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1961: John F. Kennedy (rechts) mit Nikita Chruschtschow in Wien 1961: John F. Kennedy (rechts) mit Nikita Chruschtschow in Wien 

John F. Kennedy und die Rückkehr zum Multilateralismus

„Wir beten zu Gott, dass das Opfer John Kennedys der Sache dient, für die er sich eingesetzt hat: der Verteidigung der Freiheit der Völker und des Weltfriedens.“ Mit diesen bewegenden Worten erinnerte Papst Paul VI. am 23. November 1963 an den am Vortag in Dallas ermordeten Staatsmann, den er als ersten katholischen US-Präsidenten nur wenige Monate zuvor im Vatikan empfangen hatte. Die Vatikanzeitung L'Osservatore Romano lässt Licht und Schatten seiner Präsidentschaft Revue passieren.

Alessandro Gisotti und Silvia Kritzenberger - Vatikanstadt

Es ist bezeichnend, dass jedes Jahr, wenn sich der Todestag von JFK nähert, Analysen über diese „unterbrochene Präsidentschaft“ angestellt werden: ein Zeichen dafür, dass sie auch heute, fast 60 Jahre später, noch eine Anziehungskraft ausübt, die weit über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinausgeht.

Die Hoffnung, der beste Verbündete des Friedens...

Wie Agostino Giovagnoli, Professor für Zeitgeschichte an der Katholischen Universität Mailand, im Gespräch mit dem L'Osservatore Romano betont, „war die Außenpolitik Kennedys zwar widersprüchlich, wie es die Außenpolitik vieler Länder oft ist, vor allem in der heutigen Zeit, in der es viele und komplexe Probleme zu bewältigen gilt. Mit dem Bild der New Frontier (Präsident Kennedys Ruf zum Aufbruch zu "New Frontiers", zu neuen Grenzen, stand für die Wiederaufnahme der Fortschrittsmission der USA, Anm.d.Red.) war es ihm aber gelungen, ein Klima der Hoffnung zu schaffen, das immer der beste Verbündete des Friedens ist. Dieses Motto entsprach den Bestrebungen der Völker um internationale Zusammenarbeit, die Anfang der 1960er Jahre sehr stark waren und deren Hauptakteur Johannes XXIII. war. Ein Papst, der viel dazu beigetragen hat, das bleierne Klima des Kalten Krieges zu vertreiben, eine Eskalation zu verhindern - zum Beispiel in der Kuba-Krise - und einen intensiveren Multilateralismus zu fördern, in dessen Mittelpunkt große internationale Organisationen wie die UNO standen. Es waren die entscheidenden Jahre der Entkolonialisierung: 1961 wurde als 'Jahr der Unabhängigkeit' bezeichnet - und es schien, dass die Welt nun eine andere werden könnte.“

„Lasst uns nie aus Angst verhandeln, aber lasst uns auch niemals Angst davor haben, zu verhandeln.  (John F. Kennedy)“

Pasquale Ferrara, Professor für Diplomatie und Verhandlungsführung an der römischen Universität LUISS, erinnert an folgenden berühmten Ausspruch Kennedys: „Lasst uns nie aus Angst verhandeln, aber lasst uns auch niemals Angst davor haben, zu verhandeln.“ Kennedy sei zwar kein eingefleischter Pazifist gewesen, habe aber durchaus an den Wert der Verhandlungen geglaubt. „Er hat mit der Sowjetunion den ersten Vertrag über ein teilweises Verbot von Atomtests unterzeichnet, ein wegweisendes Abkommen zur Rüstungskontrolle im Atomzeitalter,“ erinnert der Professor. „Ich weiß nicht, ob man Kennedy als "Multilateralisten" im heutigen Sinne des Wortes bezeichnen kann. Damals hatte man keine große Wahl. Heute sind die Vereinigten Staaten, obwohl sie sich weiterhin stark für die UNO engagieren, sehr daran interessiert, Koalitionen zu wichtigen globalen Fragen zu bilden. In den Kennedy-Jahren bestand das grundlegende Ziel der Vereinigten Staaten darin, den UN-Sicherheitsrat und das Atlantische Bündnis zum Funktionieren zu bringen: zwei multilaterale Institutionen im wahrsten Sinne des Wortes.“

John F. Kennedy: ein US-Präsident, der für den europäischen Einigungsprozess sensibel war

Einer der Väter Europas, Jean Monnet, sah in Kennedy einen amerikanischen Präsidenten, der für den europäischen Einigungsprozess besonders sensibel war. Aber JFK war auch ein Befürworter einer engeren atlantischen Partnerschaft, die bekanntlich auf den Widerstand Charles de Gaulles stieß, der sich gegen einen Beitritt Großbritanniens in die EG aussprach.

