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Bei der Messfeier in Kinshasa Bei der Messfeier in Kinshasa  (AFP or licensors)

„Katholisch und afrikanisch“: Der Zaire-Ritus

Das Zauberwort des Konzils, nämlich „Inkulturation“, hat im Kongo einen besonderen Klang: Hier gibt es nämlich einen eigenen, inkulturierten Ritus der katholischen Messfeier, den Ritus von Zaire.

Stanislas Kambashi SJ, Kinshasa, und Stefan v. Kempis, Vatikan

Zaire: So hieß der heutige Kongo noch, als der Ritus 1988 von Rom approbiert, also genehmigt wurde. Franziskus hat an diesem Mittwoch in Kinshasa einer Messfeier vorgestanden, die im zairischen Ritus zelebriert wurde. Keine Premiere für ihn, denn im Petersdom in Rom hat der Papst schon zweimal mit der kongolesischen Gemeinschaft Italiens die Messe in diesem Ritus gefeiert.

Abbé Michel Libambu, Priester der Erzdiözese Kinshasa, ist Spezialist für Kirchenväter und Mitarbeiter des vatikanischen Dikasteriums für Liturgie. In unserem Interview erklärt er die Entstehung des zairischen Messritus sowie einige seiner Besonderheiten.

Bei der Messe in Kinshasa diesen MIttwoch
Bei der Messe in Kinshasa diesen MIttwoch

Interview

Was ist der historische Hintergrund des zairischen Ritus, der nach dem „Römischen Missale für die Diözesen von Zaire“ gefeiert wird?

Dieser Ritus hat eine Geschichte, die auf die missionarische Evangelisierung zurückgeht – von der ersten Evangelisierung durch die Portugiesen bis zur zweiten Evangelisierung durch die belgischen Missionare. In diesem Zusammenhang sind zwei wichtige Dokumente zu erwähnen: Das von Papst Benedikt XV., der in seinem Apostolischen Schreiben Maximum illud vom 30. November 1919 Mk 16,15 zitierte und den Missionaren empfahl, nicht Europa in ihre Missionen zu bringen, sondern das Evangelium. Und dieses Evangelium müsse sorgfältig und tiefgehend gepredigt werden, um die Seele der Völker zu erreichen; dies ist eine Perspektive der Inkulturation, die von Rom aus begonnen hat.

Das Zweite Vatikanische Konzil hat dann, vor allem mit dem Dokument Sacrosanctum Concilium, den Wunsch geäußert, dass die Liturgie den Völkern näher gebracht werden sollte. Und es hat dabei angedeutet, wie man vorgehen sollte, um die Liturgie an das Leben und den Geist des Volkes anzupassen.

„Fast zwanzig Jahre des Dialogs, des Austauschs und der Studien“

Nach dem Konzil begannen die Bischöfe von Zaire (heute Kongo) damit, alle Dokumente des Konzils, darunter Lumen Gentium, Gaudium et Spes und Sacrosanctum Concilium, eingehend zu lesen, um sie auf ihre Anwendbarkeit im Kontext des Landes prüfen zu können. Es gab dafür sogenannte „Theologische Wochen“. Dann legte die Bischofskonferenz von Zaire bereits 1969, direkt nach der Veröffentlichung des Römischen Messbuchs im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil, den Entwurf für ein neu angepasstes Messbuch für die Feier der Messe gemäß dem kongolesischen Geist vor. Die Anregung dazu stammte von Kardinal J. Malula, der von Papst Johannes XXIII. zum Mitglied der liturgischen Kommission zur Vorbereitung des Konzils ernannt worden war.

Der Entwurf wurde der Kongregation für Liturgie vorgelegt. Nach fast zwanzig Jahren des Dialogs, des Austauschs und der Studien wurde dann das sogenannte Missale ad experimentum (5. Juni 1974) in das endgültige, von Rom angenommene Missale (30. April 1988) umgewandelt – ein Dokument, das nicht nur Afrikanität, sondern auch römischen Geist widerspiegeln sollte. Daher wird es auch „Missel Romain pour les diocèses du Zaïre“ genannt…

Was die Struktur der Messe betrifft, so besteht die Feier nach diesem Messbuch im Wesentlichen aus zwei Teilen: dem Wortgottesdienst und der Eucharistie. Dabei gibt es viele Besonderheiten: die Anrufung der Ahnen zu Beginn, die sitzende Versammlung während der Verkündigung des Evangeliums, die Anwesenheit des „nkumu“, also des Verkündigers... Wie erklären Sie sich diese Struktur und all diese Besonderheiten?

Dieser Ritus entspricht im Wesentlichen dem Rahmen der Römischen Messe mit zwei großen Teilen, also dem Tisch des Wortes Gottes und dem eucharistischen Tisch. Aber er hat auch einige Besonderheiten: die Prozession zum Einzug mit Gesang und Händeklatschen im Rhythmus der Gesänge, die Anrufung der Ahnen, der Gloria-Gesang mit Tanz um den Altar, um Christus zu ehren, der durch den Altar repräsentiert wird, den lebendigen Stein, der das Gleichgewicht in unserem Leben und in unserer Gesellschaft aufrechterhält, die Akklamation des Evangeliums mit Prozession, um den zu uns sprechenden Christus zu empfangen. Das Evangelium wird im Sitzen angehört, als Zeichen des Respekts und der Verehrung für den sprechenden Christus.

Erst nach der Predigt folgt das Kyrie: Die Vorstellung dahinter ist, dass man sich bekehren sollte, nachdem man das Wort Gottes gehört hat… Der Friedensgruß kommt gleich nach dem Kyrie – ein Lied für den Frieden. Im zweiten Teil sind es dann vor allem die Akklamationen, die eigene Präfation und die Doxologie, die in Melodien gesungen werden, die der afrikanischen Seele entsprechen. Die „nkumu“ sind sozusagen die Ältesten des Volkes, um den Priester herum...

