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Franziskus mit einem buddhistischen Abt in Ulan Bator Franziskus mit einem buddhistischen Abt in Ulan Bator

Wortlaut: Papst an Vertreter der Religionen in der Mongolei

Hier finden Sie die Rede, die Papst Franziskus an Vertreter verschiedener Religionen und Konfessionen in der Mongolei gehalten hat, in ihrer amtlichen Fassung.

Sämtliche Wortmeldungen des Papstes in ihrer offiziellen Fassung werden auf der Internetseite des Heiligen Stuhls veröffentlicht.

APOSTOLISCHE REISE IN DIE MONGOLEI
NR. 3 ANSPRACHE DES HEILIGEN VATERS
Ökumenisches und interreligiöses Treffen
Hun-Theater, Ulaanbaatar, 3. September 2023

Guten Morgen euch allen, liebe Brüder und Schwestern!

Gestattet mir, dass ich mich auf diese Weise – als Bruder im Glauben für die Christen und als euer aller Bruder – im Namen der gemeinsamen religiösen Suche und der Zugehörigkeit zur selben Menschheit an euch wende. Die Menschheit kann in ihrem religiösen Sehnen mit einer Gemeinschaft von Wanderern verglichen werden, die auf der Erde unterwegs ist und ihren Blick zum Himmel richtet. Diesbezüglich ist bezeichnend, was ein Gläubiger, der aus der Ferne kam, über die Mongolei sagte. Er schrieb, er sei dorthin gereist und habe »nichts als Himmel und Erde gesehen« (GUGLIELMO DI RUBRUK, Viaggio in Mongolia, XIII/3, Mailand 2014, 63). Der Himmel, so klar und blau, küsst hier nämlich die weite und beeindruckende Erde und erinnert an die beiden grundlegenden Dimensionen des menschlichen Lebens: die irdische, die aus den Beziehungen zu den Anderen besteht, und die himmlische, die aus der Suche nach dem Anderen besteht, der uns übersteigt. Kurz gesagt, erinnert uns die Mongolei an die Notwendigkeit für uns alle, Pilger und Wanderer, den Blick nach oben zu richten, um auf Erden den rechten Weg zu finden.

Ich freue mich daher, bei dieser wichtigen Begegnung mit euch zusammen zu sein. Ich danke einem jeden und einer jeden herzlich für die Anwesenheit und für alle Beiträge, die unser gemeinsames Nachdenken bereichert haben. Die Tatsache, dass wir am selben Ort beisammen sind, ist bereits eine Botschaft: Die religiösen Traditionen stellen in ihrer Originalität und Verschiedenheit ein großartiges Potenzial an Gutem im Dienste der Gesellschaft dar. Würden die Verantwortungsträger der Nationen den Weg der Begegnung und des Dialogs mit den Anderen wählen, so wäre dies ein entscheidender Beitrag zur Beendigung der Konflikte, die fortwährend Leid über viele Völker bringen.

„Wer ist mehr als die Gläubigen dazu berufen, sich für die Harmonie zwischen allen einzusetzen?“

Die Möglichkeit, zusammenzukommen, um einander kennenzulernen und zu bereichern, bietet uns das geliebte mongolische Volk, das sich einer langen Geschichte des Zusammenlebens von Vertretern verschiedener religiöser Traditionen rühmen kann. Es ist schön, sich an die tugendreiche Praxis der einstigen kaiserlichen Hauptstadt Karakorum zu erinnern, in der es Gotteshäuser verschiedener religiöser Bekenntnisse gab, was von einer lobenswerten Harmonie zeugt. Harmonie: Ich möchte dieses in Asien sehr geläufige Wort hervorheben. Es meint jene besondere Beziehung, die sich zwischen verschiedenen Wirklichkeiten entwickelt, diese aber nicht überlagert und vereinheitlicht, sondern die Unterschiede achtet und dem Zusammenleben nützt. Ich frage mich: Wer ist mehr als die Gläubigen dazu berufen, sich für die Harmonie zwischen allen einzusetzen?

