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Petersdom: Die Frau, die sich ans Allerheiligste wagte

Der prachtvolle Tabernakel im Petersdom besteht aus vergoldeter Bronze und Lapislazuli. Entworfen hat ihn der berühmte Barockbildhauer Gianlorenzo Bernini im 17. Jahrhundert. Die Teile in Lapislazuli aber hat eine Frau gearbeitet. Das haben akribische Archivarinnen herausgefunden. Francesca Bresciani war die Beste ihres Faches, und sie wusste es.

Gudrun Sailer - Vatikanstadt

Petersdom, rechtes Seitenschiff, auf halber Höhe: Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Gitter und dicken Vorhängen liegt die Kapelle des Allerheiligsten Sakramentes. Sie ist der stillste Ort im Petersdom, der Ort für die Betenden, der geistliche Mittelpunkt dieser größten Kirche der Christenheit. Denn hier ist der Herr.

In der Mitte auf dem Altar aus seltenen Marmorsorten ruht Gian Lorenzo Berninis Tabernakel. 1673 hat er dieses Ziborium entworfen, ein hinreißendes Kunstwerk in Gold und Blau. Es ahmt die Formen eines kleinen Tempels nach. Dass dieses Allerheiligste mit seinen gerundeten Teilen in tiefblauem Lapislazuli so gediegen im Raum steht, verdankt sich auch einer Frau. Ihr Name war lange vergessen, ehe die beiden Archivarinnen der Bauhütte von Sankt Peter ihn in ihren jahrhundertealten Dokumenten entdeckten.

Hier zum Hören:

Francesca Bresciani heißt die Kunsthandwerkerin, die Bernini auswählte, weil sie die Beste war; die zwei Jahre an diesem Tabernakel arbeitete, wofür der Vatikan ihr ein Atelier anmietete; und die eigene Instrumente ersann, um diesen schwierigen, kostbaren Stein für das Allerheiligste der größten Kirche der Welt in Form zu bringen. Doch der Reihe nach. Die Archivarin Assunta Di Sante.

„Wir sind in den 70er Jahren des 17. Jahrhunderts. Bernini ist der Chef der Bauhütte von Sankt Peter. Er galt damals schon als ,Patron der Welt‘, ein reifer Bernini, hochberühmt und steinreich, der jetzt sein letztes großes Werk realisieren soll – den religiös wichtigsten Teil der Basilika, den Tabernakel des Allerheiligsten Sakraments. Er will ihn zur Hälfte dekorieren lassen mit vergoldeter Bronze, zur anderen Hälfte mit kostbarstem blauen Stein: nämlich Lapislazuli. Damit hat er keine Erfahrung. Was macht er? Er holt die Lebensläufe der besten Künstler im Metier der Edelsteinbearbeitung ein. Fünf Personen stellen sich vor: vier Männer und eine Frau. Zum Zug kommt ein Mann, der schon vorher mit Bernini gearbeitet hat und viel weniger Geld verlangt als die anderen vier. Dieser Mann wird dann die hinteren Teile des Tabernakels schaffen, die man nicht sieht. Aber die Teile vorne und seitlich, die man sehen kann, für die wird die Frau ausgewählt.“

Francesca Bresciani ist die Tochter eines Künstlers, der mit Glas arbeitete, und Glas ähnelt in der Bearbeitung dem weitaus wertvolleren Lapislazuli. Offensichtlich hat Francesca diese schwierige Kunst im Atelier ihres Vaters gelernt.

„In unseren Dokumenten heißt es, sie komme nicht deshalb zum Zug, weil sie den günstigsten Preis macht, sondern weil andere Künstler Bernini versichern, dass sie die Beste ist“

„Eine Frau, die vermutlich wusste, dass sie die Beste war. Als sie sich bewirbt für den Auftrag in Sankt Peter, schreibt sie, sie habe schon für viele Adelige und römische Würdenträger gearbeitet. Und sie erhält den Zuschlag. In unseren Dokumenten heißt es, sie komme nicht deshalb zum Zug, weil sie den günstigsten Preis macht, sondern weil andere Künstler Bernini versichern, dass sie die Beste ist.“

Lapislazuli stammt aus Afghanistan, ein seltener Stein, erzählt Assunta Di Sante. Ein Stein, „der damals nur in einem einzigen Berg in Afghanistan abgebaut wurde, und dieser Berg war nur für kurze Perioden im Jahr überhaupt zugänglich“. Hinzu kamen der Transport nach Italien und der Verkauf über Zwischenhändler. Lapislazuli wurde im Barock zum Preis von Gold gehandelt.

Der Vatikan als Auftraggeber stellte der Künstlerin das Material zur Verfügung. 23,5 Kilogramm Lapislazuli bester Qualität – mit Goldeinsprengseln, aber ohne graue Streifen - erwarb die Bauhütte von Sankt Peter 1673 über Neapel, Venedig und Livorno. Zugleich mietete sie für Francesca Bresciani eine Werkstatt unweit des Vatikans, im Stadtteil Borgo. Und die Künstlerin machte sich ans Werk.

