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Papst Franziskus und der mongolische Präsident im "Ikh Mongol"-Saal des Staatspalasts in Ulaanbaatar. Papst Franziskus und der mongolische Präsident im "Ikh Mongol"-Saal des Staatspalasts in Ulaanbaatar.

Wortlaut: Die erste Papstrede in der Mongolei

Lesen Sie hier in amtlicher Übersetzung, was Papst Franziskus in seiner ersten Rede auf mongolischem Boden gesagt hat.

Herr Staatspräsident,
Herr Präsident des Großen Staatschurals,
Herr Premierminister,
hochverehrte Mitglieder der Regierung und des diplomatischen Korps,
verehrte zivile und religiöse Autoritäten,
sehr geehrte Repräsentanten der Welt der Kultur,
meine Damen und Herren!


Ich danke dem Herrn Präsidenten für die Begrüßung und für die Worte, die er an mich gerichtet hat, und ich grüße einen jeden von Ihnen sehr herzlich. Es ist mir eine Ehre hier zu sein, und bin froh, in dieses faszinierende und weite Land gereist zu sein, zu diesem Volk, das die Bedeutung und den Wert des Unterwegsseins gut kennt. Dies sieht man an den traditionellen Behausungen, den Ger, diesen wunderschönen mobilen Wohnstätten. Ich stelle mir vor, wie ich zum ersten Mal mit Respekt und Ergriffenheit in eines dieser runden Zelte trete, die über das majestätische mongolische Land verstreut sind, um euch zu begegnen und euch besser kennenzulernen. Hier stehe ich also am Eingang, als Pilger der Freundschaft, der mit Bedacht und mit frohem Herzen zu euch gekommen ist, mit dem Wunsch, sich von eurer Gegenwart menschlich bereichern zu lassen.

Wenn man das Haus von Freunden betritt, ist es schön, Geschenke auszutauschen und sie mit Worten zu begleiten, die an frühere Begegnungen erinnern. Und auch wenn die heutigen diplomatischen Beziehungen zwischen der Mongolei und dem Heiligen Stuhl jüngeren Datums sind – in diesem Jahr jährt sich die Unterzeichnung eines Schreibens zur Stärkung der bilateralen Beziehungen zum 30. Mal –, so besuchte vor langer Zeit, vor genau 777 Jahren, zwischen Ende August und Anfang September 1246, Fra Giovanni di Pian del Carpine, ein päpstlicher Gesandter, Guyug, den dritten mongolischen Kaiser, und überreichte dem Großkhan ein offizielles Schreiben von Papst Innozenz IV. Kurz darauf wurde die Antwort verfasst und in verschiedene Sprachen übersetzt, die mit dem Siegel des Großkhans in traditionellen mongolischen Schriftzeichen versehen wurde. Sie wird in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrt und ich habe heute die Ehre, Ihnen eine beglaubigte Kopie zu überreichen, die mit den modernsten Techniken erstellt wurde, um die bestmögliche Qualität zu garantieren. Möge sie Zeichen einer alten Freundschaft sein, die wächst und sich erneuert.

