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Die maronitische Kathedrale von Aleppo Die maronitische Kathedrale von Aleppo 

Aleppo: Christliche Existenz auf der Kippe

Vor dem Krieg waren es 150.000. Heute sind es noch 30.000. Wir sprechen von Christen, und zwar allein in Aleppo. In ganz Syrien bedroht die Auswanderungswelle eine Präsenz von Christen, die bis in die ersten Jahrzehnte des Christentums überhaupt zurückreicht.

Dabei ist diese christliche Präsenz nicht nur für Syrien selbst wichtig, sondern eigentlich auch für die westliche Welt. Das sagt Joseph Tobji, maronitischer Bischof von Aleppo, in einem Interview mit Radio Vatikan.

„Die christliche Präsenz im Orient, auch in Aleppo, ist Tausende von Jahren alt, seit der Zeit der Apostel! Darum ist es sehr wichtig, dass sie fortbesteht, denn das kommt auch der Weltkirche zugute, nicht nur dem Orient. Zum einen aus Gründen der spirituellen Kontinuität. Zweitens aber ist die Präsenz von Christen in Aleppo und Syrien wichtig als eine Art Puffer zwischen Orient und Westen. Denn wir sprechen Arabisch – wir sind von der Kultur her Araber.“

Orthodoxe Christen in Aleppo mit islamischen Würdenträgern
Orthodoxe Christen in Aleppo mit islamischen Würdenträgern

„Wir sind eine Brücke, ein Puffer“

Darum verstehen sich die Christen, wie der Bischof beteuert, gut mit ihren muslimischen Landsleuten. „Und das kommt auch den Muslimen und dem Christentum im Westen zugute. Wir sind eine Brücke, ein Puffer, sagen wir, und wir sind auch ein Bindeglied menschlicher Kultur für die Leute hier.“

Wenn Christen und Muslime in Syrien gut miteinander auskommen, miteinander reden und leben können, so die These des Bischofs, dann können sie es auch in anderen Teilen der Welt.

Zum Nachhören: Ein Gespräch mit dem maronitischen Bischof von Aleppo in Syrien - Radio Vatikan

„Das kann auch ein Modell für die ganze Welt sein! Wir beten manchmal zusammen, Muslime und Christen; und die einfachen Leute haben muslimische Nachbarn, das heißt, Christen und Muslime arbeiten zusammen. Das vermittelt nebenbei eine reale Vorstellung von unserem Glauben und unseren menschlichen Werten, die auch von Gott kommen, und trägt somit dazu bei, die muslimische Mentalität hier in Syrien zu öffnen. Hier ist es anders als in Saudi-Arabien. Der Islam hier unterscheidet sich vom Islam in anderen Teilen der Welt, in der Türkei oder in Afghanistan, weil hier beide Religionen koexistieren, und deshalb gibt es ein anderes Umfeld, eine andere Atmosphäre der Menschlichkeit.“

„Junge Leute fühlen sich ausgequetscht wie eine Zitrone“

Um diesen Dialog zwischen Christen und Muslimen aufrechtzuerhalten, müssten die Christen im Land bleiben. Das Problem ist aber, dass die jungen Leute weggehen. In Syrien sehen sie keine Perspektive mehr für sich.

„Natürlich finden sie keine Hoffnung und keine Zukunft, und sie fühlen sich ausgequetscht wie eine Zitrone... Ein junger Mann, der etwas leisten will, der handeln will, kann nicht in diesem syrischen Umfeld leben, das von Depression und Druck geprägt ist. Aber es ist gar nicht so sehr der politische Druck; es ist der Druck des Lebens, der Druck des Alltagslebens. Junge Menschen studieren fünf Jahre lang an der Universität, um dann keine Arbeit zu finden, oder wenn sie doch Arbeit finden, reicht der Lohn nicht aus, um Zigaretten zu kaufen.“

Kein Wunder, dass sie vom Westen träumen. „Sie wollen wie die Westler leben, sie denken an ein romantisches Leben, ein gutes Leben, eine Zukunft mit Arbeit, Freiheit und Wohlstand. All das steht den jungen Leuten ständig vor Augen, vor allem wenn sie ihre Freunde sehen, die im Ausland arbeiten und Selfies vor Palästen und Gärten machen. Bei uns gibt es das alles nicht, und so wird dieser Traum in den Köpfen unserer jungen Leute immer stärker.“

So sah es im März 2017 im Stadtviertel al-Shaar von Aleppo aus
So sah es im März 2017 im Stadtviertel al-Shaar von Aleppo aus

Aufhebung der Sanktionen? Tobji ist pessimistisch

Dass Syrien in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt, hängt nicht nur mit dem immer noch auf kleiner Flamme weiterköchelnden Bürgerkrieg zusammen, sondern auch mit den internationalen Sanktionen gegen das Land. Christen jedweder Couleur fordern die Aufhebung dieser Sanktionen – auch Bischof Tobji. Doch er sagt ehrlich:

„Eigentlich bin ich in dieser Hinsicht pessimistisch, denn menschlich gesehen gibt es für die westlichen, amerikanischen und europäischen Politiker keinen Grund, die Sanktionen aufzuheben, weil sie sie verhängt haben, um eine Gegenleistung zu erhalten. Und diese Gegenleistung gibt es noch immer nicht. Jetzt bin ich nur im Glauben optimistisch, denn der Herr kann alles tun, nichts ist unmöglich… aber menschlich gesehen sehe ich keinen Ausweg.“

Vorher - nachher
Vorher - nachher

Kathedrale stand direkt an der Frontlinie

Die maronitische Kathedrale steht mitten in der Innenstadt von Aleppo. In den Jahren, als Aleppo belagert wurde, verlief hier die Frontlinie.

„Die syrische Armee stand vor der Fassade, und die Terroristen - wir sagen Terroristen, nicht Rebellen! - standen hinter der Kathedrale und schossen auf ihre Gegenüber. Da unsere Kirche das höchste Gebäude in der Nachbarschaft ist, wurde sie von allen Bomben und Raketen getroffen. Ich fand sie also ohne Dach vor, mit einer Kuppel voller Löcher, ein großer Teil der Wände war zerstört, und so weiter. Im Grunde genommen eine Katastrophe.“

Tobji war auch 16 Jahre lang Pfarrer der Kathedrale gewesen; die Zerstörungen an dem Bau waren für ihn kaum zu verkraften. Sobald sich die Gelegenheit ergab, begann er mit dem Wiederaufbau.

„Der Wiederaufbau, die Restaurierung dieser Kathedrale, ist wirklich von grundlegender Bedeutung, denn sie ist ein Zeichen der Hoffnung und ein Zeugnis der christlichen Präsenz hier in Aleppo. Es gab einen großen Wunsch, eine Beharrlichkeit bei vielen Menschen, sie wiederaufzubauen. Natürlich: Wir haben zwei Jahre gewartet, um zuerst die Häuser der Menschen, die Wohnungen, wiederaufzubauen, und erst danach haben wir uns an den Wiederaufbau der Kathedrale gemacht. Sie ahnen gar nicht, wie sehr das die Bevölkerung gefreut hat – Maroniten, aber auch Muslime. Die sagten: Endlich seid ihr wieder da! Sie ist ein Zeichen der Hoffnung, eine leuchtende Präsenz.“

(vatican news – jean-charles putzolu/sk)
 

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14. Dezember 2021, 12:16