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Kosovo: Im Norden des Landes ist es wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen Kosovo: Im Norden des Landes ist es wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen  (AFP or licensors)

Schweiz/Kosovo: „Alle sollten die gleichen Rechte haben“

Mit „großer Sorge“ beobachtet der Priester und gebürtige Kosovare Marjan Marku die jüngsten Ausschreitungen im Norden Kosovos.

Dass Demonstranten dort NATO-Soldaten und Journalisten angriffen, sei „sehr schmerzhaft“, sagte Marku, der als Seelsorger in der Schweiz wirkt, im Interview mit cath.ch: „Menschen werden verletzt. Das darf nicht sein. Jeder Mensch ist wichtig, ganz egal was für eine Sprache gesprochen wird, zu welcher Nation man gehört oder welche Religion man hat.“ Bei Protesten militanter Serben waren 30 Soldaten der KFOR-Schutztruppe und über 50 Einheimische verletzt worden. Die NATO-Schutztruppe ist seit Ende des Kosovo-Krieges 1999 in der Region stationiert und soll nach der aktuellen Eskalation nun aufgestockt werden.

„Menschen werden verletzt. Das darf nicht sein.“

Im Norden Kosovos verstünden sich viele Menschen als ethnische Serben, erläutert Marjan Marku Hintergründe des Konfliktes. „Kosovo ist seit 2008 ein unabhängiger Staat“, bekräftigt er die Position der Staaten, die den Kosovo als unabhängig anerkennen (der Heilige Stuhl tut dies nicht, Anm.). „Doch für die Serben ist der Kosovo weiterhin ein Teil von Serbien. Kosovo wird nicht als Staat akzeptiert.“ Vor diesem Hintergrund sei auch der „Boykott“ der Kommunalwahlen vom April durch die Serben zu verstehen: Nur 3,5 Prozent der Bevölkerung hatten sich beteiligt. Als dann in vier Gemeinden mit serbischer Mehrheit albanische Bürgermeister gewählt wurden, wurden die neuen Beamten nicht akzeptiert, „es entstanden Demonstrationen und Gewalt brach aus“, so Marku. Die Regierung in Pristina hatte die Polizei geschickt, um die Bürgermeister zu unterstützen, und die Lage spitzte sich zu.

Offensichtlich habe die kosovarische Regierung Schwierigkeiten gehabt, die Menschen im Norden zu integrieren, versucht der aus dem Südosten des Kosovo stammende Marku Grundlagen der Spannungen zu erklären, vielleicht habe es auch zu große Widerstände von serbischer Seite gegeben.

Gerechtigkeit gesucht

Als wesentlich für eine Auflösung des Konfliktes sieht der Geistliche, der in der Schweiz als Albaner-Seelsorger und in St. Gallen und Walensee tätig war, beziehungsweise ist, Gerechtigkeit – und zwar für alle: „Alle sollten die gleichen Rechte haben. Wenn jeder jedem die gleichen Rechte zugestehen würde, könnte das zum Frieden beitragen. Die Albaner im Süden Serbiens und die Serben in Kosovo sollen gleiche Rechte haben. Das wäre für mich eine sehr gerechte und gute Lösung. Einfach weniger Politik und mehr Menschlichkeit.“

Was kann die Kirche tun, um die Lage zu entspannen? Die katholische Kirche sei nur eine kleine Minderheit, könne aber dennoch „eine große Rolle in Bezug auf den Frieden spielen“, zeigt sich der Priester vorsichtig zuversichtlich. Die zahlenmäßig große orthodoxe Kirche im Kosovo, die autokephal ist, ist laut Marku „eng mit dem Staat verbunden“. Sie sei „zu sehr im Konflikt verwoben“, als dass sie ausgleichend wirken könnte, denkt der katholische Priester.

Das eigentliche Problem sieht der katholische Priester bei dem Konflikt darin, dass die Serbinnen und Serben sehr eng mit Russland verbunden seien: „Russland unterstützt Serbien. Und vielleicht hat Russland auch ein Interesse daran, dass nun dort ein Krisenherd entsteht – damit nicht mehr alle auf die Ukraine blicken.“

Wie ernst die Lage ist

Dass es zu einem Bürgerkrieg kommt, denkt der Priester eher nicht. Schließlich seien NATO-Truppen im Land, so Marku. Andere Beobachter halten es dieser Tag hingegen für möglich, dass die Lage aus dem Ruder läuft. „Die Situation ist sehr kompliziert und droht aus dem Ruder zu laufen, weil die Nordserben unkontrollierbar werden“, erklärte etwa der Balkan-Analyst Nikolay Krastev gegenüber dem italienischen Pressedienst Sir. Die Nordserben hätten angekündigt, dass sie ihre Proteste fortsetzen würden, bis die albanischen Bürgermeister und die Polizeieinheiten des Kosovo abzögen. Der ungeklärte Status des Kosovo stelle „eine schmerzhafte Kluft dar und birgt ein hohes Risiko“, warnte der Beobachter.

(cath.ch/sir – pr)
 

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01. Juni 2023, 13:08