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Russland: „Ein besonders trauriges Spektakel“

„Ein besonders trauriges Spektakel“: So wertet der Religionssoziologe Detlev Pollack die Rolle der russisch-orthodoxen Kirche angesichts des Ukraine-Kriegs.

In der FAZ vom Montag schreibt Pollack, die russisch-orthodoxe Kirche stelle sich „nicht an die Seite der Schwachen und Verfolgten, sondern hofiert den Gewaltherrscher und bietet ihm ideologisches Rüstzeug“. Das sei eine „fatale Rolle“.

Grund dafür sei letztlich, „dass sie ihr kompromittierendes Bündnis mit den Machthabern zu keiner Zeit aufgab“ und „kaum eine Diskussion ihrer Fehler zuließ“. Außerdem werde „ihr Angebot einer religiös-ethnischen Identität begierig von einer desorientierten Bevölkerung aufgegriffen“, so der Forscher von der Uni Münster.

„Dieses religiös aufgeladene Nationalbewusstsein ist alles andere als harmlos“

Die „Renaissance der Religion in Russland“ seit den neunziger Jahren geht aus Pollacks Sicht „in erster Linie“ darauf zurück, „dass die orthodoxe Kirche nach 1992 zur Trägerin nationaler Identität aufstieg“, warnt Pollack.

Der Moskauer Patriarch Kyrill I. ist in den vergangenen Tagen mit Aussagen aufgefallen, der Westen sei schuld am Krieg. Die russischen Angriffe legitimierte er indirekt damit, Gläubige sollten vor „Gay-Pride-Paraden“ Homosexueller geschützt werden. Dies sei „keineswegs nur eine taktische Finte, um konservative Gläubige zu gewinnen“, betont Pollack: „Homophobie, Xenophobie und Homogenitätsvorstellungen sind essenziell für die orthodox-autokratische Weltsicht“.

Patriarch Kyrill I.
Patriarch Kyrill I.

Kyrill legt nach

An diesem Sonntag hat Kyrill erneut der ukrainischen Regierung vorgeworfen, Gläubige seiner Kirche zu unterdrücken. Er sei allerdings optimistisch, „dass der orthodoxe Glaube und die orthodoxe Kirche keinen Schaden durch die gegenwärtigen politischen Prozesse erleiden werden, die hoffentlich schnell enden“, so Kyrill in einer Predigt in Moskau.

Theologin Hallensleben: Gläubige auf beiden Seiten der Front

Die Fribourger Theologin und Hochschullehrerin Barbara Hallensleben sieht die russische orthodoxe Kirche angesichts des Kriegs in der Ukraine vor einer „Zerreißprobe“. Es sei „unerträglich“, dass der Moskauer Patriarch Kyrill I. den „abscheulichen“ Krieg nicht mit ganzer Entschiedenheit verurteile, betonte die Ostkirchen-Expertin in einem Zeitungsbeitrag.

Nicht nur die westliche Welt sei entsetzt, auch die orthodoxen Gläubigen der Moskauer Kirche in der Ukraine und überall in der Welt beginnen sich klar zu distanzieren, so Hallensleben. Beim Krieg in der Ukraine handle es sich zwar um einen „Krieg Putins“, den die russische orthodoxe Kirche nicht initiiert habe. Die Kirche sei „jedoch auf unheilvolle Weise in ihn verstrickt“.

Als Oberhaupt einer Kirche, deren Gemeinden auf beiden Seiten der Front leben „und deren Gläubige nun als Soldaten genötigt sind, aufeinander zu schießen“, wie die Theologin erinnerte, seien die Augen der Welt auf Kyrill I. gerichtet. Die russische orthodoxe Kirche sei „kurz davor, genau das zu verlieren, worum es dem Patriarchen geht: kirchliche Gemeinschaft mit dem Ursprung der Christianisierung Russlands im Jahr 988 durch die Taufe von Fürst Wladimir von Kiew“.

Gottesdienst in der Andreaskirche in Kiew am 13. März
Gottesdienst in der Andreaskirche in Kiew am 13. März

Ostkirchenkundler Bremer: Gemeinden wenden sich ab

Dass sich russisch-orthodoxe Gemeinden von ihrem Oberhaupt in Moskau abwenden, ist laut dem deutschen Ostkirchenexperten Thomas Bremer derweil nicht nur in Europa, sondern auch in USA oder Kanada zu beobachten: „überall, wo es russisch-orthodoxe Gemeinden gibt“. Aus seinen Kontakten mit Priestern und Bischöfen wisse er, „dass sie Kyrill nicht mehr als ihren Patriarchen betrachten, weil sie sagen: Er lässt uns im Stich“, sagte der Professor für Ostkirchenkunde und Friedensforschung am Ökumenischen Institut der Universität Münster am Sonntag im WDR-Interview.

Selbst die von Metropolit Onufrij geführte ukrainische russisch-orthodoxe Kirche (UOK-MP) habe bereits zu Kriegsbeginn ihr Oberhaupt in Moskau gebeten, sich beim Kreml-Chef für Frieden einzusetzen, so Bemer. „Viele Bischöfe und Priester haben inzwischen aufgehört, in der Liturgie für Kyrill zu beten. Das heißt, die Kirche hat sich sehr klar und sehr eindeutig auf die ukrainische Seite gestellt.“

Auch wenn es vermutlich zu früh sei für Prognosen sei: Nach dem Krieg, so vermutet der Professor, werden wohl einige der ukrainischen Bischöfe eine Art „Reueerklärung“ gegenüber Moskau abgeben, während die übrigen Bischöfe von der russisch-orthodoxen Kirche abgesetzt würden. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Autonomie, die der ukrainische Zweig der russisch-orthodoxen Kirche jetzt hat, dann aufgehoben wird und dass man sich sozusagen wieder ganz 'einordnet'“, prognostiziert Bremer.

Theologe Kremer: Moralischer Tiefpunkt

Für den Theologen Thomas Kremer von der deutschen Universität Eichstätt steht indes fest: Die russisch-orthodoxe Kirche hat nur noch ohne Patriarch Kyrill I. eine Zukunft. Dessen Haltung zum Ukraine-Krieg markiere „einen moralischen Tiefpunkt in der Geschichte der Christenheit“, schreibt Kremer auf dem Portal „katholisch.de“. Es sei für die russisch-orthodoxen Gemeinden an der Zeit, „sich entschieden und unerschrocken zu bekennen“, so der Professor für die Theologie des Christlichen Ostens. Das täten sie „vielleicht noch nicht lautstark genug“.

(faz/kap – sk)

- aktualisiert um 14.45 uhr - 

 

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14. März 2022, 11:26