Suche

Archivbild: Andrea Riccardi, hier in Audienz beim Papst, hat über den „längsten Winter 1943/44" geforscht Archivbild: Andrea Riccardi, hier in Audienz beim Papst, hat über den „längsten Winter 1943/44" geforscht 

Wie Christen in Rom 1943 Juden retteten

Am frühen Morgen des 16. Oktober 1943 stürmte die deutsche SS das jüdische Ghetto in Rom. Alle Zugänge wurden abgeriegelt, bewaffnete Einheiten durchkämmten das winkelige Viertel am linken Tiberufer. Die jüdische Bevölkerung wurde auf die Straße gejagt. Die Stadt Rom hat bereits am Montag mit einem Erinnerungsmarsch der Judendeportation gedacht.

Andrea Riccardi lehrt Geschichte an der Universität in Rom und hat eine Vielzahl von Büchern geschrieben. In deutscher Übersetzung sein Buch über „den längsten Winter“ - jenen des Jahres 1943/44 erschienen. In diesem Buch beschreibt Riccardi die unübersichtlichen Vorgänge in Rom während der deutschen nationalsozialistischen Besetzung, als die Juden in Rom grausamer Verfolgung ausgesetzt waren. Viele flüchteten sich in kirchliche Einrichtungen und konnten so der Deportation entkommen.

Hier zum Hören unser Interview:

Razzia

Das Ghetto war jener Ort, wo die Deutschen am 16. Oktober 1943 eine schreckliche Razzia durchführten. Heute weisen Stolpersteine vor den Häusern darauf hin, dass aus den Gebäuden Juden - Frauen, Männer und Kinder herausgezerrt und in die Vernichtungslager deportiert wurden. „Ich habe Mitte der 1960er Jahre begonnen, Interviews mit den Verantwortlichen der kirchlichen Institutionen zu machen. Viele waren damals noch am Leben und haben mir erzählt, wie das Klima in dieser Zeit gewesen war,“ erzählt Andrea Riccardi, „es waren die Jahre der Polemik über die Untätigkeit von Papst Pius XII.. Die Anklage gegen ihn hatte mit dem Erscheinen von Rolf Hochhuts „Der Stellvertreter“ angefangen. Letztendlich wurden die Juden unter seinem Fenster weggebracht. In der Stadt, in der er Bischof war. Das ist der Kernpunkt.“

Nie gekanntes Zusammenleben

Der Papst hatte Angst. Im besetzten Rom war der Vatikan eine kleine Insel, ohne militärische Selbstverteidigung. Es gab Pläne von Seiten der Deutschen, den Papst zu entführen. In seinem Buch argumentiert Riccardi, dass der Papst zwar keine offizielle Anklage der deutschen Besatzung verkündete, aber dass er die Kirchen und Klöster für Asyl öffnete: „Ich glaube, dass die kirchlichen Institutionen sich spontan mit der Erlaubnis des Papstes geöffnet haben, und auch auf seinen Befehl hin. Jetzt gerade sind wir in Sant’Egidio, einem Kloster, das einige Juden versteckte. In eine Klausur kommt man nicht ohne die Erlaubnis des Papstes, des Heiligen Stuhls herein. Aber ich muss sagen, dass die Religiösen sehr gerne ihre Türen geöffnet haben, das war eine sehr mutige Geste. Es entstand ein nie gekanntes Zusammenleben.“

Settimia Spizzichino

In diesen Wintermonaten gab es einen Teil Roms, der beherbergte, verteidigte und half. Aber auch einen Teil, der betrogen hat. Einige Italiener verrieten Juden gegen Kopfgeld. Es kam zu Plünderungen und Besetzungen von Wohnungen. „Wir müssen bedenken, dass die Klöster voller Juden waren, aber nicht nur, sondern auch voller junger Politiker im Widerstand. Im Laterankomplex gab es das „Comitato Liberazione Nazionale“ mit dem Sozialisten Nenni, dem „democristiano“ De Gasperi, dem Kommandanten der „piazza militare“ von Rom, Bencivenga, und ein Widerstands-Radio. Die wahre Frage ist: Wussten die Deutschen Bescheid?“ - So Riccardi. Von den über tausend am 16. Oktober 1943 deportierten Personen überlebten nur 16. Darunter eine einzige Frau, Settimia Spizzichino. „Settimia Spizzichino war eine außergewöhnliche Frau, eine waschechte Römerin. Als sie nach Rom zurückgekommen ist, meinten alle: Was hast Du angestellt, dass du zurückkommen musstest? - ein Schuldgefühl, weil sie überlebt hatte,“ erinnert Riccardi mit großer Betroffenheit, „Settimia Spizzichino hat lange geschwiegen, erst an einem gewissen Punkt hat sie angefangen zu reden, mit allen, und vor allem in den Schulen. Sie war eine großartige Frau, ich habe sie oft angerufen, um mit ihr zu reden. Wir waren Freunde.“

(vatican news -  hoe)

 

 

Danke, dass Sie diesen Artikel gelesen haben. Wenn Sie auf dem Laufenden bleiben wollen, können Sie hier unseren Newsletter bestellen.

16. Oktober 2018, 14:47