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M23-Rebellen übergeben Ende Dezember in der Nähe von Goma einen Stützpunkt an EAC-Friedenssoldaten M23-Rebellen übergeben Ende Dezember in der Nähe von Goma einen Stützpunkt an EAC-Friedenssoldaten 

Gewalt im Kongo: „Wir sollten die Hoffnung nicht fahrenlassen“

Frieden? Versöhnung? Papst Franziskus hat sich für seine Reise in den Kongo schon das richtige Motto ausgesucht. Kaum ein Land Afrikas ist dermaßen von Krieg und Gewalt zerrissen wie die frühere belgische Kolonie.

Stanislas Kambashi SJ, Kinshasa, und Stefan v. Kempis, Vatikan

Kaum jemand weiß das genauer als Christian Géraud Neema: Der unabhängige Polit-Analyst ist Experte für Ressourcenwirtschaft und Politik der Demokratischen Republik Kongo. Neema ist davon überzeugt, dass die schwierige Sicherheitslage vor allem im Osten des Landes ihre Ursachen sowohl in den internen Schwächen des kongolesischen Staates als auch in der Einmischung von außen hat.

Interview

Die ursprünglich geplante Etappe des Papstbesuchs in Goma ist aus Sicherheitsgründen gestrichen worden. Wie ist denn die aktuelle Lage im Ostteil des Landes?

„Das Wiederaufleben der Rebellenbewegung M23 mit aktiver Unterstützung Ruandas hat in der Region für Chaos gesorgt. Die Rebellenbewegung gewinnt weiter an Boden und verursacht enorme humanitäre Dramen. Im November letzten Jahres haben UN-Organisationen von fast 200.000 Binnenvertriebenen gesprochen, und es ist offensichtlich, dass diese Zahl seither gestiegen ist. Hinzu kommen die Angriffe, bei denen Unschuldige sterben: Die Ereignisse in der Ortschaft Kishishe am 29. November sind symptomatisch für diese Massaker, die eigentlich unabhängig und ernsthaft untersucht werden müssten.

In der Stadt Goma, die vor kurzem faktisch belagert wurde, halten sich derzeit (im Rahmen einer Friedensmission der Ostafrikanischen Gemeinschaft EAC) 900 kenianische und 750 südsudanesische Soldaten auf. Aber damit ist der dortige Konflikt nicht gelöst.“

„Der Zerfall des Staates und die Schwäche seiner Verwaltung dazu geführt, dass wichtige Probleme nicht gelöst werden“

Was sind die tieferen Ursachen für die Misere im Osten des Kongo?

„Diese Frage kann auf zwei Ebenen beantwortet werden. Auf interner Ebene haben der Zerfall des kongolesischen Staates und die Schwäche seiner Verwaltung dazu geführt, dass wichtige Probleme nicht gelöst werden. Da geht es um Land und um ethnische Gemeinschaften; diese Probleme reichen mehrere Jahrzehnte zurück. Der Völkermord in Ruanda 1994, der Vormarsch der Rebellenallianz „AFDL“ 1997 (die den Diktator Mobutu stürzte und Rebellenchef Kabila an die Macht brachte, Anm.) und der Angriffskrieg 1998 und seine Folgen haben latente Missstände weiter verschärft.

Ein Panzer der UNO-Friedenstruppe eskortiert ein Gefährt des Roten Kreuzes in Ituri - Aufnahme vom Dezember 2021
Ein Panzer der UNO-Friedenstruppe eskortiert ein Gefährt des Roten Kreuzes in Ituri - Aufnahme vom Dezember 2021

(Anm.: Im 2. Kongo-Krieg 1998 bis 2003 standen sich Rebellengruppen gegenüber, die von ausländischen Staaten jeweils unterstützt wurden. Die Regierung Kabila sprach daher von einem Angriffskrieg; international wird auch von einem ‚Afrikanischen Weltkrieg‘ gesprochen.)

Auf externer Ebene sind die Verwicklungen Ruandas, Ugandas und Burundis ab 1997-98 die Ursachen für diesen regionalen Konflikt. Die Sicherheits- und Handelsinteressen der Nachbarländer und anderer internationaler Wirtschaftsakteure, gepaart mit den Spannungen in der kongolesischen Gemeinschaft, und das alles vor dem Hintergrund der Schwächen des kongolesischen Staates: Das hat den Osten des Kongo zu einer Zone der Rechtlosigkeit und der Gewalt gemacht – bis zu dem Punkt, an dem die Gewalt schließlich zum Selbstzweck wurde… Die Präsenz und Überschneidung von einheimischen und ausländischen bewaffneten Gruppen, die auf sich ständig ändernde sozio-politische und wirtschaftliche Interessen reagieren, haben die Situation sehr komplex gemacht.“

„Man sollte die Lage nicht auf ein Narrativ - Plünderung der natürlichen Ressourcen oder ‚Balkanisierung‘ des Kongo durch ausländische Mächte - reduzieren“

Was meinen Sie mit ‚komplex‘?

