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Wortlaut: Papstrede bei der Generalaudienz

Hier finden Sie die Ansprache, die Papst Franziskus an diesem Mittwoch bei seiner Generalaudienz im Damasushof des Vatikans gehalten hat, in vollem Wortlaut.

Das ist eine Arbeitsübersetzung von Radio Vatikan. Die amtliche Fassung finden Sie in Kürze auf der Homepage des Vatikans.

Liebe Brüder und Schwestern, guten Tag!

Wenn man eine Pandemie hinter sich lassen will, dann muss man für sich und für die anderen Sorge tragen. Für sich und die anderen Sorge tragen. Man muss all jene unterstützen, die sich um schwache, kranke und alte Menschen kümmern. Da gibt es die Gewohnheit, die Alten beiseitezulassen, sie im Stich zu lassen – das ist hässlich. Diese „cuidadores“, wie sie im Spanischen so treffend genannt werden (Menschen, die sich um andere kümmern), spielen in der heutigen Gesellschaft eine wichtige Rolle, obwohl sie oft nicht die Anerkennung und den Lohn bekommen, den sie verdienen. Fürsorge ist eine goldene Regel unseres Menschseins; eine Haltung, die Gesundheit und Hoffnung bringt (vgl. Enz. Laudato si’ [LS], 70). Sich um die Kranken, die Bedürftigen, die an die Seite Gedrängten kümmern – das ist ein menschlicher und auch christlicher Reichtum.

Und diese Fürsorge muss auch unserem gemeinsamen Haus gelten: der Erde und jedem Geschöpf. Alles Leben steht in einem gegenseitigen Zusammenhang, und unsere Gesundheit hängt von der Gesundheit der Ökosysteme ab, die Gott geschaffen und die zu hüten er uns aufgetragen hat (vgl. Gen 2,15). Sie zu missbrauchen, ist eine schwere Sünde, die schadet und krank macht (vgl. LS, 8; 66). Das beste Gegenmittel gegen diesen Missbrauch unseres gemeinsamen Hauses ist eine kontemplative Betrachtungsweise (vgl. ebd., 85; 214). Warum? Gibt es keine Impfung dafür, für die Sorge um das gemeinsame Haus, damit es nicht verfällt? Was ist das Gegengift gegen die Krankheit, sich nicht um das gemeinsame Haus zu kümmern? Es ist das Betrachten!

„Unser gemeinsames Haus – die Schöpfung – ist mehr als eine einfache „Ressource““

„Wenn jemand nicht lernt innezuhalten, um das Schöne wahrzunehmen und zu würdigen, ist es nicht verwunderlich, dass sich für ihn alles in einen Gegenstand verwandelt, den er gebrauchen oder skrupellos missbrauchen kann“ (ebd., 215)… Unser gemeinsames Haus – die Schöpfung – ist mehr als eine einfache „Ressource“. Alle Geschöpfe haben ihren eigenen Wert und „spiegeln in ihrem gottgewollten Eigensein, jedes auf seine Art, einen Strahl der unendlichen Weisheit und Güte Gottes wieder“ (Katechismus der Katholischen Kirche, 339). Diesen Wert, diesen Strahl göttlichen Lichts, gilt es zu entdecken. Und um ihn zu entdecken, bedarf es der Stille, des Zuhörens und der Betrachtung. Die Betrachtung heilt auch die Seele.

