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Auch seine Reise nach Abu Dhabi 2019 hat Franziskus zu seiner Enzyklika inspiriert Auch seine Reise nach Abu Dhabi 2019 hat Franziskus zu seiner Enzyklika inspiriert 

„Fratelli tutti“: Ein paar Beobachtungen

Nein, grundstürzend Neues bietet die Sozialenzyklika von Papst Franziskus nicht: Das alles hat der lateinamerikanische Papst schon mal so oder ähnlich gesagt. Trotzdem ist einiges interessant und neu an „Fratelli tutti“…

Stefan von Kempis – Vatikanstadt

Ein Muslim steht Pate

Zum ersten Mal steht ein Nichtchrist – und auch noch ein Muslim – Pate bei einer päpstlichen Enzyklika: Es ist der Großimam der al-Azhar-Universität von Kairo, Scheich Ahmad al-Tayyeb. Der Geistliche, der eine der wichtigsten Institutionen im sunnitischen Mainstream-Islam leitet, hat im Februar letzten Jahres in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) zusammen mit Franziskus eine wichtige interreligiöse Erklärung unterzeichnet.

Der Papst gibt in seiner Enzyklika an (und das hat er dem Vernehmen nach auch NRW-Ministerpräsident Laschet bei einer Audienz am 1. Oktober gesagt), er habe sich bei seinem Lehrschreiben vor allem von al-Tayyeb anregen lassen. Tatsächlich zitiert er in „Fratelli tutti“ häufig aus der Erklärung von Abu Dhabi. Zur letzten Enzyklika, Laudato si‘, hatte den Papst das Umweltengagement des orthodoxen Patriarchen Bartholomaios I.‘ von Istanbul inspiriert.

Was steht eigentlich drin in der Enzyklika, und wie entsteht so ein Schreiben? Hier mehr dazu...

Dass ein Papst sich in einem Lehrschreiben prominent auf einen islamischen Gespràchspartner bezieht, ist eine Premiere und öffnet neue Fenster im Dialog der Religionen. Einziges Vorbild in jüngerer Zeit: die Jesusbücher von Papst Benedikt XVI.-Joseph Ratzinger vor ca. zehn Jahren. Zu seiner Auseinandersetzung mit Jesus hatte sich der deutsche Papst vom Buch eines jüdischen Rabbiners anregen lassen.

Der Papst mit al-Tayyeb (ganz links) 2019 in Abu Dhabi
Der Papst mit al-Tayyeb (ganz links) 2019 in Abu Dhabi

Die Zitate: Auch Wim Wenders kommt vor

In seiner neuen Enzyklika zitiert der Papst vor allem sich selbst. Das liegt daran, dass sie im wesentlichen eine Zusammenschau seiner Äußerungen zu sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen ist. Immerhin bringen es der deutsche Regisseur Wim Wenders („Der Himmel über Berlin“), der Theologe Karl Rahner und der Philosoph und Soziologe Georg Simmel – aber auch der Babylonische Talmud und die klassischen Autoren Aristoteles, Cicero und Vergil auf Erwähnungen im Text bzw. in den Fußnoten.

Von seinen Vorgängern zitiert Franziskus 17mal Johannes Paul II. (1978-2005) und 14mal seinen unmittelbaren Vorgänger Benedikt XVI. (2005-13). Das Konzil kommt dreimal vor, Johannes XXIII. einmal (mit seiner Friedensenzyklika Pacem in terris). Auch französische Denker werden erwähnt, darunter Paul Ricoeur, sowie die Theologen Thomas von Aquin und Augustinus (dessen Ansicht zum „gerechten Krieg“ der Papst allerdings widerspricht).

Wie in früheren Lehrschreiben stützt sich Franziskus auch in „Fratelli tutti“ auf Ausschnitte aus Erklärungen von Bischofskonferenzen aus aller Welt (darunter auch Kongo und Korea). Allerdings: Alle Zitate stammen von Männern. „Sorelle“ kommen da nicht vor.

Aus seinem Film über Franziskus zitiert die Enzyklika dreimal: Wim Wenders
Aus seinem Film über Franziskus zitiert die Enzyklika dreimal: Wim Wenders

Große Ähnlichkeiten zu „Laudato si'“

Die seit den sechziger Jahren übliche Adressierung der Enzyklika „an alle Menschen guten Willens“ fehlt hier, wie schon in den zwei früheren Enzykliken dieses Papstes. Wie bei „Laudato si‘“ hat Franziskus auch diesmal einen italienischen Titel gewählt, der auch bei allen Übersetzungen in andere Sprachen beibehalten werden soll. Überhaupt lässt bei „Fratelli tutti“ einiges an „Laudato si‘“ denken: die Ausrichtung am hl. Franz von Assisi, vor allem. Der Nachdruck, mit dem Franziskus zu sozialpolitischem Engagement aufruft. Oder die Formulierung von zwei Gebeten am Ende der Enzyklika. Eines dieser Gebete ist ökumenisch, das zweite interreligiös gefärbt.

Die Brüderlich- und die Geschwisterlichkeit

Zum ersten Mal spricht eine päpstliche Enzyklika konsequent von „Geschwisterlichkeit“ statt von „Brüderlichkeit“ – ein kleines, aber angesichts des Titels „Fratelli tutti“ wichtiges Signal, dass sich der Text an Frauen wie an Männer gleichermaßen richtet. In seiner letzten Enzyklika „Laudato si‘“ war noch fünfmal von „Geschwisterlichkeit“, aber auch dreimal von „Brüderlichkeit“ die Rede gewesen, als seien da unterschiedliche Übersetzer am Werk gewesen.

Doch kommt die „Brüderlichkeit“ auch in „Fratelli tutti“ vor – und zwar in einem Abschnitt über das Motto der französischen Revolution (Freiheit Gleichheit Brüderlichkeit) und in einem langen Zitat aus dem interreligiösen Dokument von Abu Dhabi. In diesem Text vom Februar 2019, auf den sich der Papst in seiner neuen Enzyklika immer wieder bezieht, war von „Geschwisterlichkeit“ noch nichts zu lesen. 

(vatican news)

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04. Oktober 2020, 12:16