Ich habe gehört, dass die Kinder bei euch auf dem Lande frühmorgens von der Tür der Ger aus über den fernen Horizont blicken, um den Viehbestand zu zählen und die Anzahl ihren Eltern mitzuteilen. Auch uns tut es gut, mit unserem Blick den weiten Horizont zu erfassen, der uns umgibt, und die Beschränktheit enger Sichtweisen zu überwinden und uns für eine Mentalität globaler Weite zu öffnen, wozu die Ger einladen; sie stammen aus der Erfahrung des Nomadentums in den Steppen, haben in einem großen Gebiet Verbreitung gefunden und sind zu einem kennzeichnenden Element verschiedener benachbarter Kulturen geworden. Die unermesslichen Weiten eurer Gegenden, von der Wüste Gobi bis zur Steppe, von den großen Prärien bis zu den Nadelwäldern, bis hin zu den Gebirgsketten des Altai und des Changai und mit den unzähligen Schleifen der Wasserläufe, die von oben betrachtet wie raffinierte Verzierungen auf alten, kostbaren Stoffen aussehen, sind ein Spiegel der Größe und Schönheit des gesamten Planeten, der ein einladender Garten sein soll. Eure Weisheit, die Weisheit eures Volkes, die sich in Generationen umsichtiger Viehzüchter und Ackerbauern herausgebildet hat, die stets darauf bedacht waren, das empfindliche Gleichgewicht des Ökosystems nicht zu schädigen, kann diejenigen viel lehren, die sich heute nicht in der Verfolgung kurzsichtiger Partikularinteressen verschließen wollen, sondern der Nachwelt eine Erde hinterlassen möchten, die noch einladend und fruchtbar ist. Was für uns Christen die Schöpfung ist, also die Frucht eines wohlwollenden Plans Gottes, helft ihr uns zu erkennen und mit Feingefühl und Sorgfalt zu fördern, indem den Auswirkungen der menschlichen Zerstörung eine Kultur der Fürsorge und Voraussicht entgegengesetzt wird, die sich in einer Politik verantwortungsvoller Ökologie widerspiegelt. Die Ger sind Lebensräume, die man heute als smart und green bezeichnen könnte, da sie vielseitig und multifunktional sind und keine negativen Auswirkungen auf die Umwelt haben. Darüber hinaus stellen die ganzheitliche Sichtweise der mongolischen schamanischen Tradition und der aus der buddhistischen Philosophie abgeleitete Respekt für jedes Lebewesen einen wertvollen Beitrag für das dringende und nicht mehr aufschiebbare Engagement zum Schutz des Planeten Erde dar.

Die Ger, die es sowohl in den ländlichen Gebieten als auch in den städtischen Zentren gibt, zeugen darüber hinaus von der wertvollen Verbindung zwischen Tradition und Moderne. Sie sind nämlich ein Bindeglied zwischen dem Leben der Alten und der Jungen und erzählen von der Kontinuität des mongolischen Volkes, das vom Altertum bis in die Gegenwart seine Wurzeln zu bewahren wusste und sich dabei vor allem in den letzten Jahrzehnten den großen globalen Herausforderungen von Entwicklung und Demokratie geöffnet hat. In der Tat spielt die heutige Mongolei mit ihrem weiten Netz an diplomatischen Beziehungen, ihrer aktiven Zugehörigkeit zu den Vereinten Nationen und ihrem Einsatz für Menschenrechte und Frieden eine bedeutende Rolle im Herzen des großen asiatischen Kontinents und auf der internationalen Bühne. Ich möchte auch eure Entschlossenheit erwähnen, die Verbreitung von Atomwaffen aufzuhalten und euch der Welt als ein Land ohne Atomwaffen zu präsentieren: Die Mongolei ist nicht nur eine demokratische Nation, die eine friedliche Außenpolitik betreibt, sondern sie ist bestrebt, eine wichtige Rolle für den Weltfrieden zu spielen. Außerdem – und das ist ein weiteres weises Element, das bemerkenswert ist – gibt es in eurer Rechtsordnung keine Todesstrafe mehr.

Dank ihrer Anpassungsfähigkeit an klimatische Extreme ermöglichen es die Ger, in sehr unterschiedlichen Gebieten zu leben, wie in der wohlbekannten Geschichte des mongolischen Reiches, als es den größten territorialen Bestand überhaupt hatte. Im Übrigen komme ich an einem für euch wichtigen Jubiläum, dem 860. Jahrestag der Geburt von Dschingis Khan, in die Mongolei. Am Umfang dieser weit entfernten und so unterschiedlichen Länder wurde über Jahrhunderte die ungewöhnliche Fähigkeit eurer Vorfahren sichtbar, die jeweilige Vortrefflichkeit der Völker zu erkennen, die das riesige Reichsterritorium bildeten, und sie in den Dienst der gemeinsamen Entwicklung zu stellen. Dies ist ein Beispiel, das zur Geltung gebracht und für unsere Zeit wieder aufgegriffen werden sollte. Gebe der Himmel, dass auch heute auf der Erde, die von zu vielen Konflikten verwüstet wird, unter Achtung der internationalen Gesetze, der Zustand der einstigen pax mongolica, d.h. die Abwesenheit von Konflikten, wiederhergestellt wird. Wie eines eurer Sprichwörter sagt: »Die Wolken ziehen vorüber, der Himmel bleibt«. Mögen die dunklen Wolken des Krieges vorüberziehen, mögen sie vom festen Willen einer universalen Geschwisterlichkeit hinweggefegt werden, in der Spannungen auf der Grundlage von Begegnung und Dialog gelöst werden und allen die Grundrechte garantiert werden! Lasst uns hier, in eurem Land, das reich an Geschichte und Himmel ist, um dieses Geschenk aus der Höhe bitten und bemühen wir uns gemeinsam darum, eine Zukunft des Friedens zu errichten.