Brüder und Schwestern, der soziale Wert unserer Religiosität misst sich daran, wie gut es uns gelingt, uns mit den anderen Pilgern auf der Erde zu harmonisieren, und wie sehr es uns gelingt, dort wo wir leben, Harmonie zu verbreiten. Jedes menschliche Leben, und erst recht jede Religion, muss sich nämlich am Altruismus „messen“: nicht an einem abstrakten Altruismus, sondern an einem konkreten, der sich in der Suche nach dem Anderen und der großherzigen Zusammenarbeit mit dem Anderen ausdrückt, denn »der Weise freut sich am Geben, und allein dadurch wird er glücklich« [»the wise man rejoices in giving, and by that alone does he become happy«] (The Dhammapada: The Buddha’s Path of Wisdom, Sri Lanka 1985, Nr. 177; vgl. die Worte Jesu in Apg 20,35). Ein Gebet, das von Franz von Assisi inspiriert wurde, lautet: »Wo Hass herrscht, lass mich Liebe entfachen. Wo Beleidigung herrscht, lass mich Vergebung entfachen. Wo Zerstrittenheit herrscht, lass mich Einigkeit entfachen.« Der Altruismus schafft Harmonie, und wo es Harmonie gibt, da besteht Einvernehmen, Wohlergehen, Schönheit. Harmonie ist vielleicht sogar das passendste Synonym für Schönheit. Im Gegensatz dazu ruinieren Verschlossenheit, einseitiges Aufoktroyieren, Fundamentalismus und ideologischer Zwang die Geschwisterlichkeit, sie schüren Spannungen und gefährden den Frieden. Die Schönheit des Lebens ist eine Frucht der Harmonie: Sie ist gemeinschaftlich, sie wächst mit der Höflichkeit, mit dem Zuhören und mit der Demut. Und es ist das reine Herz, das sie erfasst, denn »die wahre Schönheit liegt letztlich in der Reinheit des Herzens« (M.K. GANDHI, Il mio credo, il mio pensiero, Rom 2019, 94).

„Asien hat sehr viel zu geben“

Die Religionen haben die Aufgabe, der Welt diese Harmonie zu geben, die der technische Fortschritt allein nicht bieten kann, denn indem er auf die irdische, horizontale Dimension des Menschen abzielt, läuft er Gefahr, den Himmel zu vergessen, für den wir geschaffen sind. Brüder und Schwestern, wir sind heute hier versammelt als demütige Erben alter Weisheits-Schulen. Dadurch, dass wir uns versammeln, verpflichten wir uns, das viele Gute, das wir empfangen haben, miteinander zu teilen, um eine Menschheit zu bereichern, die auf ihrem Weg oft vom kurzsichtigen Streben nach Profit und Wohlstand desorientiert ist. Sie ist oft nicht in der Lage, den richtigen Weg zu finden: Nur auf irdische Interessen ausgerichtet, ruiniert sie am Ende die Erde, verwechselt sie Fortschritt mit Rückschritt, wie so viele Ungerechtigkeiten, so viele Konflikte, so viel Umweltzerstörung, so viel Verfolgung und so viel Ablehnung des menschlichen Lebens zeigen.

Asien hat in dieser Hinsicht sehr viel zu geben, und die Mongolei, die im Herzen dieses Kontinents liegt, hütet ein großes Erbe an Weisheit, das die hier verbreiteten Religionen mit geschaffen haben und ich möchte alle einladen, es zu entdecken und zur Geltung zu bringen. Ich beschränke mich darauf, zehn Aspekte dieses weisheitlichen Erbes zu nennen, ohne sie zu vertiefen. Das gute Verhältnis zur Tradition, trotz der Verlockungen des Konsums; der Respekt den Älteren und den Vorfahren gegenüber – wie sehr brauchen wir heute ein Generationenbündnis zwischen ihnen und den Jüngeren! ... Und dann die Sorge um die Umwelt, unser gemeinsames Haus, ein weiteres äußerst aktuelles Erfordernis. ... Und weiter: der Wert der Stille und der Innerlichkeit, ein geistliches Gegenmittel für so viele Übel der heutigen Welt. Sodann eine gesunde Gesinnung der Anspruchslosigkeit; der Wert der Gastfreundschaft; die Fähigkeit, sich nicht an Dinge zu klammern; die Solidarität, die aus der Kultur zwischenmenschlicher Beziehungen hervorgeht; und die Wertschätzung der Einfachheit. Und schließlich ein gewisser existenzieller Pragmatismus, der geneigt ist, mit Ausdauer das Wohl des Einzelnen und der Gemeinschaft zu suchen. Dies ... sind einige Elemente des Erbes an Weisheit, das dieses Land der Welt zu bieten hat.