Dennoch hat die Präsidentschaft Kennedys in den Beziehungen zwischen Washington und Brüssel durchaus ihre Spuren hinterlassen. Wie Professor Ferrara betont, habe Kennedy versucht, die politische Einheit des Westens wiederzubeleben, ja, er sei sogar so weit gegangen, eine gemeinsame atlantische Atomstreitmacht vorzuschlagen, an deren Verwaltung die europäischen Mächte, allen voran Großbritannien, beteiligt werden sollten. „Heute ist es interessant zu beobachten, dass sich Großbritannien wieder von der EU löst und zu einer bilateralen Sicherheitsvereinbarung tendiert (wie in dem jüngsten Abkommen zwischen Griechenland und Frankreich). Ganz zu schweigen von den Spannungen an den östlichen Grenzen (Weißrussland, Ukraine), die sich von denen des Kalten Krieges zwar stark unterscheiden, aber nicht weniger beunruhigend sind. Das Vermächtnis Kennedys legt nahe, dass das 'Europa der Nationen' sehr viel zerbrechlicher ist als das Europa der Integration, sowohl strategisch und sicherheitstechnisch als auch symbolisch als gemeinsamer politischer Raum,“ zieht Ferrara Bilanz.

„John Kennedy hat im Rahmen des Kalten Krieges einen wichtigen Beitrag zur Entspannungspolitik geleistet. “

Sicher ist, dass die diplomatische Lösung der Kuba-Krise auch nach mehr als einem halben Jahrhundert immer noch als dramatischster Moment der Präsidentschaft Kennedy eingestuft werden kann. Der Historiker Agostino Giovagnoli betont: „John Kennedy hat im Rahmen des Kalten Krieges einen wichtigen Beitrag zur Entspannungspolitik geleistet. Dies war besonders nach der Kuba-Krise im Jahr 1962 der Fall, als die Welt kurz vor einem Atomkrieg stand: eine Gefahr, die die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion dazu veranlasste, einen Dialog aufzunehmen, der zum Abbau ihrer jeweiligen Raketenbasen in verschiedenen Ländern - darunter auch Italien - und zu Verhandlungen über die Eindämmung von Atomwaffen führte. 1963 besuchte Kennedy Berlin und sprach zwei Jahre nach dem Mauerbau den berühmten Satz: "Ich bin ein Berliner". Einen Satz, der einerseits die Solidarität des Westens mit den Berlinern zum Ausdruck brachte, andererseits aber die Mauer auch als Tatsache anerkannte, die nicht mehr in Frage gestellt werden konnte.“

Kennedy, Johannes XXIII. und Chruschtschow

Die Figur des amerikanischen Präsidenten wird oft mit den beiden anderen Protagonisten jener Jahre verglichen. Die Themen Frieden, Dialog und nukleare Abrüstung standen sicherlich im Mittelpunkt der Präsidentschaft Kennedys, die auch die militärische Eskalation in Vietnam einleitete. Licht und Schatten eines Präsidenten also, dessen internationale Anziehungskraft noch heute ungebrochen ist. Eine Anziehungskraft, die laut dem Historiker Agostino Giovagnoli „weitgehend mit den Bestrebungen einer westlichen Welt zusammenhing, die sich immer weiter von der Tragödie des Zweiten Weltkriegs entfernte, einen wachsenden Wohlstand erlebte und von einem unbegrenzten Fortschritt träumte. Die Möglichkeit, Modernisierung und Gerechtigkeit immer enger miteinander zu verbinden, schien in greifbare Nähe gerückt.“

„Wir können zwar nicht die Unterschiede beseitigen, aber wir können eine Welt schaffen, in der Vielfalt nicht unbedingt ein unüberwindbares Problem darstellt  (John F. Kennedy)“

Das Charisma Kennedys hing sicher auch mit seinem "offenen" Blick auf die Welt und die internationalen Beziehungen nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs zusammen, die er als im Pazifik stationierter Marineoffizier am eigenen Leib erfahren hatte. Und auch wenn der internationale Kontext heute natürlich ein ganz anderer ist als zur Zeit Kennedys, so hat er uns doch eine wichtige Lektion hinterlassen, die Professor Pasquale Ferrara wie folgt auf den Punkt bringt: „John F. Kennedy hat gesagt, dass wir unsere Unterschiede zwar nicht beseitigen können, aber dass wir eine Welt schaffen können, in der Vielfalt nicht unbedingt ein unüberwindbares Problem darstellt.“

(L´osservatore romano – skr)
 

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22. November 2021, 15:00