„Der rohe, empfindliche Stein war in Scheiben zu schneiden, dünn wie Schinken“

„Die Dekoration des Tabernakels war äußerst kompliziert: Der rohe, empfindliche Stein war in Scheiben zu schneiden, dünn wie Schinken. Außerdem sind diese Platten nicht gerade, sondern gekrümmt – konvex oder konkav. Und klarerweise durfte der eher harte Stein beim Schneiden auf gar keinen Fall zerbrechen.“

Der Tabernakel war die erste Arbeit aus Lapislazuli überhaupt im Vatikan. So überrascht es nicht, dass die Bauhütte hier gewissenhaft Buch führte. Zielstrebig steuern die beiden Archivarinnen die Schränke an, in denen sie die ältesten Unterlagen der Bauhütte aufbewahren.

„In diesem Ordner sind alle Dokumente zum Lapislazuli, richtige kleine Büchlein, vier Stück. Darin sind alle Teile des Lapislazuli gezeichnet und gemalt, die die Bauhütte Francesca aushändigte – jedes Stück mit Gewicht und Abmessungen. Francesca hatte darüber Rechenschaft abzulegen, welches Stück sie wofür verwendete.“

Auch war die Künstlerin gehalten, jedes noch so kleine Überbleibsel zurückzugeben. Nichts davon ging verloren. „Die Bauhütte vermahlte es zu Pulver und machte Pigment daraus“, sagt Assunta Di Sante. Das ausdrucksstarke Blau gewisser Barockfresken im Vatikan geht auf Reste des afghanischen Steins zurück, die Francesca Bresciani für den Tabernakel nicht nutzen konnte.

Preisdrückerei durch Bernini? Nicht mit ihr

Selbstbewusst reagierte die Künstlerin, als Bernini am Ende ihr Honorar um 60 Prozent drücken wollte. Er versuchte das übrigens bei allen; es sei geläufige Praxis gewesen, dass der Architekt den Handwerker herunterhandelt, sagt Assunta Di Sante. Doch Francesca Bresciani spielte da nicht mit. Ihr Brief an die Bauhütte ist erhalten, in einem Band, den seit Jahrhunderten niemand aufgeschlagen hat, bis die beiden Archivarinnen es taten.

„Hier ist sie, die Bittschrift von Francesca Bresciani, Juli 1675, an Monsignore Giannuzzi, den Ökonomen und Sekretär der Bauhütte, und an die Kardinäle. Die Bittschrift hat allerdings wenig Bittendes, der Ton ist sehr bestimmt. Francesca verweist auf ihre Rolle als Mutter und Ehefrau. Sie macht geltend, sie habe 22 Monate außer Haus gearbeitet, oft bis drei Uhr nachts, zugleich musste sie ihre eigene Werkstatt zu Hause leiten, wo wie 20 Arbeiter beschäftigte. Sie sagt, sie habe für die Arbeit am Tabernakel eigene Maschinen und eigene Klebstoffe erfunden. Dann schreibt sie den Kardinälen, sie sollen die Arbeit von einem Fachmann begutachten lassen. Denn Bernini verstehe sich nur auf Steine, aber nicht auf Edelsteine so wie sie. Und dann ruft sie die Kardinäle dazu auf, kooperativ zu sein.“

Volles Honorar und Folgeauftrag

Sie waren es. Francesca Bresciani bekam ihr Honorar in voller Höhe. Und einen Folgeauftrag obendrein: Bernini holt sie zwei Jahre später neuerlich an die Bauhütte, um das Kruzifix zu gestalten, das vor dem Tabernakel der Sakramentskapelle steht. Auch dieses Werk besteht aus Lapislazuli.

Frauen bauten mit am Petersdom – an die 50 von ihnen lassen sich seit dem 16. Jahrhundert nachweisen, und die Petersdom-Archivarinnen Simona Turriziani und Assunta Di Sante haben ihnen in einem Buch ein Denkmal gesetzt. Arbeiterinnen, Unternehmerinnen und Künstlerinnen wirkten für die Bauhütte im Vatikan, so wie Francesca Bresciani. Doch ihre Geschichte ragt heraus: die Frau, die mit ihren Händen den Tabernakel von Sankt Peter gestaltete.

„Niemand konnte sich vorstellen, dass das eine Frau gemacht haben könnte“

Doch wie kam es eigentlich, dass erst im dritten Jahrtausend Licht auf ihre Identität fällt? Weil Francescas Vater Francesco hieß und mit Bernini zusammengearbeitet hatte. „Deshalb dachten die Kunsthistoriker, die den Tabernakel im Petersdom untersuchten, der Name Francesca Bresciani sei ein Schreibfehler“, erklärt Assunta Di Sante. „Niemand konnte sich vorstellen, dass das eine Frau gemacht haben könnte.“

So kommt es, dass der Ort des Allerheiligsten im Vatikan ein herausragendes Beispiel für das Zusammenspiel großer Begabungen ist. Gold und tiefblau, männliches und weibliches Genie, vereint im Tabernakel von Sankt Peter.

Literaturhinweis: Le donne nel cantiere di San Pietro in Vaticano. Artiste, artigiane e imprenditrici dal XVI al XIX secolo. A cura di Assunta Di Sante e Simona Turriziani. Il Formichiere di Foligno, 2017. 20 Euro.

(vatican news)

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13. Mai 2019, 10:09