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Jerusalem, mal anders: Stefan Gödde erzählt

Es ist spannend, ins Heilige Land zu reisen, weil vieles von dem, was man im Kopf an Vorstellungen hat, „ein bisschen durchgeschüttelt wird“. Mit diesen Worten resümiert der deutsche TV-Journalist Stefan Gödde seine Jerusalem-Erfahrungen, die er in einem bemerkenswerten kleinen Reiseführer mit dem Titel „Nice to meet you, Jerusalem“, vorgelegt hat.

Gödde ist selbst katholisch und reist als Moderator der TV-Sendung „Galileo“ in alle Erdteile. Nach Jerusalem zieht es ihn aber regelmäßig zurück. Warum?, wollte Gudrun Sailer von ihm bei einem Besuch in den Studios von Radio Vatikan wissen.

Radio Vatikan: Herr Gödde, sie haben ein Buch über Jerusalem geschrieben, aus dem in jeder Zeile klar wird, wie sehr Sie diese Stadt fasziniert. Was ist das Faszinierende für Sie an Jerusalem?

Stefan Gödde: Für mich persönlich gibt es keine andere Stadt auf der Welt, in der sich Religion, Kultur, Nationen und Weltanschauungen so sehr verdichten, wie in Jerusalem. Es ist eine ganz intensive Stadt. Wenn man zum Beispiel auf dem Dach des österreichischen Pilgerhospizes steht – das ja ein österreichisches Hospiz ist inmitten des muslimischen Viertels – wo man im wunderschönen Garten dieses Hospizes Sachertorte essen kann…

Radio Vatikan: …. Sachertorte mit Schlagobers…!

Stefan Gödde:  Wunderbar! Und wenn man dann da oben auf der wunderbaren Dachterrasse steht und einen super Blick über die ganze heilige Stadt hat und dann auf der einen Seite den Felsendom sieht, dann die Klagemauer erahnt und die Grabeskirche sieht, also die großen Heiligtümer im Islam, im Judentum und im Christentum, und wenn dann gleichzeitig noch die Sonne untergeht und die Muslime in der Stadt anfangen zu singen, zum Gebet zu rufen – dann knistert die Luft. Das ist eine ganz besondere Stimmung. Jeder, der schon einmal da war, wird mir Recht geben, dass man dieses Gefühl, das man da hat, gar nicht beschreiben kann – das sollte man einmal erleben haben. Genau deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.

Hier das Interview zum Hören:

Radio Vatikan: Jerusalem ohne Religionen gibt es nicht, sagen Sie. Sie waren unter vielen anderen Episoden, die Sie nacherzählen, auch zu Gast bei einem jüdischen Shabbat-Dinner. Was kann man dabei erleben?

Stefan Gödde: Das ist deswegen so faszinierend, weil ich das Glück hatte, mit einem, wie er sich selbst nennt, „modernem orthodoxen Rabbi“ am Tisch zu sitzen, mit seinen acht Kindern und seiner Frau. Gleichzeitig waren auch 20 christliche Pilger aus Amerika da. Das war in einem Wohnzimmer, das nicht so groß war, dass es nicht sehr kuschelig gewesen wäre… Aber das war ein Erlebnis, weil man tatsächlich die alten jüdischen Rituale hautnah miterlebt. Das bedeutet: Vor dem Essen wäscht man sich rituell die Hände und spricht auch hebräische Worte dazu, dann schweigt man, um konzentriert zu sein. Der Rabbi bricht das Brot, dann bekommt man das Essen serviert – rituelles Essen, das jüdischer nicht sein könnte.

Radio Vatikan: Was war für Sie das wirklich Besondere an diesem Sabbat-Abend?

Stefan Gödde: Besonders emotional war für mich, als der Rabbi und seine Frau ihre Kinder gesegnet haben. Die kommen nach vorne in der Reihenfolge ihrer Geburt, das älteste Kind zuerst, Rabbi Josh Weisberg legt seine Hände auf den Kopf des Kindes, geht ganz nah mit den Lippen an den Kopf des Kindes und spricht einen Segen, unter anderem auch den aaronitischen Segen, den wir auch im Christentum kennen. Das ist ein ganz besonderer Augenblick. Seine Frau macht das auch noch. Rabbi Josh hat mir erzählt, dass seine Mutter, wenn sie dabei ist, jedes Mal weinen muss, weil das so ein emotionaler Moment ist. Man kann dabei sein und das tatsächlich auch tun. Alles, was ich in dem Buch beschreibe, ist ganz konkret „nachreisbar“. Alle Protagonisten, alle Menschen, die ich beschreibe, mit denen ich spreche, die ich treffe, die kann jeder auch treffen.

Radio Vatikan: Wenn wir über das Heilige Land und über Jerusalem berichten, dann berichten wir meist im Zeichen eines Konfliktes, der auch religiös determiniert ist. Sie selbst haben in Jerusalem eher den Frieden zwischen den Religionen nachvollziehen können – ist das richtig?

