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CEI-Vorsitzender Kardinal Matteo Zuppi; bei der Pressekonferenz am Donnerstag in Rom war er allerdings nicht anwesend CEI-Vorsitzender Kardinal Matteo Zuppi; bei der Pressekonferenz am Donnerstag in Rom war er allerdings nicht anwesend 

Italien: Kirche legt ersten landesweiten Missbrauchsbericht vor

Unter dem Titel „Schützen, vorbeugen, ausbilden“ hat die italienische Bischofskonferenz (CEI) an diesem Donnerstag ihren ersten landesweiten Missbrauchsbericht vorgelegt.

Anne Preckel – Vatikanstadt

Die jetzt veröffentlichte CEI-Studie mit dem Titel „Schützen, vorbeugen, ausbilden – erster Bericht über das territoriale Netz für den Schutz von Kindern und verletzlicher Personen“ erhebt einerseits den Stand bisheriger Präventionsmaßnahmen und trägt andererseits jene Fälle zusammen, die in den vergangenen zwei Jahren (2020-21) an entsprechende kirchliche Stellen gemeldet wurden. Sie umfasst damit einen überaus engen Zeitraum.

613 Meldungen gingen an den Vatikan

Die italienische Bischofskonferenz will allerdings in Zusammenarbeit mit dem Dikasterium für die Glaubenslehre eine zweite Untersuchung vorlegen, die mutmaßliche und erwiesene Fälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker im Zeitraum 2000 bis 2021 auflisten soll und für die entsprechende Akten untersucht werden sollen. 

CEI-Generalsekretär Erzbischof Giuseppe Baturi sagte bei einer Pressekonferenz an diesem Donnerstag in Rom, dass in den vergangenen 20 Jahren 613 Meldungen zu mutmaßlichen Missbrauchsfällen an die vatikanische Glaubensbehörde (damals Glaubenskongregation, jetzt Dikasterium für die Glaubenslehre, Anm.) übermittelt worden seien. Bei der Zahl handele es sich um Akten, die dazu von den zuständigen Behörden angelegt wurden. Um wie viele konkrete Einzelfälle es sich handelt, sei derzeit ungewiss. In den Aufzeichnungen könnten sowohl bereits bekannte Fälle ebenso wie Daten zu Serientätern enthalten sein. „Es könnten also mehr oder weniger Fälle sein", so Baturi. Er kündigte an, dass die Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit dem Vatikan das Phänomen „qualitativ und quantitativ" untersuchen wolle. 

89 mutmaßlich Betroffene im Zeitraum 2020-21

Der an diesem Donnerstag publizierte CEI-Zweijahres-Bericht spricht von insgesamt 89 mutmaßliche Betroffenen, die sich im Zeitraum 2020-21 an kirchliche Meldestellen gewandt haben. Von diesen 89 Personen hätten 12 den Missbrauch im Alter von unter 10 Jahren, 61 im Alter von 10-18 Jahren und 16 als Volljährige erlebt. Gut die Hälfte der Fälle (52,8 Prozent) betreffe jüngere oder aktuelle missbräuchliche Taten, 47,2 Prozent bezögen sich auch Fälle, die sich in der Vergangenheit ereigneten.

Bei den gemeldeten Fällen überwogen laut Bericht „unangemessenes Verhalten und unangemessene Sprache“ (24), gefolgt von „Berührungen“ (21), „sexueller Belästigung“ (13), „Geschlechtsverkehr“ (9), „Zurschaustellung von Pornografie“ (4), „Online-Grooming“ (3) und „exhibitionistische Handlungen“ (2). Stattgefunden hätten die mutmaßlichen Straftaten hauptsächlich in einer Pfarrei (33,3 Prozent), in der Zentrale einer Bewegung oder Vereinigung (21,4 Prozent) oder in einem Ausbildungshaus oder Seminar (11,9 Prozent).

Die Zahlen beziehen sich lediglich auf mutmaßliche Missbrauchsfälle, die bei kirchlichen Stellen gemeldet wurden. Die tatsächliche Zahl von Missbrauchsfällen dürfte höher liegen - viele Fälle werden erfahrungsgemäß nicht bekanntgemacht.

Mutmaßliche Täter zumeist Kleriker oder Ordensvertreter

Zu den insgesamt 68 mutmaßlichen Tätern wird festgehalten, dass sie in mehr als der Hälfte der Fälle zum Zeitpunkt der Tat zwischen 40 und 60 Jahre alt waren. 30 davon seien zum Zeitpunkt der Übergriffe Kleriker gewesen, 23 waren Laien – etwa in der Rolle des Religionslehrers, Sakristans, Oratorien- oder Gruftleiters, Katecheten oder Vereinsleiters – und 15 Ordensleute.

