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Papst zu Allerseelen: Barmherzigkeit, jetzt!

Barmherzigkeit leben statt sich in Theorien zu verlieren oder auf Karriere, Reichtum und Prestige zu setzen: dazu hat Papst Franziskus bei seiner Allerseelenmesse am Mittwoch im Petersdom aufgerufen.

Anne Preckel - Vatikanstadt

Mit der öffentlichen Messe zu Allerseelen am Kathedra-Altar wurde aller Kardinäle und Bischöfe gedacht, die im Laufe des Jahres verstorben waren. Mit dem Papst konzelebrierte Kardinal Giovanni Battista Re, der Dekan des Kardinalskollegiums. Bei der Feier trat Franziskus auch stehend und nicht mehr nur allein sitzend oder im Rollstuhl in Erscheinung, seinem Knie scheint es ein wenig besser zu gehen. An der Messe nahmen rund 1.300 Gläubige teil. 

Heilige Messe für die in diesem Jahr verstorbenen Kardinäle und Bischöfe

Karriere, Reichtum, Prestige.. vergänglich

„Aber das Wesentliche aus den Augen zu verlieren, um dem Wind nachzujagen, wäre der größte Fehler des Lebens.“

Franziskus ging in seiner Predigt auf die beiden Begriffe „Erwartung“ und „Überraschung“ ein. Die Menschen befänden sich „im Wartesaal der Welt“, um in den Himmel einzugehen und am „Festmahl für alle Völker“ teilzunehmen, verwies der Papst mit Worten des Propheten Jesaja auf die Erwartung des Ewigen Lebens. Franziskus rief dazu auf, dieses „Warten auf den Himmel“ zu nähren und warnte davor, die – vergänglichen – Erwartungen der Welt über die Erwartungen Gottes zu stellen.

„Wir riskieren, ständig nach Dingen zu streben, die vergehen, Wünsche mit Bedürfnissen zu verwechseln, welche die Erwartungen der Welt vor das Warten auf Gott stellen, und so den größten Fehler im Leben zu begehen, nämlich zu verlieren, was wichtig ist, um dem Wind hinterherzujagen. Wir schauen nach oben, weil wir auf dem Weg nach oben sind, während die Dinge hier unten nicht nach oben gehen: die besten Karrieren, die größten Errungenschaften, die angesehensten Titel und Auszeichnungen, der angesammelte Reichtum und die irdischen Errungenschaften, alle werden im Handumdrehen verschwinden.“

Die schönsten Momente der Feier

Hoffnung kultivieren statt Jammern

„Kultiviere ich die Hoffnung oder jammere ich weiter?“

Die Menschen würden allzu viel Zeit, Mühe und Energie aufwenden, um sich allein um solche Dinge zu sorgen, klagte der Papst. Die „Unendlichkeit, nach der wir streben, die Freude, nach der wir atmen“ würden damit allerdings aus den Augen verloren. Jeder Mensch sollte sich fragen: „Konzentriere ich mich auf das Wesentliche oder lasse ich mich von vielen überflüssigen Dingen ablenken? Kultiviere ich die Hoffnung oder jammere ich weiter, weil ich zu viel Wert auf so viele Dinge lege, die nicht wichtig sind?“, schlug der Papst vor.

Franziskus ging dann auf den Begriff der Überraschung ein und kam in diesem Kontext auf das „Gleichnis vom Gericht des Menschensohnes über die Völker“ zu sprechen, von dem das Matthäusevangelium erzählt: „Es ist ähnlich wie bei den Protagonisten, die sagen: ,Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dir zu essen gegeben oder durstig und dir zu trinken gegeben? Und wann haben wir dich fremd gesehen und aufgenommen oder nackt und dir Kleidung gegeben? Und wann haben wir dich krank oder im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?‘“, führte der Papst dazu aus (vgl. Matthäus 25, 37-39).

Überraschung drücke „das Erstaunen der Gerechten und das Entsetzen der Ungerechten“ aus, formulierte Franziskus. Auf die Rede des Herrn hatten die Gerechten erstaunt reagiert, die Ungerechten waren verunsichert.

Ein Brief aus der Ukraine

Vor dem göttlichen Tribunal seien allein Barmherzigkeit gegenüber den Armen und Ausgestoßenen der Maßstab für Verdienst und Anklage, gab der Papst zu bedenken: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“, habe der Herr bekräftigt (vgl. Vers 40). Der Allerhöchste wohne „im Geringsten und unter den Unbedeutendsten in der Welt“.

„Sein Maß ist eine Liebe, die über unser Maß hinausgeht, und sein Maßstab ist die Unentgeltlichkeit. Um uns also vorzubereiten, wissen wir, was zu tun ist: Unentgeltlich, ohne Rückzahlung oder eine Gegenleistung zu lieben, und auf unsere Liste zu setzen, den, der uns nichts zurückgeben kann, und der uns nicht anzieht, der den Kleinen dient.“

Franziskus berichtete dann von dem Brief aus der Ukraine, in dem ein protestantischer Kaplan dem Papst über seine Arbeit mit Waisenkindern erzählte. Er habe das Schreiben am Morgen vor der Messe gelesen, so Franziskus, der einen Auszug wiedergab.