„Wo ein Ger ist, da ist Leben“

Was die häuslichen Gegebenheiten anbelangt, so habe ich bereits erwähnt, wie sehr mich bei der Vorbereitung auf diese Reise die traditionellen Behausungen fasziniert haben, durch die das mongolische Volk eine Weisheit offenbart, die sich in Jahrtausenden entwickelt hat. Das Ger schafft nämlich einen menschlichen Raum: In seinem Inneren spielt sich das Familienleben ab, es ist ein Ort freundschaftlicher Geselligkeit, der Begegnung und des Dialogs, wo auch bei großer Zahl immer noch Platz für eine weitere Person ist. Und dann ist es ein konkreter Bezugspunkt, der in den riesigen Weiten der Mongolei leicht auszumachen ist; es ist ein Grund zur Hoffnung für diejenigen, die sich verirrt haben: wo ein Ger ist, da ist Leben. Man findet es immer offen, bereit, den Freund, aber auch den Reisenden und sogar den Fremden aufzunehmen, um ihm einen dampfenden Tee anzubieten, der in der Kälte des Winters neue Kraft gibt, oder eine kühle fermentierte Milch, die an heißen Sommertagen Erquickung spendet. Dies ist auch die Erfahrung der katholischen Missionare aus anderen Ländern, die hier als Pilger und Gäste empfangen werden und die sich diskret in diese kulturelle Welt hineinbegeben, um das demütige Zeugnis des Evangeliums Jesu Christi anzubieten.

Doch neben dem menschlichen Raum weist das Ger auch die notwendige Offenheit für das Göttliche auf. Die geistliche Dimension dieser Wohnstatt wird durch ihre Öffnung nach oben symbolisiert, durch eine einzige Stelle, durch die das Licht eintritt, und das die Form eines Oberlichts mit Segmenten aufweist. So wird der Innenraum zu einer großen Sonnenuhr, in der Licht und Schatten aufeinanderfolgen und die Stunden des Tages und der Nacht markieren. Darin liegt eine schöne Lehre: Das Gefühl für den Lauf der Zeit kommt von oben, nicht aus dem bloßen Fluss der irdischen Tätigkeiten. Darüber hinaus erhellt der Strahl, der von oben eindringt, zu bestimmten Zeiten des Jahres den Hausaltar und erinnert an den Vorrang des geistlichen Lebens. Das menschliche Zusammenleben, das sich in diesem kreisförmigen Raum abspielt, wird so immer wieder auf seine vertikale, transzendente, geistliche Berufung zurückverwiesen.

„Keine Vermengung von Glaube und Gewalt“

Die versöhnte und wohllebende Menschheit, zu deren Förderung wir als Vertreter der verschiedenen Religionen beitragen, wird symbolisch durch dieses harmonische und für das Transzendente offene Miteinander dargestellt, in dem der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden in der Beziehung mit dem Göttlichen Inspiration und sein Fundament findet. Hierbei, liebe Brüder und Schwestern, ist unsere Verantwortung groß, besonders in dieser Stunde der Geschichte, denn unser Verhalten soll die Lehren, die wir bekennen, durch Taten bekräftigen; sie dürfen ihnen nicht widersprechen und so Anstoß erregen. Keine Vermengung, also, von Glaube und Gewalt, von Heiligkeit und Zwang, von Glaubensweg und Sektierertum. Möge die Erinnerung an das in der Vergangenheit erlittene Leid – ich denke insbesondere an die buddhistischen Gemeinschaften – uns die Kraft geben, dunkle Wunden in Lichtquellen zu verwandeln, die Dummheit der Gewalt in Lebensweisheit, das zerstörerische Böse in aufbauendes Gutes. So sei es für uns begeisterte Schüler unserer jeweiligen geistlichen Meister und gewissenhafte Diener ihrer Lehren, die wir bereit sind, denjenigen, die wir als freundliche Weggefährten begleiten, ihre Schönheit anzubieten. Ja, denn in pluralistischen Gesellschaften, die an demokratische Werte glauben, wie die Mongolei, hat jede religiöse Institution, die von der staatlichen Autorität ordnungsgemäß anerkannt ist, die Pflicht und vor allem das Recht, das anzubieten, was sie ist und woran sie glaubt, mit Respekt vor dem Gewissen der Anderen und mit dem Ziel des größeren Wohls aller.

