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Rast bei einer Radtour in den Dolomiten Rast bei einer Radtour in den Dolomiten  (Suedtirol Marketing GmbH, Italy)

„Berge lehren Grenzen“

Der katholische italienische Sportmediziner Paolo Crepaz wirbt in der Urlaubszeit für einen neuen Blick auf die Berge. Ihr wahrer Reichtum liege nicht im Potential für Luxustourismus, sondern im Sinn für Grenzen, den die Berge lehren, so Crepaz, der im norditalienischen Trento praktiziert und gerade ein neues Buch vorgelegt hat.

Adriana Masotti und Gudrun Sailer - Vatikanstadt

„Vivere la montagna”, „Den Berg erleben”: So heißt das Werk, das sich seinem Thema von vielen Seiten nähert und zugleich auf das große Ganze zielt. Im Gespräch mit uns verweist der Autor, der der Fokolarbewegung angehört, auf das Verhältnis zwischen der Wildnis der Berge und dem menschlichen Eingriff, um diese Wildnis zu zähmen und zu nutzen. „Heute geht die Umwandlung in eine, sagen wir, touristische Richtung, wie sehen eine ,Versportung' der Berge mit sicherlich Ressourcen für den Tourismus, aber auch neuen Problemen, die wir alle kennen: volle Straßen und Skilifte, Schneemangel, Kunstschnee und dergleichen. Der Eingriff des Menschen in die Natur war immer von grundlegender Bedeutung, im Guten wie im Schlechten. Heute müssen wir uns fragen, wie negativ der Einfluss des Menschen wirklich sein darf, denn die Berge verlieren ihre Qualitäten.“

Das Schilthorn in der Schweiz
Das Schilthorn in der Schweiz

„In den Bergen hat man die Möglichkeit, Grenzen zu erfahren“

Wer in den Bergen Erholung und Erfrischung sucht, meint oft, dort Anspruch auf alle Annehmlichkeiten zu haben, so der Sportarzt: Lifte hoch auf alle Gipfel, Whirlpool im Hotel, Parkplätze vor der Haustür, Scampi zum Abendessen. „Aber eine Gebirgslandschaft steht nun einmal für die Begriffe Anstrengung und Begrenzung. In den Bergen hat man die Möglichkeit, Grenzen zu erfahren - und eben deshalb sind sie bereichernd. Grenze bedeutet, dass man nicht ankommt, weil man nicht die Kraft hat oder nicht dorthin gehen kann. Das ist ein Geschenk der Natur. Deshalb ist es nicht immer eine Lösung, den Zugang zu den Bergen zu erleichtern, früher oder später gehen einem ja auch die Mittel aus.“ Und wir sind dabei, eine wichtige Lektion einfach zu verlernen, so Crepaz: „Grenze und Ermüdung sind keineswegs negative Begriffe.“

Hier zum Hören:

„Das Gehen ist die einzige Medizin, die so viele Krankheiten auf einmal heilen kann“

Hier schwenkt der Sportarzt auf die Krise des Gesundheitswesens ein. Menschen erreichen bei uns heute – zum Glück – ein immer höheres Lebensalter, zugleich nehmen aber auch die chronischen Erkrankungen zu. „Schon aus volkswirtschaftlichen Gründen müssen wir uns auf die Vorbeugung und nicht auf die Behandlung konzentrieren, und bei der Vorbeugung ist eine gesunde Lebensweise von zentraler Bedeutung“, so der Mediziner. Crepaz verweist auf gesunde Ernährung, aber ganz besonders auf Bewegung – und stimmt ein großes Lob auf die einfachste, natürlichste und gesündeste aller Formen von Bewegung an: das Gehen. „Das Gehen ist eine für alle zugängliche Tätigkeit, es ist die einzige Medizin, die so viele Krankheiten auf einmal heilen kann. Die einzige Medizin, die heute auf dem Markt ist, die – das wage ich zu behaupten - keine Nebenwirkungen hat und praktisch nichts kostet. Bewegung ist nicht einfach eine Mode, sondern ein individuelles und gesellschaftliches Erfordernis für die Gesundheit geworden. Und die Bergwelt bietet eine einfache Möglichkeit dazu, weil sie motivierend ist, weil sie angenehm ist, weil sie besondere Bedingungen bietet, die uns ganz natürlich dazu einladen, uns zu bewegen.“

„Einige nennen die Berge ,Heidi-Welt'“

Also: gerne hinauf auf die Berge, über Wiesen spazieren, Wälder durchmessen. Aber alles mit Maß und vielleicht auch mit einer neuen Art von Respekt, der dann auch die Menschen miteinschließt, die immer, nicht nur eine Woche im Sommer, in den Bergen leben. Im Großen und Ganzen nämlich ist unser kollektives Bild von den Bergen schief, findet Crepaz. „Einige nennen die Berge ,Heidi-Welt', ein Idyll wie eine Postkarte, die Berge als Ort vollkommener Ruhe, ein irdisches Naturparadies. Aber der Berg ist anders als das. Seine Schönheit ist gebunden an die Kultur, an die Anwesenheit des Menschen, an ihre Arbeit. Deshalb schlage ich in meinem Buch unter anderem vor, die Berge zu entdecken, indem man die Bergbewohner kennenlernt und versteht, was die Bergkultur ist, die Traditionen – und auch wie viel Mühe es heute kostet, in den Bergen zu leben und zu bleiben, und zu wissen, wie man diese Präsenz begünstigen, kennen und wertschätzen kann.“

„Vivere la montagna. Paesaggi, sport, salute“ von Paolo Crepaz ist – vorerst nur auf Italienisch – im Verlag Città Nuova erschienen.

(vatican news – gs)

 

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16. August 2023, 11:56