische Senatorin: „Was werden wir jetzt tun? Werden die Feministinnen jetzt endlich in Urlaub fahren? Träumen Sie nicht davon! Nein, wir werden weitermachen. In erster Linie werden wir für alle Frauen weitermachen, die Hunderte von Millionen auf der Welt, die nicht so viel Glück haben wie wir und die keinen Zugang zu Abtreibung haben. Wir werden weitermachen für diejenigen, die sich Trump, Bolsonaro, Orbán, Milei, Putin und Meloni widersetzen.“ Dafür gab es von den meisten Anwesenden stehenden Applaus. Man konnte nachgerade froh sein, dass die linke Politikerin nicht auch Papst Franziskus in ihre Liste aufgenommen hatte. Der Vatikan hat noch am Montag mit Bestürzung auf das Votum von Versailles reagiert.

Frankreich nimmt Recht auf Abtreibung in seine Verfassung auf - ein Bericht von Radio Vatikan

Es war ein Gesetz von 1975, das Abtreibung in Frankreich straffrei gemacht hat – vier Jahre nach einem aufsehenerregenden Appell von über 300 Frauen, unter ihnen die Autorin Simone de Beauvoir und die Schauspielerin Catherine Deneuve. „Das Gesetz von 1975 war der Ausdruck einer Möglichkeit in einer Notsituation“, sagt Bischof Rougé. „Natürlich kann man über dieses Gesetz diskutieren, aber heute ist man dazu übergegangen, den freiwilligen Schwangerschaftsabbruch zu einem Grundrecht, ja sogar zu dem Grundrecht schlechthin zu machen. Es gibt eine Art Umkehrung der Werte, und die Aufnahme dieses Rechts in die Verfassung verstärkt diese Umkehrung der Werte nur noch mehr.“

Bischof Rougé von Nanterre (rechts) mit Amtsbrüdern
Bischof Rougé von Nanterre (rechts) mit Amtsbrüdern

„Da dürfen wir uns nicht über die Gewalt in unserer Gesellschaft wundern“

Der Bischof von Nanterre macht sich Sorgen darüber, dass die Fliehkräfte in der französischen Gesellschaft immer stärker werden und das gesellschaftliche Gewebe unter Druck setzen. „Wissen Sie – ich bin, wie alle anderen auch, frappiert angesichts der zunehmenden Gewalt in unserer Gesellschaft. Die Zahl der Morde vervielfacht sich, das haben die letzten Wochen gezeigt; wir wechseln von einer sogenannten gesellschaftlichen Reform zur nächsten, aber das das Leben wird nicht mehr geehrt und respektiert! Da dürfen wir uns nicht über die Gewalt in unserer Gesellschaft wundern. Sie geht einher mit den Gewalttätigkeiten, den aufeinanderfolgenden ethischen Überschreitungen, die in unserem Gesetz im Allgemeinen und jetzt auch in unserer Verfassung verankert sind.“

Abtreibungsgegner in Versailles
Abtreibungsgegner in Versailles

Weiße Rosen

Ein Recht auf Abtreibung in die Verfassung aufzunehmen, ist nach Ansicht von Bischof Rougé „rein ideologisch“. „Ich erinnere mich an eine parlamentarische Debatte, in der eine Ministerin sagte: ‚Hören Sie auf zu wiederholen, dass Abtreibung ein Drama ist – damit machen Sie den Frauen Schuldgefühle. Sie ist ein Grundrecht!‘ Nun stelle ich aber auch als Seelsorger fest, dass viele Frauen, die aus dem einen oder anderen Grund eine Abtreibung vorgenommen haben, sehr wohl ein Leiden mit sich herumtragen und danach streben, dass man ihnen zuhört und ihr Leiden anerkennt. Und eine Gesellschaft, die nicht anerkennt, was an so einer Episode im Leben einer Frau dramatisch und verletzend sein kann – eine solche Gesellschaft respektiert die Rechte der Frauen nicht wirklich.“

In Versailles legten am Montagabend Abtreibungsgegner weiße Rosen vor ausgedruckten Bildern von Embryonen nieder. Am Pariser Trocadéro feierten derweil Befürworter der Verfassungsänderung; die Debatte ließ sich dort auf einem Riesenbildschirm mitverfolgen. Etwa 29 Prozent der Franzosen sind katholisch; zweitstärkste religiöse Gruppe ist mit zehn Prozent der Islam.

(vatican news)

Die Sitzung beider Kammern des Parlaments in Versailles
Die Sitzung beider Kammern des Parlaments in Versailles

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05. März 2024, 12:54