Suche

Die indische Armee evakuiert Menschen, die vor der ethnischen Gewalt im nordöstlichen indischen Bundesstaat Manipur geflohen sind, in eine Notunterkunft. Die indische Armee evakuiert Menschen, die vor der ethnischen Gewalt im nordöstlichen indischen Bundesstaat Manipur geflohen sind, in eine Notunterkunft.  (AFP or licensors)

Indien: Explosive Gemengelage in Manipur

Im nordostindischen Bundesstaat Manipur kam es nach Forderungen einer ansässigen Volksgruppe nach rechtlicher Begünstigung zu Auseinandersetzungen, in die auch Christen involviert sind. Der Indien-Referent von Misereor, Anselm Meyer-Antz, spricht im Interview mit Radio Vatikan über die Hintergründe.

Anne Preckel – Vatikanstadt

Auslöser des in der vergangenen Woche explodierten Konfliktes zwischen den ethnischen Gruppen Metei, Naga und Kuki ist die Forderung der überwiegend hinduistischen und muslimischen Metei, in die Kategorie der „scheduled tribes“ aufgenommen zu werden, denen laut indischem Recht bestimmte Vergünstigungen zugestanden werden. Als der Oberste Gerichtshof am 19. April die örtliche Regierung aufforderte, dem nachzukommen, sorgte dies für Spannungen, die in der letzten Woche in einen offenen Konflikt mündeten. Dazu Meyer-Antz:

„Die verschiedenen Gruppen sind aufeinandergetroffen, das Ganze hat sich hochgeschaukelt, denn es gibt Scharfmacher auf beiden Seiten“

„Anlass war eine Studentendemonstrationen gegen dieses Bemühen der Metei, auch als diskriminierte Minderheit anerkannt zu werden. Da ist eine große Gruppe Studenten durch die Hauptstadt gezogen, und in der Folge kam es dann zu ,riots‘ und Eskalationen. Die verschiedenen Gruppen sind aufeinandergetroffen, das Ganze hat sich hochgeschaukelt, denn es gibt Scharfmacher auf beiden Seiten. (…) Meine letzten Zahlen sind 85 Tote, 2500 Verletzte, viele Menschen mit Schussverletzungen und bis zu 28.000 Menschen, die in Flüchtlingslagern, die die Armee errichtet hat, Zuflucht gesucht haben.“

Mix aus Ethnien, Kulturen und Religionen

Die Region sei durch eine multiethnische, multikulturelle und multireligiöse Gesellschaft geprägt. In Manipur prallten Metei, die heute überwiegend Hindus sind, mit überwiegend christlichen Naga und Kuki zusammen, was den Spannungen eine religiöse Färbung verpasse. Als große Folie der Spannungen sieht Meyer-Antz die hindunationalistische Politik der indischen Regierung, wie er im Interview mit Radio Vatikan durchblicken lässt. Die Metei seien zwar in ganz Indien eine Minderheit, in Manipur aber in der Mehrheit. Dass eine solche Gruppe jetzt rechtliche Begünstigungen verlange, sei auch an anderer Stelle in Indien bereits vorgekommen. Meyer-Antz sieht hier Züge einer Instrumentalisierung am Werk.

„Da erleben wir jetzt das, was wir vor gar nicht langer Zeit mit einer unteren Kriegerkaste in ,Mainland India‘ auch erlebt haben. Angestachelt von durchsichtigen Interessen der Zentralregierung hat diese untere Kriegerkaste in ,Mainland India‘, ein Teil der Radschputen, genauso wie jetzt die Metei (die allerdings nicht zur indoarischen Bevölkerung gehören), beantragt, auch insgesamt als Minderheit eingestuft zu werden und damit Zugang zu reservierten Anteilen zu all diesen Segmenten der Gesellschaft zu bekommen.“

Instrumentalisierung und Gerangel um Rechte

Diese Privilegien und Vergünstigungen äußern sich etwa in Quoten für öffentliche Beschäftigung oder Studiengänge, für politische Vertretung und Landrechte, die die indische Mehrheitsgesellschaft nicht hat. Im Fahrwasser der stark pro-nationalistischen Politik der indischen Regierungspartei BJP sieht der Misereor-Länder-Refernt die „Anstachelung“ bestimmter Gruppen. Der „Pluralismus des indischen Staates“ sei damit infrage gestellt. Das zeigt sich laut Meyer-Antz am Beispiel der Konflikte in Manipur, bei denen verstärkt auch Kirchen niedergebrannt und katholische Geistliche angegriffen worden seien.

„Hier werden wieder Christen und viel stärker noch Muslime zum Opfer einer sehr, sehr stark ökonomisch und nationalistisch orientierten, dauerhaften Kampagne des Ministerpräsidenten Modi und der Menschen, die ihn umgeben. Der eigentlich Verantwortliche für die Situation lässt Menschen, die als soziale oder auch als religiöse Gruppe sich benachteiligt fühlen, auf andere Leute weisen: ,Guck mal, die sind schuld, die sind dafür verantwortlich‘. In diesem Fall trifft es in Manipur sehr, sehr stark Christen.“

Papstbesuch könnte Plädoyer für Pluralismus sein

Häufig treffe es in ganz Indien aber auch Moslems - unterm Strich alle Gruppen, die nicht ins hinduistische Nationalbild passen, sagt Meyer-Antz: „Wir haben zunehmend diese Situation, dass der Pluralismus des indischen Staates in Frage gestellt wird. Dass die Regierung zwar pro forma geltende Gesetze, soweit es möglich ist, durchsetzt - hier wird auch Flüchtlingen Zuflucht gewährt von Seiten der Armee. Aber insgesamt ist die Gesellschaft geprägt von einer Politik, bei der es heißt: Dies ist Hindustan. Dies ist kein Land für Christen und kein Land für Moslems.“

„Insgesamt ist die Gesellschaft geprägt von einer Politik, bei der es heißt: Dies ist Hindustan. Dies ist kein Land für Christen und kein Land für Moslems“

Meyer-Antz hofft vor diesem Hintergrund, dass ein möglicher Papstbesuch in Indien für Pluralismus im Land werben und aktuellen Tendenzen etwas entgegensetzen könne. Die indische Regierung müsse „zur Verfassung zurückkehren“, formuliert Meyer-Antz. Nicht allein die Christen, sondern auch Muslime und teils Buddhisten setzten hier große Hoffnungen in Franziskus' Besuch, der wohlgemerkt noch nicht offiziell bestätigt ist.

Konflikt um Wasser und Machtinteressen

Der Misereor-Indienreferent sieht in dem aktuellen Konflikt in Manipur gleichwohl nicht allein Spannungen verschiedener Gruppen um mehr Rechte innerhalb des indischen Staatsgebietes. Auch geopolitische und politische Machtinteressen spielten in der Region eine Rolle, ist Meyer-Antz wichtig hervorzuheben. So werde in Manipur immer stärker ein „Konflikt um das Wasser des Himalayas“ ausgetragen. „Wasserinteressen“ gleich mehrerer Länder – neben Indien sind dies China, Bangladesch und auch Myanmar – seien berührt; verschärft werde dies durch den fortschreitenden Klimawandel. Der Indien-Referent von Misereor dazu:

„Es gibt in Manipur eine bewaffnete Gruppe, die sich dafür einsetzt, dass Manipur unabhängig von Indien und zu einer sozialistischen Republik werden will. Dahinter darf man durchaus auch ein Stück weit die Interessen Chinas vermuten... Und all dies schaukelt sich hoch zu dieser bedrückenden Situation.“

(vatican news – pr)
 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

08. Mai 2023, 15:04