Ohne Betrachtung kann man leicht in einen hochmütigen Anthropozentrismus verfallen – das Ich im Zentrum von allem –, der den Menschen absolut setzt und ihn glauben lässt, dass er über alle anderen Geschöpfe herrschen kann. Eine verzerrte Auslegung der biblischen Texte über die Schöpfung hat zu dieser Fehleinschätzung beigetragen, die zur Ausbeutung der Erde führt, ja sie zu ersticken droht. Die Schöpfung ausbeuten: das ist die Sünde! Wir glauben, dass sich alles nur um uns dreht, wollen den Platz Gottes einnehmen und zerstören so die Harmonie der Schöpfung, die Harmonie des göttlichen Plans. Wir werden zu „Raubtieren“ und vergessen dabei, dass wir eigentlich dazu berufen sind, Hüter des Lebens zu sein. Natürlich können und müssen wir den Boden bearbeiten, wenn wir leben und gedeihen wollen. Aber Arbeit ist nicht gleichbedeutend mit Ausbeutung. Arbeit hat immer mit Fürsorge zu tun: pflügen und schützen, bearbeiten und pflegen... Das ist unsere Sendung (vgl. Gen 2,15). Wir können nicht erwarten, dass wir auf materieller Ebene weiter kommen, wenn wir nicht Sorge tragen für unser gemeinsames Haus, das unser Zuhause ist. Nicht nur unsere armen Brüder und Schwestern, auch unsere Mutter Erde beklagt den Schaden und die Ungerechtigkeit, die wir verursacht haben, und mahnt uns, einen anderen Kurs einzuschlagen. Sie mahnen unsere Bekehrung an, das Einschlagen eines neuen Wegs: Sorge auch um die Erde, um die Schöpfung.

Das ist der Kern des Problems: Über den Nutzen einer Sache hinausgehen...

Deshalb ist es ja auch so wichtig, dass wir diese kontemplative Dimension wiederfinden. Die Erde, die Schöpfung als Gabe ansehen, nicht als etwas, das ich für meinen Profit ausbeuten kann, nein! Die Betrachtung lässt uns in den anderen und in der Natur etwas viel Größeres sehen als nur ihren Nutzen. Das ist der Kern des Problems: Betrachten und über den Nutzen einer Sache hinausgehen. Das Schöne zu betrachten bedeutet nicht, es auszubeuten. Nein: betrachten. Das ist gratis. Wir entdecken den gottgegebenen inneren Wert der Dinge. Viele geistliche Lehrer haben gelehrt, dass der Himmel, die Erde, das Meer, jedes Geschöpf diese ikonische oder mystische Fähigkeit besitzt, uns wieder dem Schöpfer, der Gemeinschaft mit der Schöpfung zuzuführen. So lädt uns Ignatius von Loyola am Ende seiner geistlichen Exerzitien ja auch zu einer „Beschauung zur Erlangung der Liebe“ ein: also dazu, darüber nachzudenken, wie Gott auf seine Geschöpfe blickt und sich mit ihnen freut, und die Gegenwart Gottes in seinen Geschöpfen zu erkennen, sie – in der Freiheit und in der Gnade – zu lieben und für sie zu sorgen.

Die kontemplative Betrachtung, die uns fürsorglich sein lässt, ist kein Blick, der die Natur von außen sieht, so als wären wir selbst nicht in sie eingetaucht. Aber wir sind in der Natur drin, wir sind Teil der Natur. Betrachtung geschieht von innen heraus, indem sie uns als Teil der Schöpfung erkennt, uns Protagonisten und nicht nur bloße Zuschauer einer amorphen Realität sein läßt, die nur dazu da ist, ausgebeutet zu werden. Wer die Schöpfung auf diese Weise betrachtet, staunt nicht nur über das, was er sieht, sondern auch darüber, dass er sich als wesentlicher Bestandteil dieser Schönheit fühlt: dazu berufen, sie zu bewahren und zu schützen.

 

Für neue Produktions- und Konsumgewohnheiten

Und da gibt es etwas, das wir nicht vergessen dürfen: Wer die Natur und die Schöpfung nicht zu betrachten weiß, der weiß auch die Menschen in ihrem Reichtum nicht zu betrachten. Und wer lebt, um die Natur auszubeuten, beutet schließlich auch die Menschen aus und behandelt sie wie Sklaven. Das ist ein universelles Gesetz. Wenn du nicht die Natur zu betrachten weißt, dann wirst du kaum die Menschen würdigen können, die Schönheit der Menschen, den Bruder, die Schwester – uns alle.

