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Treffen mit den Teilnehmern des Kurses für Rechtspraktiker, der vom Gericht der Römischen Rota gefördert wird Treffen mit den Teilnehmern des Kurses für Rechtspraktiker, der vom Gericht der Römischen Rota gefördert wird  (VATICAN MEDIA Divisione Foto)

Papst an Kirchenrechtler: Das Leben kommt vor dem Gesetzbuch

Vor den Teilnehmern des juristisch-pastoralen Ausbildungskurses der Römischen Rota hat Franziskus an diesem Samstagmittag daran erinnert, dass es „im Kern des Kirchenrechts nicht um die Güter der Gemeinschaft geht, sondern in erster Linie um das Wort Gottes und die Sakramente“. Die Aufgabe der Rechtsexperten, erklärte Franziskus, sei nicht „ein positivistischer Gebrauch des Kirchenrechts, um bequeme Lösungen für juristische Probleme zu finden“.

Mario Galgano - Vatikanstadt

In welchem Sinne ist ein Jurastudium mit der Evangelisierung verbunden? Mit dieser Frage eröffnete Papst Franziskus seine Ansprache an die Teilnehmer des Kurses der Rota Romana für Kirchenrechtler und Fachleute im Bereich der Familienpastoral. Der Papst betonte, dass man das Kirchenrecht und den Auftrag, die Frohe Botschaft Christi zu verkünden, nicht als zwei getrennte Wirklichkeiten betrachten dürfe:

Zum Nachhören - was der Papst sagte

„Schematisch könnte man sagen: weder das Recht ohne Evangelisierung noch die Evangelisierung ohne Recht geht in Ordnung. Der Kern des Kirchenrechts betrifft nämlich die Güter der Gemeinschaft, allen voran das Wort Gottes und die Sakramente. Jede Person und jede Gemeinschaft hat ein Recht auf die Begegnung mit Christus, und alle Rechtsnormen und -akte zielen darauf ab, die Echtheit und Fruchtbarkeit dieses Rechts, d. h. dieser Begegnung, zu fördern. Daher ist das oberste Gesetz das Heil der Seelen, wie es im letzten Kanon des Codex des kanonischen Rechts heißt (vgl. Kanon 1752). Das kirchliche Recht ist also eng mit dem Leben der Kirche verbunden, und zwar als einer seiner notwendigen Aspekte, nämlich der Gerechtigkeit bei der Bewahrung und Weitergabe der Heilsgüter. In diesem Sinne ist die Verkündigung des Evangeliums die vorrangige rechtliche Verpflichtung sowohl der Hirten als auch aller Gläubigen.“

Die Wahrheit der Gerechtigkeit soll leuchten

Papst Franziskus zitierte den Brief an die Seminaristen von Benedikt XVI. aus dem Jahr 2010 und erinnerte daran, dass „eine Gesellschaft ohne Recht eine Gesellschaft ohne Rechte“ wäre. Und an die Praktiker des kanonischen Rechts wies er auf diesen Horizont hin:

„Eure Arbeit befasst sich mit Normen, Prozessen und Sanktionen, aber ihr dürft niemals die Rechte aus den Augen verlieren, indem ihr den Menschen, der Subjekt und Objekt des Rechts ist, in den Mittelpunkt eurer Arbeit stellt. Diese Rechte sind keine willkürlichen Ansprüche, sondern objektive, auf das Heil gerichtete Güter, die anerkannt und geschützt werden müssen. Sie als Rechtsgelehrte haben eine besondere Verantwortung, die Wahrheit des Rechts im Leben der Teilkirchen zum Leuchten zu bringen: Diese Aufgabe ist ein großer Beitrag zur Evangelisierung.“

Der Auftrag des Kanonisten

Die kanonischen Normen zu kennen und treu zu befolgen, bedeute auch, stets „die Güter, die auf dem Spiel stehen“, im Auge zu behalten. Dies sei unabdingbar, so der Papst, „um diese Normen gerecht zu interpretieren und anzuwenden“:

„Die Aufgabe des Kanonisten besteht nicht in einer positivistischen Anwendung des Kanons, um bequeme Lösungen für rechtliche Probleme zu finden oder bestimmte Balanceakte zu versuchen. So verstanden, würde sich sein Handeln in den Dienst irgendeines Interesses stellen oder versuchen, das Leben in starren formalistischen und bürokratischen Schemata zu fangen, die die wahren Rechte vernachlässigen. Wir dürfen den wichtigsten Grundsatz nicht vergessen, nämlich den der Evangelisierung: Die Wirklichkeit ist der Idee überlegen, das Konkrete des Lebens ist dem Formalen immer überlegen; die Wirklichkeit ist jeder Idee überlegen, und dieser Wirklichkeit muss mit Recht gedient werden. Die Größe Ihrer Aufgabe ergibt sich aus einer Vision, in der das Kirchenrecht, ohne die Fairness des Einzelfalls zu vergessen, durch die Tugenden der juristischen Klugheit umgesetzt wird, die das richtige Konkrete erkennt.“

