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Die Gnadenkapelle von Tschenstochau mit dem Bild der Schwarzen Madonna Die Gnadenkapelle von Tschenstochau mit dem Bild der Schwarzen Madonna 

Radio-Akademie: Polen – Kirche im Umbruch (8)

Unsere Reise führt durch Polen, das katholischste Land Europas. Unser Nachbar – und doch so anders. Wir wollen die Kirche in Polen kennenlernen, etwas über ihre Geschichte erfahren. Sehen, wie sie mit den Herausforderungen der Neuzeit umgeht.

Stefan von Kempis

In Tschenstochau haben wir angefangen, und dort enden wir auch: Letzte Station unserer Tour. Neben der Wallfahrtskirche mit dem Gnadenbild der Schwarzen Madonna, der „Königin Polens“, gibt es auch eine Schatzkammer. Ehrlich gesagt sind solche Museen oft langweilig: Monstranzen, Kelche, liturgische Gewänder im Dämmerlicht, eine Parade des Immergleichen. Aber wer mit Beata Nawrocka zwischen den Vitrinen von Tschenstochau herumstreift, der wirft einen unverhofften Blick in die bewegte Geschichte Polens.

Pilger in der Gnadenkapelle
Pilger in der Gnadenkapelle

Schwedische Sintflut

Schon auf dem Weg zur Schatzkammer erklärt sie, dass Jasna Gora (der Weiße Berg, auf dem die Wallfahrtsbasilika liegt) eigentlich eine Festung sei: „Das war eine militärische Anlage im 17. und 18. Jahrhundert; sie hatte die Form eines Vierecks mit vier Bastionen.“ Auf einer dieser Bastionen steht heute ein Denkmal des Pauliner-Priors, der 1655 die schwedische Belagerung von Tschenstochau abgewehrt hat. „Tatsächlich ist es ihm und seinen Leuten nach vierzig Tagen der Kämpfe gelungen, die Truppen des schwedischen Königs Carl Gustav zurückzuschlagen.“ Ein Wunder – nicht das einzige in der Geschichte Tschenstochaus.


„Diese schwedische Belagerung nennt man in Polen übrigens Sintflut, schwedische Sintflut“, erklärt Frau Nawrocka. „Denn die schwedischen Truppen haben Polen überrollt, bis sie hier gestoppt wurden – das war der Wendepunkt des Krieges.“ Dann zeigt sie uns in der Schatzkammer eine gotische Monstranz, die der Prior damals bei einer Bittprozession um göttlichen Beistand gegen die Belagerer in den Händen getragen habe. Und sogar die Schreibfeder des polnischen Literatur-Nobelpreisträgers Henryk Sienkiewicz wird in Tschenstochau gezeigt, weil er 1886 einen Roman über die „Sintflut“ publiziert hat. „Kennt in Polen jedes Kind…“

In der Schatzkammer der Schwarzen Madonna
In der Schatzkammer der Schwarzen Madonna
Polen - Kirche im Umbruch: Eine Radio-Akademie von Radio Vatikan. Auszug aus Folge 8

Madame Curie und der Bezwinger der türkischen Streitmacht

Zu fast jedem Ausstellungsstück in der Schatzkammer weiß Beata Nawrocka eine Geschichte zu erzählen. Dieser kleine, eher unscheinbare Rosenkranz etwa sei von Madame Curie gestiftet worden, der Entdeckerin der Radioaktivität. Diese Plakette komme von der Familie Henckel von Donnersmarck, die nach Kriegsende aus Schlesien vertrieben worden sei. Und viele der historischen Votivgaben seien in Deutschland hergestellt worden, zum Beispiel in Nürnberg oder Augsburg. Das erinnert daran, dass im Lauf der Jahrhunderte auch Deutsche (übrigens auch Schweden!) auf dem polnischen Königsthron gesessen haben. Einen Rosenkranz, der in einer Vitrine liegt, hat König Jan Sobieski der Muttergottes gestiftet – also der König, der 1683 die Türken vor Wien besiegte. „Vor der Schlacht war er hier, um zu beten…“

Barockes Juwel: die Basilika von Jasna Gora
Barockes Juwel: die Basilika von Jasna Gora

Das einzige Ausstellungsstück, das regelmäßig die Schatzkammer verlässt, ist der sogenannte Frauenkelch, ein Messkelch mit den Darstellungen von vier Frauen auf seinem Fuß. „Jedes Jahr am 8. März, dem internationalen Tag der Frau, wird hier eine Messe gefeiert, und die Frauen feiern dann mit diesem Kelch!“ Eine der Frauen, die auf dem Kelch dargestellt sind, ist Stanislawa Leszczynska – eine Hebamme, die im KZ Auschwitz in finsterster Zeit Tausende von Kindern auf die Welt gebracht hat.