„Die Situation ist so komplex geworden, dass es gefährlich und vereinfachend wäre, sie ausschließlich auf ein Narrativ - die Plünderung der natürlichen Ressourcen oder die ‚Balkanisierung‘ des Kongo durch ausländische Mächte - zu reduzieren. Die Instabilität im Osten der Demokratischen Republik Kongo gleicht einer Hydra, deren abgeschlagene Köpfe immer wieder nachwachsen.

Die Ausbreitung lokaler bewaffneter Gruppen ist heute die Antwort auf eine Vielzahl von Bedürfnissen wirtschaftlicher, politischer, sozialer und identitätsbezogener Art. Diese Bedürfnisse könnten nur durch die Wiederherstellung der Autorität des kongolesischen Staates und seiner Verwaltung wirklich gelöst werden. Die Wiederherstellung der staatlichen Macht wäre auch die Lösung für die heutige ruandische Aggression und die ugandischen Einmischungen im hohen Norden Nord-Kivus. Natürlich sind dabei noch nicht alle anderen bewaffneten Gruppen in anderen Teilen der Provinzen wie beispielsweise Ituri berücksichtigt…“

Kongolesische Soldaten im März 2022 zwischen Beni und Komanda
Kongolesische Soldaten im März 2022 zwischen Beni und Komanda

„Ruanda und Uganda wollen ihren geopolitischen und wirtschaftlichen Einfluss in diesem Teil des Kongo aufrechterhalten“

Wenn wir den Fokus einmal weiten: Wie würden Sie also die aktuelle geopolitische Lage in der Region der Großen Seen insgesamt beschreiben?

„Die Lage ist, gelinde gesagt, äußerst angespannt. Es ist offensichtlich, dass Ruanda und Uganda darauf bedacht sind, ihren geopolitischen und wirtschaftlichen Einfluss in diesem Teil des Kongo aufrechtzuerhalten. Die offensichtliche Beteiligung Ruandas an der Seite der M23 scheint die kenianischen und südsudanesischen Streitkräfte der Ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC) trotz des in Luanda im November proklamierten Waffenstillstands zögern zu lassen, Gewalt gegen die M23 einzusetzen. Sicherlich aus Angst, sich in einem Konflikt zu verstricken, der endlos werden könnte.

Auf politischer Ebene scheinen die regionalen Initiativen keine konkreten Ergebnisse zu bringen. Direkte Gespräche mit Ruanda sind schwierig, solange Kigali seine Verwicklung in den Konflikt nicht zugibt und die EAC sich weigert, dies öffentlich anzuerkennen. Die Konfliktparteien nehmen Positionen ein, die keinen wirklichen Fortschritt in Richtung einer endgültigen Lösung zulassen. Auf dem Schlachtfeld zieht sich die kongolesische Armee unterdessen angesichts der Fortschritte der M23/Ruanda-Truppen zurück.“

„Voraussetzung für eine endgültige Lösung ist die Wiederherstellung der Autorität des kongolesischen Staates“

Gibt es trotzdem einen Hoffnungsschimmer, dass sich die derzeitige Situation im Osten Ihres Landes ändern könnte? Welche Auswege gäbe es?

„Das ist eine schwierige Frage. Wir können es uns nicht leisten, die Hoffnung fahrenzulassen. Sie muss aufrechterhalten werden, damit wir an die Möglichkeit einer endgültigen Lösung glauben können! Wie ich bereits sagte, ist die Voraussetzung für eine endgültige Lösung die Wiederherstellung der Autorität des kongolesischen Staates und seiner Verwaltung. Ohne diese wird es keine Lösung geben!

Franziskus mit Präsident Felix Tshisekedi in Kinshasa
Franziskus mit Präsident Felix Tshisekedi in Kinshasa

Und ich bin fest davon überzeugt, dass die kongolesische politische Klasse und alle externen Partner, die für sich in Anspruch nehmen, Freunde des Kongo zu sein, genau darauf hinarbeiten sollten. Der Kongo sollte sich auf eine Art Staatsaufbau-Prozess einlassen, der es ihm ermöglicht, die Probleme anzugehen, die durch seinen Zerfall entstanden sind.“

„Der Papst hat auch eine Botschaft an die Machthaber“

Und der Papstbesuch?

„Der Papst überbringt aus meiner Sicht der kongolesischen Bevölkerung, die unter dem Schmerz im Osten leidet, eine Botschaft der Hoffnung – aber auch eine Botschaft der Entschlossenheit, die sich an die derzeitigen kongolesischen Behörden richtet. Ihre politischen Spiele haben weitgehend zum Wiederaufflammen der Krise beigetragen. Sie sollten diese Krise nicht ausnutzen, um politische Vorteile auf Kosten der legitimen Bestrebungen des Volkes zu erlangen, besonders in diesem Wahljahr!“

(vatican news)

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02. Februar 2023, 11:23