Ein Moment des Treffens mit Teilnehmern des Kurses für Rechtspraktiker
Ein Moment des Treffens mit Teilnehmern des Kurses für Rechtspraktiker

Der Weg der richterlichen Weisheit

Der Papst erklärte dann, dass der Weg der richterlichen Weisheit so verlaufen müsse, dass man „vom Allgemeinen zum konkreten Allgemeinen und zum Konkreten kommt“:

„Ein Urteil oder eine richterliche Hilfe erfolgt nicht durch Gleichgewichte oder Ungleichgewichte, sie erfolgt durch diese Weisheit. Es bedarf der Wissenschaft, es bedarf der Fähigkeit zuzuhören; vor allem aber, liebe Brüder und Schwestern, bedarf es des Gebets, um gut zu urteilen. Auf diese Weise werden weder die den Gesetzen innewohnenden Erfordernisse des Gemeinwohls noch die ordnungsgemäßen Formalitäten der Gesetze vernachlässigt, sondern alles wird in einen wahren Dienst der Gerechtigkeit gestellt.“

Ein Moment des Treffens mit Teilnehmern des Kurses für Rechtspraktiker
Ein Moment des Treffens mit Teilnehmern des Kurses für Rechtspraktiker

Der synodale Geist muss in jeder juristischen Aufgabe gelebt werden

Franziskus erinnerte an seine Rede anlässlich der Eröffnung des Gerichtsjahres 2022 am Tribunal der Römischen Rota und betonte, dass die Synodalität „dem Prozess der Ehenichtigkeit immanent ist“:

„Diese Überlegung gilt auch für alle, die an dem Verfahren zur Erteilung der Dispens von der zerrütteten und nicht vollzogenen Ehe beteiligt sind. Und der synodale Geist muss in all euren juristischen Aufgaben gelebt werden. Gemeinsam zu gehen, einander zuzuhören und den Heiligen Geist anzurufen, ist eine unabdingbare Voraussetzung, um gerecht zu handeln. Ein konkreter Ausdruck davon ist die Notwendigkeit, Rat zu suchen, die Meinung derer einzuholen, die mehr Wissen und Erfahrung haben, mit dem demütigen und ständigen Wunsch, immer zu lernen, um der Kirche in diesem Bereich besser dienen zu können.“

Familienpastoral und kirchliche Gerichte

Franziskus wandte sich dann den Familienseelsorgern zu. Und er erinnerte daran, dass im Laufe der Jahre das Bewusstsein für die Wechselwirkung zwischen Familienpastoral und kirchlichen Gerichten gewachsen sei:

„Einerseits kann eine ganzheitliche Familienpastoral die rechtlichen Fragen der Ehe nicht ausklammern. Man denke nur an die Aufgabe, Ehenichtigkeiten in der Phase vor der Feier zu verhindern und Paare in Krisensituationen zu begleiten, indem man sie an die kirchlichen Gerichte verweist, wenn der Verdacht besteht, dass ein Nichtigkeitsgrund vorliegt, oder indem man ihnen rät, ein Verfahren zur Dispensierung durch Entmündigung einzuleiten. Andererseits dürfen die Mitarbeiter der Gerichte nie vergessen, dass sie sich mit Angelegenheiten befassen, die eine starke pastorale Relevanz haben, so dass die Erfordernisse der Wahrheit, der Zugänglichkeit und der umsichtigen Zügigkeit ihre Arbeit immer leiten müssen; und auch die Pflicht, alles zu tun, was für die Versöhnung zwischen den Parteien oder die Validierung ihrer Vereinigung möglich ist, darf nicht übersehen werden.“

Abschließend erinnerte Papst Franziskus an die Worte des heiligen Johannes Paul II. in seiner Ansprache an die Rota Romana vom 18. Januar 1990: „Die wahre Gerechtigkeit in der Kirche, die von der Nächstenliebe beseelt und durch Fairness gemildert ist, verdient immer das qualifizierende Attribut der Seelsorge.“ Und er vertraue deshalb die tägliche Arbeit derjenigen, die im Kirchenrecht und in der Familienpastoral tätig seien, der Muttergottes, dem „Spiegel der Gerechtigkeit“, an.

(vatican news)

Die Audienz im Vatikan
Die Audienz im Vatikan

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18. Februar 2023, 12:54