„Musik ist Teil des menschlichen Lebens, sie ist Teil unserer inneren Struktur“

Eine weitere Besonderheit ist die lebendige Musik und die Tänze. Was hat es damit auf sich?

Musik ist Teil des menschlichen Lebens, sie ist Teil unserer inneren Struktur, wie der hl. Augustinus in De Musica feststellt. In vielen afrikanischen Traditionen wurden die Ereignisse durch Musik rhythmisiert, die viele Facetten hat: Fest, Trauer, Geburt. Der musikalische Rhythmus begleitet die Liturgie. Auch der Tanz ist Ausdruck des tiefsten Inneren des Menschen… Der Psalmist sagt, dass David für Gott getanzt hat. Musik berührt unsere Menschlichkeit, unsere Gefühle: Freude, Traurigkeit und viele andere.

Die kulturelle Verankerung ist in dieser Liturgie stark ausgeprägt. Was können Sie dazu sagen?

Die kulturelle Verankerung geht auf die Empfehlung der Päpste und des Zweiten Vatikanischen Konzils zurück, dass das Wort Gottes in die Seele der Völker eindringen soll, deren Kultur ein Spiegel ist. Die Idee war nicht, eine kulturelle Liturgie zu schaffen. Wir sind vielmehr von der Theologie der Inkarnation ausgegangen: Christus, der Gott ist, wurde Mensch, um unsere Menschlichkeit zum Göttlichen zu erheben.

Das Evangelium reinigt die Kultur (Evangelisierung der Kultur), und die Kultur manifestiert sich im Evangelium (Inkulturation des Evangeliums). Aber die Kultur ist nur ein Sieb, durch das sich die Menschheit ausdrückt. Was zählt, ist unsere Menschlichkeit, zu deren Rettung und Aufwertung der Herr gekommen ist. Das Problem bleibt die Interpretation der Gesten, die von Kultur zu Kultur unterschiedlich sein können.

„Der Afrikaner betrachtet das Leben als ein Geschenk Gottes“

Wie können Sie die Auswirkungen dieser Art des Feierns auf das kulturelle und soziale Leben der Kongolesen einschätzen?

Als die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils gelesen wurden, wurde besonders Gaudium et Spes hervorgehoben: Die Freude und die Hoffnungen der Völker sind auch die der Kirche. Die kongolesischen Bischöfe dachten an ihre Gesellschaft: Inwieweit kann der Glaube, der in der Liturgie gefeiert wird, Auswirkungen auf das tägliche Leben haben? Wenn man in der Messe Vergebung gepredigt hat und sich nach dem Bußakt so weit bekehrt hat, dass man sich verbeugt, muss man diese Vergebung auch in seinem Umfeld leben.

Die kongolesische Messliturgie ist für ihre Vitalität bekannt. Was macht diese Vitalität aus?

Laut der Bantu-Philosophie und den Studien von Experten wie Pater Placide Tempels oder Abbé Vincent Mulago betrachtet der Afrikaner das Leben als ein Geschenk Gottes, der in jeden Menschen die Gabe der Lebenskraft (in der Theologie würde man von Gnade sprechen) gelegt hat, um zu leben und das Leben in der Gemeinschaft zu fördern. In diesem Sinne ist die Kirche eine Familie. In der Messe wird das Geschenk des Lebens, das Gott uns gegeben hat, gefeiert, vor allem während des Gesangs des Gloria.

Als Papst Franziskus im Mai 2022 die Professoren des Liturgieinstituts St. Anselm empfing, forderte er dazu auf, an der Liturgie für das Volk Gottes zu arbeiten. Man könnte sagen: Die lex orandi, die lex credendi muss durch die lex vivendi ergänzt werden. Eine zu formalistische Liturgie belebt nicht! Die Liturgie ist nicht nur ein Kurs, sondern vor allem das Leben der Gläubigen, die beten.

„Dieser Ritus ist nicht im Labor entstanden, sondern im Leben der Kirche“

Einige kritisieren, die Messfeier im zairischen Ritus sei zu lang…

Wir haben es hier mit zwei Zeitbegriffen zu tun: dem Chronos und dem Kairos, der Opportunitas, die die liturgische Zeit ist. Das Jenseits, an das wir glauben, wird in der Liturgie als Präludium gegeben. Dies schließt allerdings nicht aus, dass man die Zeit regulieren kann.

Die Messe nach dem zairischen Ritus hat zwei Formen: die einfache Form und die feierliche Form. Sie kann zwischen 1 und 1,5 Stunden gefeiert werden. Im Advent und in der Fastenzeit ist die Messe schlichter. Es obliegt dem Ortsbischof, die Liturgie gegen Übertreibungen zu regeln. Es muss aber auch hinzugefügt werden, dass dieser Ritus nur einmal in der Woche gefeiert wird, und zwar in der Hauptmesse der Pfarreien am Sonntag um 6:30 Uhr (erste Messe). Danach werden die anderen Messen wie in Rom gefeiert. Es gibt also die Möglichkeit, die Messe zu wählen, die man möchte…


Was wäre Ihr Schlusswort?

Dieser Ritus ist nicht im Labor entstanden, sondern im Leben der Kirche, um gleichzeitig Katholizität und Afrikanität auszudrücken. Um ihn zu verstehen, sollte man nicht nur Bücher lesen, sondern in den afrikanischen Kontext eintauchen, wo die Kirche in erster Linie als „Familie Gottes“ wahrgenommen wird, wie es das Zweite Vatikanische Konzil in Lumen Gentium III, 27 ausgedrückt hat.

(vatican news – sk)
 

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01. Februar 2023, 12:29