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Auch in Europa ist der internationale Zusammenhalt gefährdet Auch in Europa ist der internationale Zusammenhalt gefährdet 

D: „Die größte Gefahr kommt von innen“ – Bedrohte Weltordnung?

Der Handelsstreit zwischen China und den USA, der drohende Brexit, gekündigte Abrüstüngsabkommen – die uns bekannte Weltordnung scheint zu wanken. Eine Konferenz in Rom fragt: Welche Zukunft hat der Multilateralismus, also die internationale Zusammenarbeit auf Grundlage gemeinsamer Regeln? Im Gespräch mit Vatican News warnt Philipp Rotmann, stellvertretender Direktor des Global Public Policy Institute in Berlin, Sorgen von Menschen nicht ernst zu nehmen. Was Kirche tun kann: Menschen im Gespräch "mitnehmen".

Fabian Retschke - Vatikanstadt

Auf die Frage hin, ob die internationale Politik wirklich auf gemeinsamen Werten basiert, rät der Politikexperte zu Vorsicht: „Ich glaube, als Menschen teilen wir unglaublich viele Werte und alle wichtigen Werte. Da sind Chinesen nicht weniger friedfertig als Europäer oder Afrikaner oder Lateinamerikaner oder was auch immer. Aber ich glaube, wir müssen vorsichtig sein damit, den Wunsch und die Realität zu verwechseln, wenn wir immer von gemeinsamen Werten auf Ebene von Regierungen sprechen."

Rotmann betont statt dieser idealistischen die pragmatische Seite des politischen Betriebs. Der Multilateralismus sei im Wesentlichen ein Mittel oder eine Struktur, „um in einem 'Mischmasch' von gemeinsamen Werten zwischen manchen oder manchen gemeinsamen Werten – und auch eben manchen gemeinsamen Interessen – pragmatische Lösungen zu finden." Es sei die Kunst des Multilateralismus, mit eher interessenbasierten „Paketgeschäften" Partner zu finden, die „mitspielen" Rotmann nimmt es sachlich: „Das war sie auch schon die letzten fünfzig und hundert Jahre. Das ist auch nicht andersgeworden."

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Die Träger des Systems werden brüchig

Trotzdem übersieht der Spezialist für Krisenprävention und Außenpolitik nicht die Gefahren, die aktuell drohen: „Die größte Gefahr und die wichtigste Gefahr ist 'von innen'. Das multilaterale System ist im Wesentlichen von den Amerikanern entwickelt und getragen worden, vom 'weiteren Westen', Europa, Australien usw. gestützt und dann Stück für Stück vergrößert worden. Die Tatsache, dass Länder wie China und Indien und andere davon massiv profitiert haben, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Hauptträger dieses Systems eben aus dem Westen waren und sehr stark. Deshalb ist die Art, wie diese politischen Entwicklungen der letzten Jahre die Unterstützung für kooperative Lösungen, also den Multilateralismus einerseits, aber noch viel schlimmer, liberale Demokratie, Liberalismus als Wert unterminiert haben in den Ländern, die am wichtigsten sind für dieses System, am wichtigsten gewesen sind, USA, Großbritannien, Frankreich, auch andere europäische Länder, auch Italien natürlich – das ist die größte Sorge, die wir haben müssen."

Der Rechtsruck blieb aus

In dieser gegenwärtigen Lage sieht Rotmann zwei sich widersprechende Trends: „Wir sehen widersprüchliche Dinge. Wir sehen eine Re-Mobilisierung der Menschen, die sich nicht ernst genommen, nicht fair behandelt gefühlt haben und die jetzt leichte Beute werden für Leute, die mit Propaganda und Falschinformationen, wirklich Lügen, um Wählerstimmen buhlen. Wir sehen aber auch eine Re-Mobilisierung für das komplette Gegenteil, für sehr liberale, kooperative politische Ziele wie die Bekämpfung der Klimakrise." Zu denken ist dabei auch an die Schülerproteste für eine klimapolitische Wende.

Die jüngsten EU-Wahlen hätten die Furcht vor einer rechtspopulistischen Welle nur zum Teil bestätigt, so Rotmann. Grund dafür sei auch, „dass die Regierungen in ihrem konservativen oder 'mittigen' Mainstream zu lange eine ganze Reihe von Themen, nämlich sowohl die Themen der Menschen, die sich abgehängt fühlen, als auch die Themen – zum Beispiel von Jugendlichen, die sagen, ‚das mit der Klimakrise, das geht so nicht weiter, das geht mir nicht schnell genug‘ – einfach ignoriert haben und vor lauter Konsenssuche sozusagen keinen Schritt weiter gekommen sind über viel zu viele Jahre."

Nicht zu sehr Avantgarde sein

Hierbei könnten gerade auch zivilgesellschaftliche und religiöse Akteure eine wichtige Rolle spielen, so Rotmann: „Nämlich einerseits, den Druck auf die gewählten Politiker hochzuhalten, die Probleme zu lösen." Zivilgesellschaft habe einen Wissensvorsprung und könne nach Lösungen forschen. Rotmann unterstreicht allerdings, sie dürfe dabei „auch nicht zu sehr nur Avantgarde sein", sondern müsse „die Leute 'mitnehmen'“.

Gerade dafür seien Religionen und die Kirchen wichtig, um die Sorgen der Menschen um ihren Lebensstil, um Wohlstand, Komfort und Kultur, im Gespräch ernstzunehmen, „dass sie ihre Sorgen äußern können". Für die politischen Debatten sei eine umfassende Einbindung wichtig, mahnt Rotmann, „dass man nach Lösungen sucht, wie man eben für alle Teile der Gesellschaft und nicht nur für die, die so reich sind, dass sie sich optimale Öko-Essen und so was leisten können, dass man für alle Leute der Gesellschaft Lösungen sucht." 

(vatican news)

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21. Juni 2019, 10:46