„Und der Mann schrieb darin: ,Das ist mein Dienst: diese Ausgestoßenen zu begleiten, denn sie haben ihre Eltern verloren, der grausame Krieg hat sie allein gelassen'. Dieser Mann tut, was Jesus von ihm verlangt: Er kümmert sich um die Kleinen in der Tragödie. Und als ich diesen Brief las, der mit so viel Schmerz geschrieben war, war ich bewegt, weil ich sagte: ,Herr, ich sehe, dass Du weiterhin die wahren Werte des Reiches Gottes inspirierst'." 

Komplexität predigen statt barmherzig handeln?

Oft neigten wir aus Bequemlichkeit dazu, die Botschaft Jesu abzuschwächen und seine Worte „zu verwässern“, führte Franziskus weiter aus – etwa, wenn wir auf die „Komplexität“ des globalen Hungerproblems verwiesen, das wir angeblich nicht lösen könnten, oder auf die Armenhilfe, die angeblich erst unter bestimmten Bedingungen möglich sein könne. Auch die Sorge um Gefangene, Kranke und Migranten trete angesichts scheinbar wichtigerer Meldungen oder unter Verweis auf politische Fragen in den Hintergrund, kritisierte der Papst.

„Von einfachen Jüngern des Meisters werden wir zu Meistern der Komplexität, die viel diskutieren und wenig tun.“

„Und so machen wir durch „naja“ und „aber“ das Leben zu einem Kompromiss mit dem Evangelium. Von einfachen Jüngern des Meisters werden wir zu Meistern der Komplexität, die viel streiten und wenig tun, die Antworten mehr vor dem Computer als vor dem Kruzifix suchen, eher im Internet als in den Augen von Brüdern und Schwestern; Christen, die Theorien kommentieren, debattieren und entlarven, aber nicht einmal einen armen Menschen beim Namen kennen, seit Monaten keinen Kranken mehr besucht haben, nie jemanden ernährt oder gekleidet haben, sich nie mit einem Bedürftigen angefreundet haben und dabei vergessen, dass „das Programm eines Christen ein sehendes Herz ist.‘ (vgl. Benedikt XVI., Deus caritas est, 31)“

Die Frage nach dem rechten und unrechten Handeln werde im Leben beantwortet, betonte Franziskus, es gelte Barmherzigkeit zu praktizieren, und zwar jetzt: „Es gibt nur eine Antwort: der Zeitpunkt ist jetzt. Er liegt in unseren Händen, in unseren Werken der Barmherzigkeit: nicht in ausgefeilten Analysen, nicht in individuellen oder sozialen Rechtfertigungen. Heute erinnert uns der Herr daran, dass der Tod kommt, um aus dem Leben Wahrheit zu machen, und alle mildernden Umstände für die Barmherzigkeit beseitigt.“

Gott warte „inmitten der Armen und Verwundeten der Welt“ auf uns, erinnerte der Papst, und er warte darauf, „nicht mit Worten, sondern mit Taten gestreichelt zu werden“.

Papst betet auf deutschen Friedhof im Vatikan

Papst Franziskus hat die Allerseelenmesse in der Vergangenheit teils auf Friedhöfen gefeiert, so etwa am römischen Friedhof Campo Verano, dem Soldatenfiredhof von Nettuno oder auch auf dem deutschen Friedhof Campo Santo Teutonico im Vatikan. Im Anschluss an die Messe von diesem Mittwoch war ein privates Gebet des Papstes am Campo Santo Teutonico angekündigt. 

Der Campo Santo Teutonico liegt unmittelbar an der Südflanke des Petersdoms. Gegründet wurde der Friedhof im Schatten des Petersdoms im 8. Jahrhundert, ursprünglich fanden dort teutonische Pilger Zuflucht und Unterstützung. Auf dem Gelände befinden sich auch die Kirche Santa Maria della Pietà, das Päpstliche Kolleg Collegio Teutonico di Santa Maria in Campo Santo, das Römische Institut der Görres-Gesellschaft sowie der Sitz der Erzbruderschaft zur schmerzenhaften Muttergottes (Mater Dolorosa) der Deutschen und Flamen.

Am Allerseelen-Tag, dem 2. November, wird aller Verstorbenen gedacht. Die Wurzeln dieses Festes gehen zurück auf das Jahr 998, in dem der Abt des französischen Benediktinerklosters Cluny, Odilo von Cluny, den Tag als Gedenktag für alle verstorbenen Gläubigen festgesetzt hat. Christliche Feste zum Totengedenken gibt es allerdings bereits seit dem 2. Jahrhundert. 

(vatican news – pr)

 

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02. November 2022, 11:58