Wer sich auf die Betrachtung versteht, dem wird es leichter fallen, all das zu ändern, was der Umwelt und der Gesundheit schadet. Und dann bemüht man sich darum, neue Produktions- und Konsumgewohnheiten zu fördern, die zur Entstehung eines neuen Modells des Wirtschaftswachstums beitragen, das die Achtung vor unserem gemeinsamen Haus und vor den Menschen garantiert. Wer sich der Betrachtung verschrieben hat, der neigt dazu, sich zum Hüter der Umwelt zu machen (das ist schön!, jeder von uns sollte Hüter der Umwelt, der Reinheit der Umwelt sein!), indem er versucht, von jahrtausendealten Kulturen überliefertes Wissen mit modernem technischen Know-how zu verbinden, damit unser Lebensstil immer nachhaltig wird.

„Hüten wir das Erbe, das Gott uns anvertraut hat, damit auch künftige Generationen sich daran erfreuen können“

Betrachtung und Fürsorge: Diese zwei Haltungen zeigen den Weg auf, der die Beziehung zwischen Mensch und Schöpfung korrigiert und ihr ein neues Gleichgewicht gibt. So oft scheinen wir eine geradezu feindliche Haltung zur Schöpfung zu haben: die Schöpfung zu meinem Profit zerstören. Die Schöpfung zu meinem Profit ausbeuten. Vergessen wir nicht, dass das einen hohen Preis hat… Ich habe heute in der Zeitung von diesen zwei großen Gletschern in der Antarktis nahe am Amundsen-Meer gelesen: Sie stehen vor dem Einsturz. Das wird furchtbar sein, weil dadurch das Meeresniveau steigen wird, und das bringt viele Schwierigkeiten mit sich. Und warum? Wegen der Erwärmung. Weil das gemeinsame Haus nicht gepflegt wird…

Hüten wir das Erbe, das Gott uns anvertraut hat, damit auch künftige Generationen sich daran erfreuen können! Da könnte jemand sagen: Ach, ich schlage mich auch so schon durch… Aber das ist gar nicht das Problem – das sagte ein guter protestantischer Theologe, Bonhoeffer: Das Problem ist nicht, wie du heute so durchkommst. Das Problem ist: Worin wird das Erbe bestehen, das Leben der künftigen Generationen? Denken wir an die Kinder, die Enkel: Was hinterlassen wir ihnen, wir, die wir die Schöpfung ausbeuten?

Die friedliche Revolution des Heilens

Gehen wir diesen Weg, indem wir zu „Hütern“ des gemeinsamen Hauses werden, Hütern des Lebens und der Hoffnung. Solche Hüter hüten das Erbe, das Gott uns anvertraut hat, … damit sich auch die zukünftigen Generationen daran erfreuen können. Ich denke dabei besonders an die indigenen Völker, denen wir alle zu Dank verpflichtet sind – und auch zu Buße, um das Böse, das wir ihnen angetan haben, zu sühnen. Und ich denke auch an die Bewegungen, Vereinigungen und Volksgruppen, die sich für den Schutz ihres Territoriums, seiner natürlichen und kulturellen Werte einsetzen. Diese sozialen Realitäten werden nicht immer geschätzt, ja manchmal behindert man sie sogar, weil sie keinen Gewinn machen; in Wahrheit aber tragen sie zu einer friedlichen Revolution bei. Wir können sie „Revolution, die Heilung bringt“, nennen. Betrachten, um zu heilen, um zu hüten, um der künftigen Generation ein Erbe zu hinterlassen.

Und das, was Aufgabe eines jeden Menschen ist, darf nicht an einige wenige delegiert werden. Jeder von uns kann und muss „Hüter des gemeinsamen Hauses“ werden; fähig, Gott für seine Geschöpfe zu loben, sie zu betrachten und zu beschützen.

(vatican news - skr/sk)

 

 


 

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16. September 2020, 11:05