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Papst warnt vor „Virus des gleichgültigen Egoismus"

Erstmals in Zeiten des Corona-Lockdown hat Papst Franziskus die Heilige Messe außerhalb des Vatikans gefeiert. An diesem Sonntag der Barmherzigkeit zelebrierte er in der römischen Kirche Santo Spirito in Sassia und lud die Gläubigen dazu ein, in Zeiten der bevorstehenden Lockerung von Pandemie-Maßnahmen gerade auf die Schwächsten zu achten. Franziskus warnte vor dem „Virus des gleichgültigen Egoismus".

Zum Thema des Festes sagte der Papst, Gott wolle nicht, dass wir ständig über unsere Niederlagen nachdenken. Er sei der barmherzige Vater, der allen wieder aufhelfen will. „Tochter, schenke mir dein Elend“, habe er die heilige Faustina gebeten, auf die das Fest der Göttlichen Barmherzigkeit zurückkgeht. Auch Gläubige sollten sich fragen, ob sie wirklich ihr alles, also auch ihr Elend, dem Herrn übergeben hätten. „Habe ich ihm meine Niederlagen gezeigt, damit er mich aufrichtet?“, fragte der Papst. „Oder gibt es etwas, das ich immer noch in mir trage? Eine Sünde, Gewissensbisse im Blick auf die Vergangenheit, eine Wunde, die ich in mir trage, einen Groll gegen jemanden, eine Meinung über eine bestimmte Person... Der Herr wartet darauf, dass wir ihm unser Elend bringen, damit er uns seine Barmherzigkeit zeigen kann.“

Hier zum Hören:

Der Auferstandene habe den Jüngern auch keine Vorwürfe gemacht, weil sie ihn während seines Leidensweges im Stich gelassen hatten, fuhr Franziskus fort. Er habe ihnen „keine langen Predigten“ gehalten, im Gegenteil: „Denen, die innerlich verwundet waren, zeigt er seine Wunden.“ Thomas, der im Mittelpunkt des Evangeliums an diesem Sonntag der Barmherzigkeit steht, darf die Wunden des Herrn berühren, „und er entdeckt, mit welcher Liebe Jesus für ihn gelitten hatte, für ihn, der ihn verlassen hatte. In diesen Wunden ist die liebevolle Nähe Gottes mit Händen zu greifen.“

„Er glaubt nicht nur an die Auferstehung, sondern an die grenzenlose Liebe Gottes“

Weil Thomas diese Erfahrung der Barmherzigkeit machte, überhole nun er, der zu spät gekommen war, die anderen Jünger: „Er glaubt nicht nur an die Auferstehung, sondern an die grenzenlose Liebe Gottes. Und er legt ein ganz einfaches, aber sehr schönes Glaubensbekenntnis ab: ,Mein Herr und mein Gott!´ Dies ist die Auferstehung des Jüngers, die sich ereignet, als sein zerbrechliches und verwundetes Menschsein in das Menschsein Jesu hineingenommen wird. Dort lösen sich die Zweifel auf, dort wird Gott zu ,meinem Gott´, dort beginnt man wieder, sich selbst anzunehmen und das eigene Leben zu lieben.“

Die Barmherzigkeit, resümiert der Papst, „lässt die Zurückgebliebenen nicht im Stich“. Und er warnte abermals vor einer Haltung der Selbstbezogenheit, des „Ich zuerst“, gerade in Zeiten der Corona-Krise, die uns – ähnlich wie Thomas – Ängste und Zweifel beschert.

