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Am Kolosseum Am Kolosseum 

Papst und Merkel bei Friedenstreffen in Rom

Politiker und Religionsführer aus vielen Teilen der Welt haben am Donnerstagnachmittag in Rom an einem Friedenstreffen der katholischen Bewegung Sant’Egidio teilgenommen. Außer Papst Franziskus trat auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Veranstaltung am Kolosseum auf.

Stefan von Kempis - Vatikanstadt

„Völker als Geschwister – Zukunft der Erde“: Das war das Thema des Friedenstreffens im Geist von Assisi. In der Stadt des hl. Franziskus im mittelitalienischen Umbrien hat der hl. Papst Johannes Paul II. 1986 zum ersten Mal ein interreligiöses und ökumenisches Friedenstreffen durchgeführt; das setzt Sant’Egidio fort, mit einem jährlichen Friedenstreffen in einer europäischen oder (seltener) nichteuropäischen Stadt.

Im Lauf der 35 Jahre ist dadurch ein Netzwerk von Führungskräften aus den Bereichen Religion und Politik geworden, die sich für Frieden einsetzen – und Sant’Egidio konnte seinem Ruf als „UNO von Trastevere“ immer mehr gerecht werden. Andrea Riccardi, Gründer der Bewegung, die ihren Hauptsitz in Rom hat, wurde 2009 mit dem Internationalen Karlspreis ausgezeichnet.

Merkel, Bedford-Strohm - und Johann Sebastian Bach

Nun also, wieder mal, Rom als Schauplatz eines solchen Friedenstreffens. Wie es seit den Anfängen 1986 üblich ist, beteten die Anhänger verschiedener Religionen (darunter namentlich Muslime, Buddhisten, Juden, Hindus und Sikhs) zunächst getrennt, um nicht den Eindruck des religiösen Synkretismus aufkommen zu lassen. Die Christen trafen sich unterhalb der antiken Maxentius-Basilika, dem Kolosseum gegenüber, zu einem kurzen ökumenischen Gottesdienst für den Frieden, bei dem der armenische Katholikos Karekin II. die Predigt hielt; auch der deutsche EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm nahm daran teil, er trug eine Fürbitte vor. Wegen der Corona-Pandemie konnten nur einige hundert Menschen an diesem ökumenischen Moment teilnehmen; die Stühle waren in gehörigem Abstand zueinander aufgestellt. Zum Glück spielte das Wetter einigermaßen mit; Sonne, kräftiger Wind, kein Regen.

Anschließend dann die Hauptveranstaltung mit Teilnehmern verschiedenster Herkünfte und Glaubensrichtungen: Höhe- und Schlusspunkt des zweitägigen Treffens. Eine Bach-Kantate erklang, als der Papst und die hochrangigen Gäste des Treffens das Podium direkt an der Rundmauer des Kolosseums erklommen. Hier war etwas mehr Platz für Teilnehmer. Franziskus begrüßte Politiker mit Handschlag, umarmte den aus Ägypten angereisten Groß-Imam der al-Azhar-Moschee von Kairo, Ahmed al-Tayyeb, und unterhielt sich einen Moment besonders herzlich mit der Schriftstellerin Edith Bruck. Vor einigen Monaten hatte er Bruck, eine Überlebende des Holocaust, in ihrer römischen Wohnung besucht.

„Die harte Lektion der Pandemie“

Sant-Egidio-Gründer Riccardi wies in einer kurzen Begrüßungsrede auf den Schrecken der Corona-Pandemie hin; durch diese „harte Lektion“ sei den Religionen „stärker als je zuvor deutlich geworden, dass sie zusammenarbeiten sollten“. Dann gehörte das Podium Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Stargast dieses Treffens. Die CDU-Politikerin, die dem nächsten Bundestag nicht mehr angehören wird, ist schon auf früheren Friedenstreffen in München und Münster aufgetreten. „Grazie – Sie sind hier immer herzlich willkommen“, sagte die Moderatorin der Veranstaltung zur Kanzlerin, die übrigens von ihrem Ehemann Joachim Sauer begleitet wurde.