Von der Bischofskonferenz seien nach Übermittlung der Fälle „in erster Linie ,Disziplinarmaßnahmen‘ ergriffen“ worden, formuliert der Bericht zum Umgang mit den vorgestellten Fällen, „gefolgt von einer ,Voruntersuchung‘ und einer ,Übermittlung an das Dikasterium für die Glaubenslehre‘“. Auch von Maßnahmen der „Begleitung" der mutmaßlichen Opfer ist die Rede, so etwa von psychotherapeutischer Unterstützung, die etwa in 14 Prozent der Diözesen verfügbar sei. Nicht ganz klar ersichtlich ist hingegen, inwiefern mit den Justizbehörden zusammengearbeitet werden soll und wurde. Den mutmaßlichen Tätern würden „Wege der Wiedergutmachung, der Befähigung und der Umkehr“ angeboten, darunter „die Unterbringung in einer ,spezialisierten Schutzgemeinschaft‘ (in einem Drittel der festgestellten Fälle) und ,psychotherapeutische Begleitung‘ (in etwa einem Viertel der Fälle)."

Es gibt noch einiges zu tun

Italien hat bis heute, im Unterschied zu anderen Ländern wie die USA, Australien, Chile, Deutschland, Österreich und Frankreich, bisher noch keine massive Welle von Enthüllungen über sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Schutzbefohlene in der Kirche erlebt. Ein landesweiter Bericht über kirchlichen Missbrauch in Italien war von Präventionsexperten und Betroffenenverbänden schon lange angemahnt worden. Im Februar 2022 waren Opfervertreter in Italien erstmals gemeinsam an die Öffentlichkeit getreten und hatten eine unabhängige Untersuchungskommission für Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich gefordert. 

Auf Weisung des Vatikans (s. Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus ,Vox estis lux mundi') sollten auch in der italienischen Bischofskonferenz bis Ende Mai 2020 Missbrauchs-Meldestellen flächendeckend in allen Diözesen installiert werden. Wie aus dem jetzt vorgelegten Bericht hervorgeht, haben mit 70,8 Prozent noch nicht alle italienischen Diözesen Meldestellen aktiviert, an die sich Betroffene wenden können. In den großen Diözesen liege der Anteil etwas höher (84,8 Prozent). Die vorhandenen kirchlichen Meldestellen würden „zu 83,3 Prozent von einer Expertengruppe unterstützt“. In der Pressekonferenz zur Vorstellung des Berichtes ergänzte Erzbischof Baturi, dass es aber in nahezu jeder Diözese inzwischen einen Kinderschutzbeauftragten gebe.

„Wer auch immer der Täter sein mag“

Der Präsident des nationalen Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und vulnerablen Personen der italienischen Bischofskonferenz (CEI), Lorenzo Ghizzoni, sprach bei der Pressekonferenz an diesem Donnerstag davon, dass in der italienischen Kirche bereits eine neue und andere Kultur im Kampf gegen Missbrauch wahrnehmbar sei. Das lasse sich an Beschlüssen der Bischofskonferenz und einer „wichtigen Aufmerksamkeit" für das Phänomen ablesen. Es sei an der Zeit, „dass die schmutzige Wäsche nicht mehr in der Familie gewaschen wird", formulierte Ghizzoni. Die Vergehen müssten in jedem Fall angezeigt werden, „wer auch immer der Täter sein mag", so der Erzbischof von Ravenna, ohne hier konkreter zu werden. 

Kritik von Betroffenen

Das größte italienische Betroffenennetzwerk Rete L'Abuso kritisierte den Bericht als „sehr beschränkt", vor allem wegen des Einbezugs allein von Meldungen aus kirchlichen Meldestellen und des engen Untersuchungszeitraumes von nur zwei Jahren. Alle anderen Fälle, die der Justiz, dem Betroffenennetzwerk und der Glaubenskongregation (bzw. jetzt -Dikasterium, Anm.) direkt gemeldet worden seien, seien nicht enthalten, kritisierte Rete L'abuso. Auch gehe aus dem Bericht keine willentlich-aktive Zusammenarbeit mit den Justizbehörden hervor. 


(vatican news – pr)
 

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17. November 2022, 14:17