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Papst Franziskus appelliert in Laudato Si' dafür, die Erde, ihre Ressourcen und ihre Bewohner zu respektieren Papst Franziskus appelliert in Laudato Si' dafür, die Erde, ihre Ressourcen und ihre Bewohner zu respektieren 

5 Jahre Laudato Si': „Ein Game Changer für die Klimadebatte“

An diesem Sonntag feiert sie ihren fünften Geburtstag: Papst Franziskus' Enzyklika Laudato si`, ein beherzter und mit wissenschaftlichen Erkenntnissen unterfütterter Appell des Papstes für einen nachhaltigen Umgang mit der Schöpfung, der weit über Kirchenkreise hinaus Aufmerksamkeit erregt hat. Der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat das Werk sozusagen aus der Taufe gehoben und es beim seinem Erscheinen im Vatikan vorgestellt. Wir haben mit ihm gesprochen.
Hier das gesamte Gespräch zum Nachhören

Vatican News: Fünf Jahre Laudato si' - was hat sich in den fünf Jahren seither getan, und was erhoffen Sie sich für die nächsten fünf Jahre?

Prof. Schellnhuber: Obwohl es sich nicht um eine reine Klima-Enzyklika handelt – denn der Text ist viel weiter gefasst - glaube ich, dass sie für die ganze Klimadebatte geradezu die Wirkung eines Game Changers entwickelt hat... Sie kam ja im Jahr der Pariser Klimakonferenz heraus und hat die Stimmung der Klimaverhandlungen und auch allgemein der Klimaaktivitäten der sozialen Bewegungen nachhaltig verändert. Ich denke, die Tatsache, dass der Papst sich mit seinem moralischen Gewicht in die Debatte eingemischt und ihr seine Prägung verliehen hat, hat glaube ich auch ganz entscheidend zu den erfolgreichen Entwicklungen im Klimabereich beigetragen.

„In doppelter Hinsicht ein großer Schritt nach vorn“

Ich glaube aber ebenso, dass es umgekehrt auch für die katholische Kirche eine große Bedeutung gehabt hat, weil es generell die Stimmung mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit verändert hat. Es hat viele Menschen dazu veranlasst, sich wieder stärker an der katholischen Kirche - und an Papst Franziskus - zu orientieren. Insgesamt hat das also meiner Meinung nach der Kirche einen großen Sympathiegewinn gebracht. Aber über die Enzyklika hinaus positioniert sich die der Kirche damit in Hinblick auf die Welt, die Zukunft, die Natur und die Schöpfung und setzt sich damit auseinander. Insofern handelt es sich also in doppelter Hinsicht, in Klimahinsicht wie auch damit, was die Bedeutung des Spirituellen in unserer modernen Welt angeht, um einen großen Schritt nach vorn.

Vatican News: Gleichzeitig wirkt der Klimazug aber inzwischen etwas steckengeblieben, die Weltklimakonferenz von Glasgow ist abgesagt... Wo müsste man denn jetzt eigentlich hin und gibt es dafür Impulse aus Laudato si'?

Prof. Schellnhuber: Ja, das sind Dinge, die geschehen. Die Klimakonferenz ist natürlich wegen der Covid-19-Krise abgesagt worden, das war zu erwarten. Das bedeutet aber nicht, dass im nächsten Jahr nicht vieles nachgeholt wird. Generell muss man sagen, dass die Rolle der Klimadiplomatie – trotz der Triumphe, die sie gewissermaßen nochmal in Paris gefeiert hat - nicht mehr so groß ist.

Es gibt Menschen, und dazu gehöre ich auch, die sich fragen, ob derartige Rituale wie die jährlichen Themenkonferenzen überhaupt notwendig sind. Vielleicht würde es ausreichen, wenn 10-15 Länder einfach ihren Beitrag leisten würden.

„Vielleicht würde es ausreichen, wenn 10-15 Länder einfach ihren Beitrag leisten würden“

Es kommt in der Klimadebatte und auch bei den Klimatagen eigentlich viel mehr Kraft aus der Mitte der Gesellschaft selbst. Einerseits sehen wir die Bewegung Fridays for Future, was ja eine zutiefst moralische Bewegung ist, die mit Sicherheit auch inspiriert ist durch Laudato si'. Und dann gibt es noch die unkonventionellen Bündnisse, zum Beispiel aus Kirche und Wissenschaft, Teilen der Wirtschaft, sozialen Bewegungen...

Ich selbst bin ja auch Mitglied der päpstlichen Akademie für Wissenschaften, und ich setze sehr darauf, dass die Kombination von Evidenz und Empathie, also von dem, was wir Forscher beibringen können, und dem, was natürlich auch Barmherzigkeit gegenüber anderen, Achtung und Respekt vor der Schöpfung und andren Kreaturen und Mitmenschen bedeutet, wahrscheinlich in Zukunft am wirkmächstigsten sein wird.

„Ich setze auf die Kombination von Evidenz und Empathie“

Meine Erfahrung ist, dass die Politik oft nur umsetzt, was sozusagen aus der Gesellschaft heraus an Bewegung geschieht oder eben auch eingefordert wird. Insofern ist die katholische Kirche mit der integralen Ökologie, die in der Enzyklika skizziert wird, ein ganz bedeutender „Beweger“ in der gesellschaftlichen Debatte.