Wenn man in ein traditionelles Ger eintritt, wird der Blick zur Mitte, zum höchsten Punkt hinaufgelenkt. Dort befindet sich ein rundes Fenster. Ich möchte diese grundlegende Haltung betonen, die eure Tradition uns wiederzuentdecken hilft: Fähig zu sein, den Blick nach oben gerichtet zu halten. Die Augen zum Himmel erheben – zu dem ewigen blauen Himmel, den ihr schon immer verehrt – bedeutet, in einer Haltung bereitwilliger Offenheit für die religiösen Lehren zu bleiben. Im Innersten unserer kulturellen Identität gibt es nämlich eine tiefe spirituelle Konnotation und es ist schön, dass die Mongolei ein Symbol für Religionsfreiheit ist. In der Kontemplation der endlosen Horizonte, die nur spärlich von Menschen bevölkert sind, hat sich in eurem Volk nämlich ein Gespür für das Spirituelle herausgebildet, zu dem man Zugang findet, indem man der Stille und Innerlichkeit Raum gibt.

Angesichts der feierlichen Imposanz der Erde, die euch mit ihren unzähligen Naturphänomenen umgibt, kommt auch ein Gefühl des Staunens auf, das Demut und Anspruchslosigkeit nahelegt und geneigt macht, sich für das Wesentliche zu entscheiden und sich von allem Unwesentlichen zu lösen. Ich denke an die Gefahr, die eine konsumorientierte Gesinnung darstellt, die heute nicht nur viel Ungerechtigkeit verursacht, sondern uns auch in einen Individualismus einschließt, der weder an die Anderen noch an die guten Traditionen denkt, die wir erhalten haben. Die Religionen hingegen sind, wenn sie sich auf ihr ursprüngliches spirituelles Erbe zurückbesinnen und nicht durch sektiererische Abweichungen korrumpiert werden, in jeder Hinsicht verlässliche Stützen beim Aufbau gesunder und blühender Gesellschaften, in denen sich die Gläubigen darum bemühen, dass das zivile Zusammenleben und das politische Wirken immer mehr im Dienst des Gemeinwohls stehen, und damit auch dem gefährlichen Nagen der Korruption einen Riegel vorschieben. Diese stellt in jeder Hinsicht eine ernste Bedrohung für die Entwicklung einer jeden menschlichen Gruppierung dar und nährt sich von einer utilitaristischen und skrupellosen Mentalität, die ganze Länder verarmen lässt. Die Korruption lässt ganze Länder verarmen. Sie ist ein Indiz dafür, dass sich der Blick vom Himmel abwendet und die weiten Horizonte der Geschwisterlichkeit meidet, indem er sich in sich selbst verschließt und die eigenen Interessen allem anderen voranstellt.

In der Geschichte zeichneten sich hingegen viele eurer Anführer durch einen nach oben gerichteten Blick und einen weiten Horizont aus. Sie bewiesen eine ungewöhnliche Fähigkeit, unterschiedliche Stimmen und Erfahrungen zu integrieren, auch in religiöser Hinsicht. Eine respektvolle und versöhnliche Haltung wurde auch den vielfältigen heiligen Traditionen zuteil, wie die verschiedenen in der alten Hauptstadt Kharakhorum gehüteten Kultstätten – darunter eine christliche – zeigen. Es war für euch also fast natürlich, zu der Gedanken- und Religionsfreiheit zu gelangen, die in eurer aktuellen Verfassung verankert ist. Nachdem ihr die atheistische Ideologie ohne Blutvergießen überwunden habt, die glaubte, den religiösen Sinn auslöschen zu müssen, weil sie ihn für ein Entwicklungshemmnis hielt, bekennt ihr euch heute zu jenem grundlegenden Wert der Harmonie und des Zusammenwirkens von Menschen verschiedener Glaubensüberzeugungen, die – aus ihrer jeweiligen Perspektive – zum sittlichen und geistlichen Fortschritt beitragen.

