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Palästinensische Flüchtlingskinder auf dem Gelände einer durch UNRWA betriebenen Schule in Beirut Palästinensische Flüchtlingskinder auf dem Gelände einer durch UNRWA betriebenen Schule in Beirut  (AFP or licensors)

Palästinenser-Hilfswerk: Mittel reichen nicht mehr lange

Mehrere Mitarbeiter des UN-Palästinenserflüchtlingshilfswerk UNRWA sollen sich aktiv am Terroranschlag gegen Israel am 7. Oktober beteiligt haben. Während die UNO den Vorwürfen mit einer Untersuchungskommission nachgeht, lenkt die Vertreterin des Palästinenser-Hilfswerks in Europa den Blick darauf, dass mit der Aussetzung der Finanzierung bald Millionen von Menschen ohne Hilfe dastehen werden.

Devin Watkins und Christine Seuss - Vatikanstadt

„Wenn die Geber ihre Entscheidung zur Aussetzung der Mittel nicht rückgängig machen, bedeutet dies, dass wir bis Ende Februar nicht mehr in der Lage sein werden, lebensrettende Hilfe für mehr als zwei Millionen Menschen zu leisten“, sagt im Interview mit Radio Vatikan Marta Lorenzo, Direktorin des UNRWA-Vertretungsbüros für Europa. Mehrere Geberländer hatten die Finanzierung des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten ausgesetzt, weil UNRWA-Mitarbeiter an dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein sollen, der den Krieg zwischen Israel und der Hamas im Gazastreifen auslöste. Israel hatte die Vorwürfe am 26. Januar publik gemacht.

Umgehende Reaktion des UNRWA-Chefs

UNRWA-Chef Philippe Lazzarini hatte die Verträge der beschuldigten Mitarbeiter umgehend gekündigt und eine Untersuchung der Vorwürfe gefordert. Mindestens 16 Länder haben unterdessen die Finanzierung des UNRWA pausiert, darunter die Vereinigten Staaten und Deutschland, die zusammen 546 Millionen Dollar des Jahreshaushalts des Hilfswerks von 1,16 Milliarden Dollar beisteuern. Wie Deutschland als zweitgrößter Geldgeber nach den USA jüngst erklärte, werde man bis auf absehbare Zeit keine neuen Finanzmittel zur Verfügung stellen – allerdings stünde derzeit auch keine neue Zusagerunde an.

„Als humanitäre UN-Organisation betonen wir immer wieder, dass wir bei solchen Vorfällen keinerlei Toleranz walten lassen“

„Zunächst möchte ich klarstellen, dass einige Länder angekündigt haben, ihre Finanzierung einzufrieren oder zu stoppen“, erläutert Lorenzo. „Das bedeutet nicht zwangsläufig eine Kürzung. Aber in der Praxis würde es bedeuten, dass die Menschen in Gaza, die so verzweifelt sind – wir sprechen über mehr als eine Million Menschen, die in unseren Einrichtungen Zuflucht suchen, weil sie wissen, dass wir das Rückgrat der humanitären Hilfe in Gaza sind - es würde bedeuten, wenn die Geber ihre Entscheidung zur Aussetzung der Mittel nicht rückgängig machen, dass wir bis Ende Februar nicht in der Lage sein werden, lebensrettende Hilfe für mehr als zwei Millionen Menschen zu leisten. Und wenn wir noch weiter gehen, wenn wir wissen, dass mehr als die Hälfte von ihnen Kinder sind und davon ausgehen, dass der Konflikt sich weiter verschärft, dann werden wir viele Menschen sehen, die hungern und unter entsetzlichen Bedingungen leben. Das hat schwere Auswirkungen. Und darüber hinaus wirkt UNRWA in der Region, so dass jede Kürzung oder jede Aussetzung der Finanzierung nicht nur Gaza betrifft, sondern auch die Arbeit, die wir in Syrien, Libanon, Jordanien oder der Westbank durchführen.“

Kinder besuchen eine UNRWA-Schule im palästinensischen Flüchtlingslager Mar Elias in Beirut
Kinder besuchen eine UNRWA-Schule im palästinensischen Flüchtlingslager Mar Elias in Beirut

Doch die von Israel vorgebrachten Vorwürfe gegen UNRWA-Mitarbeiter wiegen schwer, dem stimmt auch Marta Lorenzo zu. Die Untersuchung der Vorwürfe werde durch das UN-Büro für interne Aufsicht in New York, ein vom UNRWA unabhängiges UN-Gremium durchgeführt, betont sie.

