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Vertriebene in einem Camp bei Aleppo Vertriebene in einem Camp bei Aleppo 

Syrien: Finanzhilfen schrumpfen, Christen in Gefahr

Ein großes christliches Hilfswerk fürchtet Schlimmes für die Christen in Syrien. Schwindende Finanzhilfen könnten mittelfristig das Aus für die christliche Gemeinde schlechthin bedeuten, so das Œuvre d'Orient. Wir haben nachgefragt.

Delphine Allaire und Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Am 14. Juni kündigte das UN-Ernährungsprogramm (WFP) eine Halbierung seiner finanziellen Unterstützung für Syrien an. Am darauffolgenden Tag wurden auf der siebten Geberkonferenz in Brüssel 5,6 Milliarden Euro für die syrische Bevölkerung gesammelt. Verschwindend geringe Hilfen, bedauerten christliche Hilfswerke in Syrien wie das Œuvre d'Orient in Frankreich. Seit zwölf Jahren ist Krieg in Syrien, ein Wiederaufbau nicht in Sicht.

„In Homs, Aleppo, Deir Ez-Zor oder Raqqa ist das Leben nicht wieder aufgenommen worden. Diese Städte, die in sehr großem Umfang zerstört wurden, werden nicht wieder aufgebaut. Einige liegen in Trümmern, obwohl dort seit sieben oder zehn Jahren nicht mehr gekämpft wird", warnte Vincent Gelot, der Länderdirektor von L'Œuvre d'Orient für Syrien. Der christliche und französische humanitäre Helfer arbeitet seit sieben Jahren in dem ausgebluteten Land. Die jüngsten Kürzungen der UNO bei der Nahrungsmittelhilfe für Syrien findet er „niederschmetternd“ und unverständlich. Schon vor dem Erdbeben vom Februar litten 12 von 21 Millionen Syrer Hunger – also mehr als die Hälfte der Bevölkerung. Gelot lobte zugleich die „bewundernswerte Arbeit" der lokalen Organisationen, die die einzigen verbliebenen Kräfte sind, die „unter katastrophalen Bedingungen, ohne Strom und Öl" arbeiten.

Hier zum Hören:

Drei Viertel der Christen sind weg

Nach Angaben des Hilfswerks gab es in Syrien 2011 zu Beginn des Krieges zwei Millionen Christen, heute sind es 500.000 bis 600.000. In einer Stadt wie Aleppo lebten vor dem Krieg 150.000 Christen, heute sind es 25.000, von denen nur 4.000 zwischen 18 und 30 Jahre alt sind. Dies ist eine Tragödie für das alte Land der Bibel und des Paulus, in dem die Christen wie in Palästina und im Libanon einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren der Gesellschaft leisten. Ihr Verschwinden würde zu einer Verarmung der syrischen Kultur führen, die dann monokulturell und monoreligiös wäre. Davor hatte bereits Kardinal Mario Zenari gewarnt, Apostolischer Nuntius in Damaskus und der einzige Diplomat im Nahen Osten, der seinen Posten seit seiner Ernennung im Jahr 2008 noch nie verlassen hat.

Vom Westen im Stich gelassen

Vincent Gelot beklagt, dass die syrische Bevölkerung von den Machthabern und dem Westen „aus politischen Gründen" im Stich gelassen wird. Der Orient-Fachmann sieht im Übrigen keine konkreten oder bedeutenden Folgen der jüngsten Neuformierungen in der arabischen Welt. Die Rückkehr Syriens in die Arabische Liga oder die Annäherung zwischen Iran und Saudi-Arabien haben derzeit keine Auswirkungen auf die Lage. Die Verbündeten von Damaskus in Moskau oder Teheran beschränken sich auf militärische und strategische Hilfe, humanitär engagieren sie sich nicht.

„Die Länder, mit denen Syrien derzeit wieder Kontakt aufnimmt, sind auch keine Vorbilder für Demokratien“

„Die Länder, mit denen Syrien derzeit wieder Kontakt aufnimmt, sind auch keine Vorbilder für Demokratien", fügt Vincent Gelot in Bezug auf einen möglichen Geldsegen aus der Golfregion hinzu. Er kritisiert einen schwer zu lösenden diplomatischen Knoten „zwischen einem Westen, der nichts von Wiederaufbau hören will, solange das Assad-Regime im Amt ist", und auf der anderen Seite „Verbündete des Regimes, die weder die Mittel noch die Lust haben, das Land wieder aufzubauen".

Viel zu wenig

Die Anstrengungen für den Wiederaufbau scheinen gigantisch: 400 Milliarden Dollar laut Vereinten Nationen. Die Zusage von 5,6 Milliarden Euro, die auf der Brüsseler Konferenz für die Zukunft Syriens und der Länder in der Region Mitte Juni 2023 eingebracht wurden, scheint wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Summe ist im Vergleich zur Konferenz des Vorjahres (6,4 Milliarden Euro) gesunken. Und sie soll hauptsächlich die Nachbarländer Syriens - Türkei, Irak, Jordanien, Libanon – unterstützen, weil dort 5,4 Millionen syrische Flüchtlinge Unterschlupf gefunden haben.

„Wir haben das Gefühl, dass nur der Westen in der Lage ist, dieses Land wieder aufzubauen“

Dabei braucht Syrien selbst den Westen mehr als je zuvor. „Wir haben das Gefühl, dass nur der Westen in der Lage ist, dieses Land wieder aufzubauen", erklärt Vincent Gelot. Seiner Darstellung nach fällt die westliche Hilfe in den drei Regionen des Landes unterschiedlich aus: in der vom Regime kontrollierten Region, in der von den Kurden kontrollierten Region im Nordosten und in der von den bewaffneten Rebellen oder Dschihadisten kontrollierten Region im Nordwesten des Landes.

„Aus politischen Gründen erhält nicht jede Region die gleiche Unterstützung. Einige Länder, darunter Frankreich, unterstützen massiv die von Kurden und Rebellen kontrollierten Gebiete, während sie für das vom Regime kontrollierte Gebiet so gut wie nichts geben. Aus humanitärer Sicht ist dies inakzeptabel.“ Die Unterstützung der christlichen Minderheit im Nahen Osten sei keine Frage der Religion, sondern des Humanismus. Denn es bestehe die Gefahr, dass die Christen in den nächsten 40 Jahren aussterben werden.

(vatican news – gs)

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21. Juni 2023, 13:37