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Nach einem israelischen Luftschlag auf Gaza Nach einem israelischen Luftschlag auf Gaza  (AFP or licensors)

Pizzaballa: „Ich befürchte einen sehr langen Krieg“

Er hatte schon lange einen Ausbruch von Gewalt befürchtet – jetzt sieht sich der Lateinische Patriarch von Jerusalem auf schreckliche Weise in seiner Sorge bestätigt.

Roberto Cetera – Vatikanstadt

Kardinal Pierbattista Pizzaballa ruft in einem Gespräch, das wir an diesem Dienstag mit ihm führten, zu einem Waffenstillstand auf und warnt vor einem sehr langwierigen Krieg.

Interview

Herr Kardinal, Sie konnten jetzt nach Jerusalem zurückkehren. Was haben Sie dort vorgefunden? Was sind Ihre Eindrücke?

„Ich habe es erst gestern (Montag) Abend geschafft, mit Hilfe der zivilen und militärischen Behörden, sowohl der israelischen als auch der jordanischen, zurückzukehren, denn ich bin über Jordanien eingereist. Ich fand ein verängstigtes Land vor, das von den Geschehnissen völlig überrascht ist. Es hatte schon mit einer Zunahme der Gewalt gerechnet, aber sicherlich nicht in dieser Form, in diesem Ausmaß und mit dieser Brutalität. Ich fand auch sehr viel Wut und sehr viel Erwartung vor, ein Wort der Führung, des Trostes und auch der Klarheit über das, was geschieht, zu hören. Kurz gesagt, ich habe ein Land vorgefunden, das sich mit einem Schlag sehr stark verändert hat.“

Kardinal Pizzaballa von Jerusalem
Kardinal Pizzaballa von Jerusalem

Haben Sie konkrete Nachrichten über die Lage der christlichen Gemeinschaft in Gaza?

„Ja, allen geht es dort gut. Bei einigen Familien wurden die Häuser zerstört, aber sie sind in Sicherheit. Sie sind alle in den Räumlichkeiten der Gemeinde und unserer Schule untergebracht – in der Hoffnung, dass diese nicht angegriffen wird. Natürlich stehen sie unter großem Druck. Sie haben Lebensmittelreserven für eine gewisse Zeit, aber wenn die Belagerung weitergeht, würde das zu einem Problem. Im Moment sind wir froh, dass es allen gut geht und sie in den Räumlichkeiten der Gemeinde untergebracht sind.“

In vielen Kommentaren wird auf die Unvorhersehbarkeit der Ereignisse vom letzten Wochenende hingewiesen. Aber Sie warnen schon seit Monaten vor einer Eskalation der Gewalt, davor, dass die Lage außer Kontrolle gerät, so wie jetzt…

„Leider war es einfach, Prophet zu sein. Die Eskalation des Konflikts lag offen vor aller Augen für alle sichtbar. Aber eine Explosion solcher Gewalt, solchen Ausmaßes und solcher Brutalität – das hatte niemand vorhergesehen. Damit kommt jedoch ein Thema auf den Tisch, das bis jetzt auf Eis lag: die palästinensische Frage, die einige vielleicht für archiviert hielten. Solange die palästinensische Frage, die Freiheit, die Würde und die Zukunft der Palästinenser nicht in der nötigen Weise berücksichtigt werden, solange werden die Aussichten auf Frieden zwischen Israel und Palästina immer schwieriger.“

Die Leichname von Israelis, die von Hamas-Terroristen im Kibbuz Kfar Aza ermordet wurden, am Dienstag
Die Leichname von Israelis, die von Hamas-Terroristen im Kibbuz Kfar Aza ermordet wurden, am Dienstag

Es ist angesichts der anhaltenden Kämpfe natürlich schwierig, Vorhersagen zu treffen, aber können Sie mögliche Szenarien für die nächsten Stunden, für die nächsten Tage erkennen?

„Sicherlich ist es sehr schwierig, zu diesem Zeitpunkt Vorhersagen zu treffen. Es ist klar, dass wir uns nicht in einer militärischen Operation befinden, sondern in einem erklärten Krieg. Und ich fürchte, es wird ein sehr langer Krieg sein. Wahrscheinlich wird sich die israelische Antwort nicht auf Bombardierungen beschränken, sondern es wird eine Bodenoperation geben. Es ist klar, dass wir plötzlich in eine neue Phase im Leben dieses Landes und in den Beziehungen zwischen Israel und Palästina eingetreten sind. Wenn man überhaupt von Beziehungen sprechen kann...“

Was möchten Sie der internationalen Gemeinschaft sagen?

„Die internationale Gemeinschaft muss dem Nahen Osten und der israelisch-palästinensischen Frage wieder mehr Aufmerksamkeit schenken, als sie es bisher getan hat. Und sie muss hart daran arbeiten, die Situation zu beruhigen und die Konfliktparteien durch Vermittlungen, die nicht unbedingt öffentlich sein müssen, zur Vernunft zu bringen, denn öffentliche Vermittlungen werden niemals funktionieren. Wir brauchen Unterstützung, um alle Formen der Gewalt zu verurteilen, die Gewalttätigen zu isolieren und unermüdlich auf einen Waffenstillstand hinzuwirken. Denn solange die Waffen sprechen, wird es nicht möglich sein, andere Stimmen zu hören.“

(vatican news – sk)

Eine Solidaritäts-Demo für Israel in Miami am Dienstag
Eine Solidaritäts-Demo für Israel in Miami am Dienstag

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11. Oktober 2023, 09:55