In diesem Sinne freut sich die katholische Gemeinschaft in der Mongolei, weiterhin ihren Beitrag zu leisten. Vor etwas mehr als dreißig Jahren hat sie begonnen, ihren Glauben in einem Ger zu feiern, und auch die jetzige Kathedrale in dieser großen Stadt erinnert in ihrer Form daran. Dies sind Zeichen ihres Wunsches, mit dem mongolischen Volk, das ihr Volk ist, im Geiste eines verantwortungsvollen und geschwisterlichen Dienstes zusammenzuwirken. Ich freue mich daher, dass die katholische Gemeinschaft, so klein und unscheinbar sie auch ist, mit Begeisterung und Engagement am Gedeihen des Landes mitwirkt, indem sie die Kultur der Solidarität, die Kultur des Respekts für alle und die Kultur des interreligiösen Dialogs verbreitet und indem sie sich für Gerechtigkeit, Frieden und soziale Harmonie einsetzt. Ich hoffe, dass die einheimischen Katholiken, dank einer weitsichtigen und auf die konkreten Bedürfnisse ausgerichteten Gesetzgebung sowie unterstützt von notwendigerweise aus anderen Ländern stammenden gottgeweihten Männern und Frauen, stets ohne Schwierigkeiten ihren menschlichen und geistlichen Beitrag für die Mongolei zum Wohle dieses Volkes leisten können. Diesbezüglich stellen die laufenden Verhandlungen über ein bilaterales Abkommen zwischen der Mongolei und dem Heiligen Stuhl eine wichtige Möglichkeit dar, um jene Voraussetzungen zu schaffen, die für die ordentliche Aktivität der katholischen Kirche unerlässlich sind. Dazu gehören neben der eigentlichen religiösen Dimension des Gottesdienstes insbesondere die zahlreichen Initiativen für eine ganzheitliche menschliche Entwicklung, die sich auch in den Bereichen der Bildung, des Gesundheitswesens, der Fürsorge, der Forschung und der Förderung der Kultur entfalten: diese bezeugen gut den demütigen, geschwisterlichen und solidarischen Geist des Evangeliums Jesu, dem die Katholiken folgen sollen, während sie mit allen Völkern der Erde gemeinsam unterwegs sind.

Das für diese Reise gewählte Motto, „Gemeinsam hoffen“, bringt die Potentialität zum Ausdruck, die dem gemeinsamen Unterwegssein mit dem Anderen, in gegenseitigem Respekt und im Zusammenwirken für das Gemeinwohl, innewohnt. Die katholische Kirche, eine alte, in fast allen Ländern verbreitete Institution, ist Zeugin einer edlen und fruchtbaren geistlichen Tradition, die zur Entwicklung ganzer Nationen in vielen Bereichen des menschlichen Lebens beigetragen hat, von der Naturwissenschaft bis zur Literatur, von der Kunst bis zur Politik. Ich bin sicher, dass auch die katholischen Mongolen bereit sind und bereit sein werden, ihren Beitrag zum Aufbau einer gedeihlichen und sicheren Gesellschaft zu leisten, im Dialog und in Zusammenarbeit mit allen Gruppen, die dieses große, vom Himmel so reich gesegnete Land bewohnen.

»Sei wie der Himmel«. Mit diesen Worten lud uns ein berühmter Dichter dazu ein, die Vergänglichkeit der irdischen Wechselfälle zu übersteigen und die Großmut nachzuahmen, die sich an dem riesigen, klaren blauen Himmel inspiriert, den man in der Mongolei bewundern kann. Auch wir, die wir heute Pilger und Gäste in diesem Land sind, das der Welt so viel geben kann, möchten diese Einladung aufgreifen und sie in konkrete Zeichen des Mitgefühls, des Dialogs und gemeinsamen Planens übersetzen. Mögen die verschiedenen Teile der mongolischen Gesellschaft, die hier gut vertreten sind, weiterhin in der Lage sein, der Welt das Schöne und Edle dieses einzigartigen Volkes weiterzugeben. Möget ihr „aufrecht stehen“ wie eure Schrift, und viel menschliches Leid um euch herum lindern, indem ihr alle an die Würde eines jeden Menschen erinnert, der dazu berufen ist, die irdische Heimat zu bewohnen und dabei den Himmel zu umarmen. Bayarlalaa! [Danke!].

(vaticannews - skr)
 

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02. September 2023, 05:05