Stefan Gödde: Es ist richtig. Ein Freund von mir, Pater Nikodemus Schnabel von der Dormitio in Jerusalem sagt in dem Buch, das er geschrieben hat und das „Zuhause im Niemandsland“ heißt: In Jerusalem gibt es keinen Smalltalk. Nichts ist egal in dieser Stadt, weil alles eine Bedeutung hat. Und gleichzeitig müssen die verschiedenen Religionen und die Menschen in dieser Altstadt, die ja relativ überschaubar ist, klein und eingefasst, miteinander klarkommen. Das ist das Faszinierende in Jerusalem, dass es da – mit Ausnahmen, aber trotzdem – im Großen und Ganzen klappt. Für mich persönlich war es so erstaunlich, weil ich sehr katholisch sozialisiert, in Paderborn geboren wurde und im Sauerland aufgewachsen bin. Für mich gab es eigentlich nur den Katholizismus. Aber in Jerusalem wird einem klar, womit der Katholizismus eigentlich konkurriert - mit anderen Religionen, aber auch mit anderen christlichen Konfessionen. Ich persönlich habe mir über meine eigene Religion erst so richtig in Jerusalem Gedanken gemacht.

Radio Vatikan: Sie haben sich spürbar gut eingelesen und eingehört in den Sound von Jerusalem, bevor Sie dieses Buch geschrieben haben. Aus Ihrer Sicht: Wie wichtig ist Wissen über die drei monotheistischen Religionen, um Jerusalem zu ertragen?

Stefan Gödde: (lacht) Gut zu ertragen, das ist eine gute Formulierung, weil Jerusalem einen tatsächlich ein bisschen erschlagen kann, wenn man zum ersten Mal da ist. So ging es mir zumindest. Dann hat man in vielen Aspekten eine ganz andere Vorstellung von dem Ort. Zum Beispiel, was den Kreuzweg betrifft. Gerade jetzt, wenn man in Rom ist und sehr viel Marmor sieht, sehr viel Glanz und Opulenz, alles ist ehrwürdig. Dann denkt man, in Jerusalem, wo alles seinen Ursprung hat, wo das alles passiert ist, da wird es wohl auch so ehrwürdig sein (lacht) – ist es nicht. Es ist spannend, ins Heilige Land zu reisen, weil vieles von dem, was man im Kopf an Vorstellungen hat, ein bisschen durchgeschüttelt wird.

Radio Vatikan: Und das ist gut, nicht?

Stefan Gödde: Ja, das finde ich gut, weil ich glaube, im Heiligen Land zu sein, kann einem auch viel spirituelles Wachstum verschaffen – wenn man dort ist, wo Jesus war. Wenn man am See Genezareth ist und sieht, was er gesehen hat. Das lässt einen die Evangelien, die Schrift, neu durchdringen. Deswegen kann ich nur jedem empfehlen, der sich vielleicht noch nicht traut, da einmal hinzufahren. Es einfach zu tun. Man kann das machen – klar, es gibt dort mehr bewaffnete Menschen auf den Straßen, aber wenn man ehrlich ist, auch hier in Rom, auch in Barcelona sieht man Menschen mit Waffen auf der Straße. Man kann da getrost hinreisen.

Radio Vatikan: Was kann man denn als katholisch Getaufter in Jerusalem am besten lernen?

Stefan Gödde: Mein großer Tipp für jeden, der nach Jerusalem kommt und seiner Religion auf den Grund gehen möchte: In die Grabeskirche gehen, dort, wo Jesus Christus begraben und auferstanden ist – aber nicht tagsüber. Das kann man natürlich machen, aber es sind so unfassbar viele Pilger tagsüber da, dass es ein großes Gewusel ist.

Radio Vatikan: Sie haben sich nachts darin einschließen lassen, zusammen mit wenigen anderen.

Stefan Gödde: Genau. Das kann man tun, wenn man die Franziskanerbrüder in der Grabeskirche bittet, an deren Tür in der Sakristei klopft, und fragt, ob man eine Nacht da verbringen darf. 15 Leute pro Nacht können das tun. Das ist ein erstaunliches, sehr intensives Erlebnis, weil alle Prozessionen und Liturgien, die tagsüber wegen der vielen Pilger und Touristen nicht stattfinden können, in der Nacht stattfinden. Das ist ein unglaubliches Erlebnis, weil zum Beispiel um Mitternacht die Franziskanerbrüder die gregorianischen Choräle singen, danach die griechisch-orthodoxen Mönche in ihren sehr tiefen, sonoren Stimmen eine Stunde lang singen… Man kann das alles beobachten, man kann dabei sein. Die tun das jede Nacht, die Hüter dieser heiligen Stätten. Diese uralten Lieder, diese uralten Zeremonien… Und man kann dabei sein, man muss nur wissen, dass man einmal fragen muss: Und dann geht das.

Stefan Gödde: Nice to meet you, Jerusalem: Auf Entdeckungstour ins Herz der Stadt. POLYGLOTT Edition. Das Buch kostet 15 Euro. Der Autor spendet den gesamten Verkaufserlös der Dormitio-Abtei in Jerusalem. 

(vatican news – gs)

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08. November 2019, 16:00