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Papst Paul VI. Papst Paul VI.  Leitartikel

Die präventive Rücktrittserklärung von Franziskus - und die von Paul VI.

2018 veröffentlichte der italienische Priester Leonardo Sapienza in einem von ihm herausgegebenen Buch das Schreiben, in dem Papst Paul VI. 1965 erklärte, dass er im Falle einer „schweren Krankheit“ oder eines „beachtlichen Hindernisses“ auf das Papstamt verzichten würde.

ANDREA TORNIELLI (übersetzt von Mario Galgano)

Franziskus wie Paul VI.: In einem Interview mit der spanischen Tageszeitung ABC verriet der Papst, dass er sich wie sein Vorgänger Paul VI. verhalten würde, den er selbst heilig gesprochen hat. Und Franziskus erläutert, dass er dem zu Beginn seines Pontifikats amtierenden Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone ein Schreiben mit seinem Rücktritt für den Fall einer „medizinischen Verhinderung“ übergeben hatte. Wir kennen das genaue Datum dieses Dokuments nicht, aber der Verweis auf Bertone als Staatssekretär platziert es in die allerersten Monate des Pontifikats, da Pietro Parolin dann im Oktober 2013 die Rolle des Hauptmitarbeiters des Bischofs von Rom übernommen hatte.

Die Geste von Franziskus ähnelt der von Papst Paul VI. Mehrere Zeugen hatten in den vergangenen Jahrzehnten von den Verzichtserklärungen Pauls VI. gesprochen, aber bis Mai 2018 waren sie nie öffentlich gemacht worden. Der derzeitige Regent des Päpstlichen Hauses, Monsignore Leonardo Sapienza, ist ein Montini-Spezialist und Autor vieler Bücher über den Papst aus Brescia, der von 1963 bis 1978 an der Spitze der Kirche stand und das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil zum Abschluss brachte sowie die ersten 13 Jahre der Durchführung der Konzilsdekrete prägte. Sapienza veröffentlichte eine Kopie des Originals des Briefes von Paul VI. Das Buch, das diese Dokumente von Paul VI. enthält, trägt den Titel „La barca di Paolo“ („Das Schiff Pauli“) und ist im Verlag Edizioni San Paolo erschienen.

In dem Brief von Paul VI. heißt es: „Wir, Paul VI., erklären, im Falle eines vermutlich unheilbaren oder lang andauernden Gebrechens... oder im Falle eines anderen schweren und anhaltenden Hindernisses... auf unser Amt zu verzichten.“ Der Brief ist in der sehr gut lesbaren Handschrift von Papst Montini verfasst und auf den 2. Mai 1965 datiert. Paul VI. schrieb ihn also nicht im hohen Alter oder in Krankheit, sondern nur zwei Jahre nach seiner Wahl, als nicht nicht einmal das Konzil abgeschlossen war. Mit diesem Text wollte der Papst die Kirche vor einer eventuellen langen Amtsunfähigkeit bewahren: ein Schreiben über den vorzeitigen Verzicht, das in diesem Fall dem Kardinaldekan übergeben werden sollte, damit dieser es den anderen Kardinälen zur Kenntnis bringen und den Papst für abgesetzt erklären konnte.

Es liegen sogar zwei Briefe von Papst Paul VI. vor, denn zusammen mit der Rücktrittserklärung gibt es ein Begleitschreiben an den Kardinalstaatssekretär - das sicherlich der beeindruckendste Text ist. Und es ist bezeichnend, dass dieses Dokument auch von Papst Franziskus kommentiert wurde, der in einem Beitrag, der in dem von Monsignore Sapienza herausgegebenen Buch veröffentlicht wurde, schreibt: „Ich habe mit Erstaunen diese Briefe von Paul VI. gelesen, die mir ein demütiges und prophetisches Zeugnis der Liebe zu Christus und seiner Kirche zu sein scheinen; und ein weiterer Beweis für die Heiligkeit dieses großen Papstes sind... Was für ihn zählt, sind die Bedürfnisse der Kirche und der Welt. Und ein Papst, der durch eine schwere Krankheit verhindert ist, kann sein apostolisches Amt nicht wirksam genug ausüben.“

Das Begleitschreiben des „vertraulichen“ Hauptbriefs, der an den Dekan des Heiligen Kollegs gerichtet ist und auf einem Papier mit dem päpstlichen Wappen steht, beginnt mit den folgenden Worten: „Wir, Paul VI., durch göttliche Vorsehung Bischof von Rom und Pontifex der Weltkirche, in Gegenwart der heiligsten Dreifaltigkeit, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, - rufen den Namen Jesu Christi an, unseres Meisters, unseres Herrn und unseres Erlösers...“ Es folgt die Übergabe an Maria und Josef. Dann die eigentliche Formulierung des Verzichts mit Einzelheiten. „Wir erklären: Im Falle eines vermutlich unheilbaren oder lang andauernden Gebrechens, das uns daran hindert, die Funktionen unseres apostolischen Amtes ausreichend auszuüben, oder im Falle eines anderen schwerwiegenden und lang andauernden Hindernisses, das uns ebenfalls daran hindert, unser heiliges und kanonisches Amt sowohl als Bischof von Rom als auch als Oberhaupt derselben heiligen katholischen Kirche in den Händen des Herrn Kardinaldekans aufzugeben ... Ihm, zumindest zusammen mit den Kardinälen, die für die Dikasterien der römischen Kurie zuständig sind, und unserem Kardinalvikar für die Stadt Rom, überlassen wir die Möglichkeit, unseren Rücktritt anzunehmen und in die Tat umzusetzen, was uns nur das höhere Wohl der Heiligen Kirche nahelegt.“ Es folgt die Unterschrift von Hand und das Datum: „Zu St. Peter, am Sonntag des Guten Hirten, dem zweiten Tag nach Ostern, am 2. Mai 1965, dem zweiten Tag unseres Pontifikats.“

Bemerkenswert ist, dass Paul VI. nicht nur von einer Krankheit spricht, sondern auch von der Möglichkeit eines „anderen schweren und lang andauernden Hindernisses“. Damit könnte, wie verschiedene Persönlichkeiten aus dem engsten Umfeld Pauls VI. angedeutet haben, etwas gemeint sein, was seinerzeit schon Papst Pius XII. nach Aussage maßgeblicher Zeugen festgelegt hatte: sein Amtsverzicht im Falle seiner Entführung durch Hitler auf dem Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs. Diese Abdankung hätte es den Kardinälen ermöglicht, vielleicht in einem neutralen und sicheren Land zusammenzukommen, um einen neuen Bischof von Rom zu wählen anstelle von Pius, der in die Gefangenschaft des Nazi-Diktators geraten war.

Schließlich sei darauf hingewiesen, dass es sich sowohl im Fall von Paul VI. als auch von Franziskus um ein „präventives“ Schreiben handelt, d. h. um ein Schreiben, das damit zusammenhängt, dass der Papst sich daran gehindert sieht, frei und nach bestem Gewissen auf sein Amt zu verzichten. Es handelt sich also um Briefe, die nichts mit dem Verzicht von Benedikt XVI. zu tun haben, der vor fast zehn Jahren stattfand.

(vatican news)

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19. Dezember 2022, 09:24