In diesem Sinne möchte ich euch versichern, dass die katholische Kirche diesen Weg gehen möchte und fest an den ökumenischen, interreligiösen und kulturellen Dialog glaubt. Ihr Glaube gründet sich auf den ewigen Dialog zwischen Gott und der Menschheit, der in der Person Jesu Christi verkörpert ist. Mit Demut und im Geist des Dienens, der das Leben des Meisters beseelte, der nicht in die Welt kam, »um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen« (Mk 10,45), bietet die Kirche den Schatz, den sie empfangen hat, allen Menschen und Kulturen an, wobei sie eine Haltung der Offenheit behält und auf das hört, was andere religiöse Traditionen zu geben haben. Der Dialog steht nämlich nicht im Widerspruch zur Verkündigung: Er ebnet die Unterschiede nicht ein, sondern hilft, sie zu verstehen, er bewahrt sie in ihrer Originalität und ermöglicht es, sich zur aufrichtigen und gegenseitigen Bereicherung auszutauschen. So kann man in der vom Himmel gesegneten Menschheit den Schlüssel für die Wege auf Erden wiederfinden. ... Wir haben einen gemeinsamen Ursprung, der allen die gleiche Würde verleiht, und einen gemeinsamen Weg, den wir nur zusammen gehen können, da wir unter ein und demselben Himmel wohnen, der uns erleuchtet und umhüllt.

„Die größten Unternehmungen beginnen im Verborgenen“

Brüder und Schwestern, dass wir heute hier sind, ist ein Zeichen der Hoffnung. ... In einer Welt, die von Streit und Zwietracht zerrissen ist, mag dies utopisch erscheinen; doch die größten Unternehmungen beginnen im Verborgenen, fast unmerklich. Der große Baum entsteht aus dem kleinen Samen, der in der Erde verborgen ist. Und wenn »der Duft der Blumen sich nur in die Richtung des Windes ausbreitet, so verbreitet sich der Duft derer, die tugendhaft leben, doch in alle Richtungen« (vgl. Das Dhammapada, Nr. 54). Lassen wir diese Gewissheit erblühen, dass unsere gemeinsamen Bemühungen miteinander zu sprechen und eine bessere Welt aufzubauen, nicht vergeblich sind. Nähren wir die Hoffnung. Wie ein Philosoph einst sagte: »Jeder war groß, gemäß dem, was er erhoffte. Einer war groß, weil er auf das Mögliche hoffte; ein Anderer, weil er auf das Ewige hoffte; aber derjenige, der auf das Unmögliche hoffte, war von allen am größten« (S.A. KIERKEGAARD, Timore e tremore, Mailand 2021, 16). Mögen die Gebete, die wir zum Himmel erheben, und die Geschwisterlichkeit, die wir auf der Erde leben, die Hoffnung nähren. Mögen sie das einfache und glaubwürdige Zeugnis unserer Religiosität sein, des gemeinsamen Unterwegsseins mit nach oben gerichtetem Blick, des harmonischen Zusammenlebens in der Welt – als Pilger, die dazu berufen sind, eine Atmosphäre zu bewahren, in der alle sich zu Hause fühlen können. Danke.

(vatican news - sk)
 

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03. September 2023, 05:38