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Die First Nations-Vertreterin und Residential School-Überlebende Gerry Shigouz (Foto: Marine Henriot) Die First Nations-Vertreterin und Residential School-Überlebende Gerry Shigouz (Foto: Marine Henriot) 

Internats-Überlebende: „Hier für meine Eltern, deren Kinder entführt wurden“

Sie sei für ihren Bruder gekommen, der nie über seinen Schmerz berichten konnte. Und um ihrer Eltern willen, denen die Kinder genommen wurden. Gespräch mit einer Residential School-Überlebenden, die nach Maskwacis kam, um den Papst zu treffen.

Francesca Merlo, Anne Preckel und Marine Henriot – Vatikanstadt/Edmonton, Kanada

Gerry Shigouz kommt aus dem Tootinaowaziibeeng-Reservat in der kanadischen Provinz Manitoba, wo heute etwa 1600 Mitglieder ihres Volkes leben. Die First Nations-Vertreterin ist extra nach Alberta gereist, um dort an der Begegnung mit Papst Franziskus in Maswacis teilzunehmen. Leicht sei ihr die Teilnahme an dem Papst-Treffen mit Indigenen nicht gefallen, sagte sie am Montag vor Ort gegenüber Radio Vatikan:

„Ich bin wirklich nervös, heute hier zu sein. Aber hier bin ich nun und suche eine Entschuldigung – mehr als nur Worte hoffe ich auf Taten. Ich wünsche mir, dass es eine aufrichtige und wahrhaftige Entschuldigung ist und dass Verantwortung für den Schaden und das Unrecht übernommen wird.“

Zum Nachhören - was eine Überlebende sagt

Geschwisterkinder von Eltern getrennt

„George konnte seine Geschichte nie teilen.“

Die Indigene mittleren Alters berichtet, dass sie von 1962 bis 1971 als Mädchen die Residential School Muscoweguan in Lestock in der Provinz Saskatchewan besuchte, auf die auch ihre Geschwister gebracht wurden. „Mein Bruder George besuchte sie elf Jahre lang, meine Schwester Darlene zehn Jahre lang und meine jüngere Schwester Connie sechs Jahre lang“, so Gerry.

Die Erfahrung, die die Geschwisterkinder dort machten, hätten die gesamte Familie gezeichnet, schildert die First Nations-Vertreterin. Sie fühle sich heute vor allem gegenüber ihren Lieben verpflichtet, dieses Unrecht bekanntzumachen. Deshalb sei sie auch nach Maskwacis gekommen:

„Ich bin heute hier, um meinen Bruder George zu verteidigen. George konnte seine Geschichte nie teilen. Er ist nie Vater geworden. Er hat seinen Schulabschluss nicht gemacht, weil er im Internat so viele Traumata erlebt hat“. Auch für ihre Eltern sei sie gekommen, so Gerry, „für meine Mutter und meinen Vater, weil ihre Kinder entführt wurden. Ich stehe hier für sie.“

Zerfurchtes Leben

„Die Welt muss wissen, was passiert“

Sie selbst habe erst Jahrzehnte später, im Jahr 2010, langsam begonnen, über das Leid zu sprechen, dass sie und ihre Geschwister an der Schule erlebten. Im selben Jahr habe sie ihre Beziehungen zur Kirche abgebrochen. Nachdem sie ihr Schweigen gebrochen hatte, habe sie begonnen, ihre Geschichte mit anderen Schülern der Residential Schools zu teilen und darüber in kanadischen Schulen zu berichten.

„Ich habe meine Geschichte bis heute mit rund 15.000 Schülern geteilt, von der Grundschule bis zur Universität. Ich teile meine Geschichte, weil es mir am Herzen liegt, dass die Wahrheit über unsere Geschichte und das, was passiert ist, ans Licht kommt, damit die Menschen es wissen“, so die Indigene. „In den Schulen wird darüber nämlich wenig berichtet“, fügt sie an.

Den Besuch der Indigenen-Delegation, die im Februar Papst Franziskus im Vatikan besuchte und ihn nach Kanada einlud, hat Gerry sehr aufmerksam wahrgenommen. Über die hunderten Kinderleichen, die bis heute auf dem Gelände der kanadischen Internatsschulen gefunden wurden, sei dabei nicht gesprochen worden, sagt sie. Franziskus hatte von der Delegation im Vatikan gleichwohl ein paar Kindermokassins erhalten, die das Leid indigener Kinder symbolisierten. Der Papst gab diese Mokassins am Montag in Maskwacis zurück – im Gedenken an „diejenigen, die aus den Internatsschulen leider nicht mehr nach Hause zurückkehrten“, und er sprach von „Schmerz, Empörung und Scham“.

Wissen und Trauern

„Die Welt muss wissen, was passiert“, hebt First Nations-Vertreterin Gerry Shigouz hervor: „Ich möchte, dass die Menschen wissen, dass sie trauern. Wir trauern und es tut uns leid für diese kleinen Kinder, die nie nach Hause zurückgekehrt sind.“

Die Muscowequan Residential School war von 1889 bis 1997 in Betrieb, sie stand bis 1969 unter kirchlicher Leitung. Das Umerziehungsinstitut befand sich bis 1895 im Muskowekwan-Reservat, bevor es dann mit Unterstützung der Bundesregierung außerhalb des Reservats in Lestock, Saskatchewan, untergebracht wurde. Überlebende berichten bis heute von traumatischen Erfahrungen durch Gewalt und verschiedene Formen von Missbrauch.

(vatican news – pr)

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26. Juli 2022, 13:47