Friedensgebet am Kolosseum: 'Ein paar Eindrücke

Sie sei schon seit langem „von der Friedensbotschaft von Sant’Egidio beeindruckt“, ließ Merkel die Zuhörenden in ihrer auf Deutsch vorgetragenen Ansprache wissen (der Papst und viele andere lauschten einer Übersetzung per Kopfhörer). „Durch Offenheit füreinander und im Dialog miteinander gedeihen gegenseitiges Verstehen und Verständnis. Das ist relativ leicht gesagt, und doch fällt es so schwer. Allzu viele Krisen und Kriege führen uns das immer wieder schmerzhaft vor Augen.“

 Merkel bei ihrer Rede
Merkel bei ihrer Rede

Kanzlerin hält Plädoyer für die Menschenwürde

Verzweifeln sei allerdings keine Lösung. „Wir dürfen nicht resignieren und nicht zu sprachlosen Zuschauern werden, wenn Menschen unter Konflikten leiden. Nur wer nach Frieden sucht, kann auch Frieden finden.“ Dabei könne Franziskus‘ Enzyklika Fratelli tutti vom Oktober letzten Jahres als „Leitfaden“ dienen. „Mit einem gemeinsamen Verständnis von Wert und Würde des Menschen lassen sich auch Unterschiede friedlich miteinander vereinbaren… Wer die Würde des Anderen achtet, muss das Trennende nicht ignorieren, aber kann auch dem Anderen eine moralisch-ethische Haltung zugestehen.“

Die Weltgemeinschaft sei „eine Schicksalsgemeinschaft“, und dabei sei der „offene und respektvolle Dialog“ wichtig – „zwischen Regierungen wie zwischen Religionen“. Merkel erinnerte daran, dass das deutsche Grundgesetz die Würde des Menschen für „unantastbar“ erklärt, um fortzufahren: „Wir sollten uns nicht gewöhnen an Bilder, die uns fast täglich aus Krisenregionen erreichen… Menschliches Leid wird nicht relativiert durch geografische Ferne. Wo auch immer – es geht um Menschen!“

al-Tayyeb kritisiert Impfnationalismus

Nach der Politikerin formulierten dann zwei religiöse Spitzenvertreter eigene Friedensappelle: Für den Islam sprach der aus Ägypten angereiste al-Tayyeb, und für das Judentum der Rabbiner Pinchas Goldschmidt, Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz.  „Angesichts der Klimakrise und der Pandemie hätte man eigentlich erwarten können, dass die Welt den Himmel um Erbarmen anfleht“, sagte al-Tayyeb. Doch weit gefehlt – die Menschen hätten aus dem Schrecken bisher offenbar nichts gelernt. Der sunnitische Gelehrte kritisierte die schleppende Verteilung von Corona-Impfstoffen in armen Ländern; in Afrika seien bislang nur zwei bis drei Prozent der Bevölkerung geimpft. Das bedeute eine „Niederlage für die Welt“.

Eine junge Frau, die aus Afghanistan geflüchtet ist, trug den Friedensappell vor
Eine junge Frau, die aus Afghanistan geflüchtet ist, trug den Friedensappell vor

Engagierte Papstrede

„Es ist schön, dass wir hier zusammen sind – im Herzen Roms – und dabei die Menschen, die unserer Fürsorge anvertraut sind, im Herzen tragen“, sagte Franziskus in seiner Ansprache. „Hier und heute träumen wir gemeinsam von einer Geschwisterlichkeit unter den Völkern und der Zukunft der Erde.“

Der Papst, der bei der Veranstaltung sozusagen als Sprachrohr aller Christen auftrat, ließ sich von der Örtlichkeit inspirieren: Das Kolosseum besucht er normalerweise jedes Jahr am Karfreitag, wenn dort der Kreuzweg gebetet wird. „Dieses Amphitheater war vor langer Zeit ein Ort brutaler Massenunterhaltung: Kämpfe zwischen Menschen oder zwischen Mensch und Tier. Ein Spektakel wie ein Bruderkrieg, ein tödliches Spiel mit dem Leben vieler Menschen. Aber auch heute erleben wir Gewalt und Krieg, Brüder und Schwestern, die einander töten, fast so, als wäre es ein Spiel, das wir aus der Ferne beobachten, gleichgültig und in der Überzeugung, dass es uns nie betreffen wird.“

Franziskus mit Edith Bruck
Franziskus mit Edith Bruck

„Mit dem Leben von Völkern und mit dem Leben von Kindern kann man nicht spielen“

Dabei dürfe man doch nicht gleichgültig bleiben, wenn man das Leid von Migranten oder Kindersoldaten sehe. „Mit dem Leben von Völkern und mit dem Leben von Kindern kann man nicht spielen. Man kann nicht gleichgültig bleiben. Im Gegenteil, wir müssen Empathie zeigen und die Nöte, Kämpfe und Schwächen der Menschengemeinschaft, der auch wir angehören, anerkennen. Wir sollten so denken: Das alles betrifft mich, das hätte auch hier passieren können, auch mir.“