„Als humanitäre UN-Organisation betonen wir immer wieder, dass wir bei solchen Vorfällen keinerlei Toleranz walten lassen“, unterstreicht sie. Doch die Aussetzung der Finanzierung werde die humanitäre Hilfe und die Bildungsunterstützung des UNRWA für etwa 2,2 Millionen Palästinenser im Gazastreifen sehr bald empfindlich beeinträchtigen. Marta Lorenzo schätzt, dass die Mittel Ende Februar auslaufen werden.

Stabilität für die Region

Das UNRWA bietet Millionen von Palästinensern in Palästina, Libanon, Jordanien und Syrien lebensrettende Dienste und Unterstützung, darunter Nahrungsmittelhilfe, Unterkünfte, Bildung, Wasser, sanitäre Einrichtungen und Hygiene, wie es auf der Website der Organisation heißt. Marta Lorenzo weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass die Arbeit des UNRWA zur Aufrechterhaltung der Stabilität im gesamten Nahen Osten beitrage: „Wenn ich von Bildung spreche, dann meine ich damit die Ausbildung von mehr als einer halben Million Kinder, soziale Dienste für die Ärmsten der Armen, die mit weniger als 1,80 Dollar pro Person und Tag auskommen müssen.“

Das UNRWA sei eine „sehr alte“ UN-Agentur, die 1949 mit dem „sehr klaren Auftrag“ gegründet wurde, palästinensische Flüchtlinge zu unterstützen, die durch den arabisch-israelischen Krieg von 1948 vertrieben wurden, so Lorenzo: „Unsere Arbeit ist über Gaza hinaus sehr, sehr wichtig“, wiederholt Marta Lorenzo abschließend. „Sie ist sehr wichtig, um die Stabilität in der Region zu erhalten.“

Externe und interne Untersuchung

Wie UN-Generalsekretär Antonio Guterres am Montag mitteilen ließ, sei auch eine UN-unabhängige Untersuchungsgruppe zu den Vorwürfen gegen zwölf UNRWA-Mitarbeiter eingesetzt worden. Geleitet wird die Expertengruppe von der früheren französischen Außenministerin Catherine Colonna, die von 2020 bis 2023 an einer Nahost-Friedensinitiative gemeinsam mit Deutschland, Jordanien und Ägypten - dem sogenannten Kleeblatt-Format - mitwirkte. Das Gremium soll überprüfen, ob UNRWA über die nötigen internen Kontrollmechanismen verfügt, um Neutralität zu gewährleisten und auf Hinweise zu reagieren, dass Grundsätze der Vereinten Nationen möglicherweise verletzt wurden. Es soll auch feststellen, ob diese Mechanismen im vorliegenden Fall versagten und was in Zukunft verbessert werden müsste.

Ein Zwischenbericht soll bis Ende März vorliegen, Ende April wird der Abschlussbericht erwartet. Das Gremium, das auch auf die Mitarbeit von drei Forschungseinrichtungen zählen kann (das Raoul-Wallenberg-Institut in Schweden, das norwegische Christian-Michelsen-Institut und das Dänische Institut für Menschenrechte), soll seine Arbeit am kommenden Aschermittwoch (14.2.) aufnehmen. Das Palästinenser-Hilfswerk UNRWA leistet mit 13.000 Mitarbeitern humanitäre Hilfe für rund zwei Millionen Menschen im Gazastreifen. Kommenden Montag wird der Generalkommissar des Hilfswerks, Philippe Lazzarini, bei einem Treffen der EU-Entwicklungsminister in Brüssel erwartet.

(vatican news/kna - cs)

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06. Februar 2024, 13:35