Vatican News: Sie haben gerade Ihre Mitgliedschaft in der päpstlichen Akademie der Wissenschaften erwähnt, gleichzeitig sind Sie ja auch Mitglied des Krisenstabes, der den Vatikan zu Anti-Corona-Maßnahmen berät. Erzählen Sie einmal, was machen Sie da?

Prof. Schellnhuber: Es hat sich da eine relativ diverse Gruppe von Menschen zusammengefunden, um überhaupt zu versuchen, die aktuelle Situation zu bewerten. Ich bin in der Arbeitsgruppe, die sich speziell mit den Umweltaspekten auseinandersetzt. Dabei kann es geschehen, dass man verschiedene Anregungen macht, Verlautbarungen oder Informationen herausgibt. Aber das ist ja auch DIE Arbeitsgruppe des Vatikans, die sich mit der Covid-19-Krise auseinandersetzt, und da kann man dann vielleicht auch anregen, dass Papst Franziskus und beispielsweise Ursula von der Leyen versuchen, eine gemeinsame Initiative zu ergreifen. Was daraus wird, ist offen.

„Wir haben die Achtung vor der Schöpfung verloren“

Aber es wird natürlich darüber debattiert, wie etwa die Klimakrise und die Covid-19-Krise zusammenhängen. Und das hat damit zu tun, dass wir die Achtung vor der Schöpfung verloren haben. So kann man das auf den Punkt bringen. Je tiefer man etwa in unberührte Natur eindringt, desto größer ist eben die Gefahr, dass beispielsweise Seuchen entstehen, vom Tier auf den Menschen überspringen. Und wenn wir die Klimakrisen nicht in den Griff kriegen, das zeigt die neue Forschung deutlich, dann werden große Teile der Erde einfach unbewohnbar werden. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie Papst Franziskus im Zusammenhang mit der Enzyklika 2015 einmal öffentlich sagte: „Wenn wir die Natur zerstören, wird sie uns zerstören.“ Und genau das sehen wir im Augenblick.

Und noch ein sehr wichtiger Punkt, den ich auch in der Arbeitsgruppe immer wieder einbringe, ist, dass bei krisenhaften Vorgängen das richtige Timing entscheidend ist. Das gilt beispielsweise für die Klimakrise, wo der Kipp-Punkt überschritten werden könnte, oder für das exponentielle Wachstum von Infektionen etwa in der Corona-Krise. Bei beiden muss ich rechtzeitig agieren und gegensteuern, also große Ökosysteme vor dem Kollaps bewahren und Infektionen in den Griff bekommen. Das sind wieder Lehren, die man aus dem Vergleich der beiden Krisen ziehen kann.

Vatican News: Sie haben gerade etwas erwähnt, was sehr spannend klingt, nämlich eine mögliche gemeinsame Initiative von Papst Franziskus und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen. Können Sie uns dazu schon Einzelheiten nennen?

Prof. Schellnhuber: Wir suchen in diesen Gruppen und Netzwerken – derzeit bei virtuellen Treffen - natürlich nicht nur nach Analogien oder Interpretationen. Sondern ein anderer Punkt ist, wenn der Vatikan schon auf sehr hoher Ebene eine Arbeitsgruppe zu Covid-19 einrichtet, dann fragt man sich natürlich auch, was man tun kann, um das Gewicht des Vatikans für sinnvolles Handeln zu nutzen. Das ist ein Gedanke, den ich genauso wie andere in die Gruppe eingebracht habe.

„Warum sollte der ,Green New Deal' nicht nach dem Komass von Laudato si' entwickelt werden?“

Und ich glaube schon, dass wir in den nächsten Wochen genau nachdenken werden, ob man nicht eine derartige Initiative vorschlägt. Denn auf der einen Seite haben wir den „Green New Deal“, den Ursula von der Leyen verfolgt, und andererseits haben wir mit Laudato si ja so etwas wie einen „sozialökologischen Kompass“. Und warum soll der Green New Deal nicht nach diesem Kompass entwickelt werden und sich bewegen? Das ist ja eigentlich naheliegend. Ob es dann gelingen kann und in welcher Form, das kann ich natürlich nicht entscheiden. Aber ich fände es fantastisch, wenn Papst Franziskus und Ursula von der Leyen sich zu genau diesem Thema treffen würden, ob nun in Rom, in Brüssel oder vielleicht sogar in Berlin, unter der Schirmherrschaft von Angela Merkel. Das sind ja alles Personen, die sich sehr gut verstehen, glaube ich. Also würde einem solchen Treffen nichts im Weg stehen...

Zur Person

Der deutsche Klimaforscher und Professor Hans Joachim Schellnhuber leitete als Gründungsdirektor das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) von 1991 bis 2018. Von 2001 bis 2005 war er zudem Research Director des Tyndall Centre for Climate Change Research in Großbritannien. Er ist Mitglied der Deutschen Nationalakademie Leopoldina, der US National Academy of Sciences, der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, der Academia Europaea und mehrerer anderer Gelehrtengesellschaften. Er erhielt, unter anderem, den Deutschen Umweltpreis (2011), den Volvo Umweltpreis (2011) sowie den Blue Planet Prize (2017). Derzeit ist er Mitglied des am vatikanischen Dikasterium für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen angesiedelten Krisenstabes, der den Vatikan zu Maßnahmen im Zug der Corona-Krise berät.

(vatican news/pik - sk/cs)

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23. Mai 2020, 18:41