Brot-Rosenkranz aus dem KZ Auschwitz

Von Auschwitz und anderen Schreckenslagern des Nationalsozialismus findet sich übrigens einiges in dieser ungewöhnlichen Schatzkammer. Etwa ein kleiner Kelch, dessen einzige Verzierung ein Stück Stacheldraht ist. „Er wurde nach dem Zweiten Weltkrieg hierher gebracht von den Häftlingen aus Auschwitz – mit der Information, dass Priester in Auschwitz mit diesem Kelch heimlich Messen gefeiert hätten.“ Frauen, die das KZ Ravensbrück überlebt hätten, pilgerten regelmäßig nach Tschenstochau – „die, die noch am Leben sind, und ihre Familien“.

Häftlinge im KZ Auschwitz kneteten aus ihren Brot-Rationen einen Rosenkranz (links im Bild)
Häftlinge im KZ Auschwitz kneteten aus ihren Brot-Rationen einen Rosenkranz (links im Bild)

Aus dem Vernichtungslager Auschwitz stammt auch ein kleiner Rosenkranz, der aus Brotkrumen hergestellt ist. „Ein Besucher, ein ehemaliger Häftling, hat diesen Rosenkranz erkannt: Er hatte ihn zusammen mit einem anderen Mann gemacht, weil sie wussten, dass ein Freund von ihnen die Flucht aus dem Lager plante. Und so haben sie aus ihren Brotrationen diesen Rosenkranz angefertigt und baten ihn, den Rosenkranz hierher nach Tschenstochau zu bringen, wenn ihm die Flucht gelänge.“ Offenbar war das der Fall.

Einen größeren Rosenkranz ebenfalls aus Brotkrumen haben Häftlinge hergestellt, die nach der Verhängung des Kriegsrechts in Polen zu Beginn der achtziger Jahre ins Gefängnis geworfen worden waren. Natürlich hat auch die Gewerkschaft Solidarnosc in Tschenstochau einen Kelch hinterlassen; auf ihm ist die Danziger Leninwerft zu sehen, von der die Streiks ausgingen, die den ganzen Ostblock erschüttern sollten.

Der weggeworfene Ehering

„Und das hier ist eine Erinnerung an den Warschauer Aufstand von 1944“, sagt Beata Nawrocka und zeigt auf die Darstellung eines Adlers. Gestiftet haben ihn Einwohner der polnischen Hauptstadt, direkt nach dem Krieg. In die Krone des Tiers sind Edelsteine eingearbeitet. „Und das sind nicht irgendwelche Edelsteine. Sie wurden in einer zerstörten Kirche in Warschau aufgesammelt, die von den Nazis während des Aufstands gesprengt worden ist.“ Die ganze Altstadt von Warschau wurde damals von den deutschen Besatzern systematisch zerstört, daran gemahnt diese Schenkung.

Und dieser unscheinbare Ehering dort in der Vitrine? „Den brachte ein Mann hierher, der sah, wie dieser Ring aus einem Waggon geworfen wurde – und dieser Waggon war auf dem Weg nach Auschwitz. Im Ring gibt es Initialen, und daraus konnte man seine Geschichte rekonstruieren. Man weiß heute, wer dieser Familienvater war, der mit einem Transport nach Auschwitz unterwegs war und ein Lebenszeichen von sich geben wollte. Leider hat er das Lager nicht überlebt, aber sein Ehering ist da…“

Wirklich – wer sich ein bisschen Zeit nimmt für die Schatzkammer von Tschenstochau, und wer eine kundige Führerin an seiner Seite hat, für den erzählen die Objekte dort hinter Glas ihre Geschichten...

In der Schatzkammer von Tschenstochau: Ausschnitt aus einer Serie von Radio Vatikan

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(vatican news)

Blick von oben in die Gnadenkapelle
Blick von oben in die Gnadenkapelle

 

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23. Juli 2023, 09:43