„Jetzt, da wir an eine langsame und mühsame Erholung von der Pandemie denken, schleicht sich genau diese Gefahr ein: dass man diejenigen vergisst, die zurückgeblieben sind. Es besteht die Gefahr, dass uns ein noch schlimmeres Virus trifft, und zwar das eines gleichgültigen Egoismus. Es überträgt sich ausgehend von der Idee, dass das Leben besser wird, wenn es besser wird für mich, dass alles gut ausgeht, wenn es gut ausgeht für mich. Damit fängt es an, und schließlich gelangt man dazu, Menschen auszuwählen, die Armen auszusondern und diejenigen auf dem Altar des Fortschritts zu opfern, die dahinter zurückbleiben.“

„Und alle, die glaubten, hatten alles gemeinsam. Das ist keine Ideologie, das ist Christentum“

Diese Pandemie erinnere uns jedoch daran, dass es keine Unterschiede und keine Grenzen zwischen den Betroffenen gibt: „Wir sind alle zerbrechlich, alle gleich, alle wertvoll“. Was gerade geschehe, rüttelt uns auf, sagte der Papst und appellierte an die Tatkraft der Gläubigen: „Es ist an der Zeit, die Ungleichheit zu beseitigen, die Ungerechtigkeit zu heilen, die die Gesundheit der gesamten Menschheit bedroht! Lernen wir von der ursprünglichen christlichen Gemeinschaft, wie sie in der Apostelgeschichte beschrieben wird. Ihr wurde Barmherzigkeit zuteil und sie lebte diese Barmherzigkeit: ,Und alle, die glaubten, hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und teilten davon allen zu, jedem so viel, wie er nötig hatte´. Das ist keine Ideologie, das ist Christentum“, sagte Franziskus wörtlich.

„Nehmen wir diese Prüfung zum Anlass, um für alle eine gute Zukunft vorzubereiten“

Wie es oft auch Papst Johannes Paul II. getan hatte, warnte Franziskus davor, Solidarität zu dosieren und auf „angemessene“ Empfänger zu warten. „Denken wir nicht nur an unsere eigenen Interessen, an die Interessen einzelner Gruppen“, bat der Papst. „Nehmen wir diese Prüfung zum Anlass, um für alle eine gute Zukunft vorzubereiten, ohne jemanden auszuschließen: für alle. Denn ohne eine gemeinsame Vision wird es für niemanden eine Zukunft geben. Wie der Apostel Thomas öffnen auch wir uns für die Barmherzigkeit, die die Welt rettet. Und lassen wir Barmherzigkeit walten gegenüber denen, die schwächer sind. Nur so entsteht eine neue Welt.“

Mit dem Papst standen zwei Konzelebranten am Altar: Erzbischof Rino Fisichella, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung, und der polnische Priester Josef Bart als Rektor der Kirche Santo Spirito, die wegen der dort besonders starken Verehrung der Heiligen Faustina Kowalska Anlaufstelle für viele Gläubige aus Polen ist.

Vier Sänger des Chores der Diözese Rom und die Orgel untermalten den Gottesdienst musikalisch. In den Fürbitten wurde unter anderem für Kranke sowie medizinisches Personal inmitten der Corona-Pandemie gebetet. Eine weitere Fürbitte galt Regierenden, damit sie ihre Entscheidungen im Geist der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe ohne Egoismen und soziale Ausgrenzungen treffen.

Der Ordensfrau und Mystikerin Faustina waren wiederholt Jesus, Maria, Engel und Heilige erschienen, Begegnungen, die sie gewissenhaft in ihrem geistlichen Tagebuch festhielt. Faustina schildert auch, wie ihr Jesus auftrug, den Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit einzuführen. Auf ihren Visionen beruht das 1934 entstandene berühmte Bild des barmherzigen Jesus mit dem roten und dem weißen Strahl, die von seinem Herzen ausgehen. Eine Kopie davon wird auch in Santo Spirito in Sassia verehrt, der Sitz des Papstes bei dieser Liturgie war unmittelbar rechts davon. Johannes Paull II. nahm vor 20 Jahren die Heiligsprechung Schwester Faustinas vor und fügte den Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit in den katholischen Festkalender ein.

(vatican news – gs)

 

 

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19. April 2020, 11:19