„Schmerz darf kein Spektakel sein“

Schmerz dürfe kein „Spektakel“ sein, stattdessen sei Mitgefühl gefragt. „Den Mitmenschen anhören, seine Leiden zu unseren eigenen machen, sein Gesicht kennen. Das ist der wahre Mut, der Mut des Mitgefühls… Nein, das Leben der Menschen ist kein Spiel, es ist ernst und geht alle an; es darf nicht den Interessen einiger weniger oder parteiischen und nationalistischen Bestrebungen überlassen bleiben.“

Franziskus verurteilte in seiner mehrmals von Beifall unterbrochenen Rede Gewalt und Waffenhandel, nannte Krieg „ein Versagen der Politik und der Menschheit“ und forderte: „Wir müssen aufhören, den Krieg aus der distanzierten Perspektive einer Reportage zu akzeptieren, und uns bemühen, ihn mit den Augen der Menschen zu sehen.“ Religionen sollten „zur Stütze für die Leidenden, zu Anwälten der Unterdrückten“ werden, „einen aktiven Beitrag zur Entmilitarisierung des menschlichen Herzens leisten“.

„Weniger Waffen und mehr Lebensmittel!“

„Es liegt in unserer Verantwortung, liebe Brüder und Schwestern im Glauben, dazu beizutragen, dass der Hass aus den Herzen verschwindet und jede Form von Gewalt verurteilt wird. Mit klaren Worten ermutigen wir dazu, die Waffen niederzulegen, die Militärausgaben zu reduzieren, um humanitäre Bedürfnisse zu befriedigen und Werkzeuge des Todes in Werkzeuge des Lebens zu verwandeln… Weniger Waffen und mehr Lebensmittel, weniger Heuchelei und mehr Transparenz, mehr gerecht verteilte Impfstoffe und weniger unbedacht verkaufte Waffen.“

Der Papst machte deutlich, dass für ihn auch der Schutz der Schöpfung zum Engagement für den Frieden gehört. Gebet, Reinigung des Herzens und unermüdliche Zusammenarbeit benannte er als Gegengifte zur Kultur des Todes.

Franziskus mit al-Tayyeb
Franziskus mit al-Tayyeb

Papst zitiert Imam Ali

„Bitte, lasst uns im Namen des Friedens in jeder religiösen Tradition die fundamentalistische Versuchung entschärfen, jede Neigung, den Bruder zum Feind zu machen. Während viele in Feindseligkeiten, Spaltung und parteipolitische Spiele verwickelt sind, wollen wir uns an den Ausspruch von Imam Ali halten: ‚Es gibt zwei Arten von Menschen: entweder sind sie deine Brüder und Schwestern im Glauben oder sie sind deine Mitmenschen.‘“

Das Gebet und das Handeln könnten „den Lauf der Geschichte umlenken“, so Franziskus wörtlich. „Nur Mut! Wir haben eine Vision vor Augen, die sich mit derjenigen vieler junger Leute und vieler anderer Menschen guten Willens deckt… Ja, träumen wir von Schwesterreligionen und Brudervölkern!“

Aus Afghanistan geflüchtete Frau verliest Friedensappell

Mit einer Schweigeminute wurde am Kolosseum an alle Menschen erinnert, die derzeit unter Krieg, Terrorismus, Gewalt oder der Pandemie leiden. Eine aus Afghanistan geflüchtete Frau verlas einen Friedensappell. „Leider stirbt derzeit die Generation aus, die den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat“, heißt es darin; „mit ihr stirbt auch die Erinnerung an die Schrecken des Krieges.“ Abrüstungsgespräche, die derzeit blockiert seien, müssten dringend wiederaufgenommen und namentlich die nukleare Abrüstung vorangetrieben werden. „Vor dem Kolosseum, einem Symbol der Größe, aber auch des Leids, wiederholen wir mit dem Nachdruck des Glaubens, dass der Name Gottes Friede ist!“

Am Ende der Veranstaltung von Rom: ein Friedensgruß, zu dem der Ökumenische Patriarch Bartholomaios, Ehrenoberhaupt der orthodoxen Christen, einlud. Und das „Halleluja“ von Händel. Und eine (maskenlose) Umarmung von Bedford-Strohm mit Franziskus. Die Karawane des Friedens, die Johannes Paul II. vor dreieinhalb Jahrzehnten auf den Weg geschickt hat, zieht weiter.

(vatican news – sk)

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07. Oktober 2021, 17:26